Die Frage, in wiefern Einstimmigkeit mythologischer Ideen
bei verschiedenen Völkern auf gleichzeitiger Schöpfung beruhen
mag, oder durch Uebertragung zu erklären ist, kann nur nach
statistischen Grundsätzen gelöst werden. In dem beschränkten
Umkreis der primitiven Vorstellung ist der Spielkreis nur eng
und muss sich deshalb überall Aehnliches zeigen, aus natürlicher
Wurzel neben einander aufgewachsen, und die Aehnlichkeit ist
um so auffälliger, als man bei der Rohheit des ganzen Gebildes
nur die Umrisse im Grossen und Ganzen auffasst, ohne auf eine
Detailzersetzung eingehen zu können. Nach höherem Aufwachsen
des weiter und weiter verzweigten Gedankenbaums dagegen
wird bei der unbeschränkt möglichen Vielheit der Gebilde, bei
der mehr und mehr zunehmenden Seltenheit zweier gleicher
Zweige oder zweier gleicher Blätter auf demselben Zweige, wird
es immer seltener und auffälliger werden, wenn sich auch dann
noch völlige Gleichheit zeigte, besonders wenn sie sich bei dem
hier möglichen Eingehen in die Detail-Verhältnisse noch bestätig
te , und würde in solchem Falle das scheinbar Zufällige aufhören
Zufall zu sein. Bei der empfänglichen Reizbarkeit des
Denkorganismus findet aber Mittheilung der Ideen nicht als
Uebertragung einer todten Masse s ta tt, sondern ist mit dem
Ausstreuen von Gährungsstoffen zu vergleichen, mit keimfähigen
Samen, die auf dem fremden Boden unter besonders gestalteter
Eigenthümlichkeit aufwachsen mögen und dann gewöhnlich noch
bis zuletzt die Rudera gewisser Namensformen bewahren, die
obwohl sie ihren Inhalt verloren oder verändert haben, doch noch als
die Schale des einst Heiligen (jetzt vielleicht eines Neuen) übrig sind.
In mythologischen Vergleichungen für ethnologische Zwecke
hat man nicht die secundären Begriffe auszuverfolgen, da philosophische
Begriffe überall leicht als entsprechende gedeutet
werden können. Ist die Physiologie des Gedankenwachsthums
einmal in der Gleichartigkeit ihrer Gesetze erkannt, so verliert
es das Interesse, Uebereinstimmungen aufzusuchen, weil sie
I a priori schon anzunehmen sind. Um ethnologische Gruppirun-
gen zu gewinnen, bleibt es nutzlos, in ein unbestimmtes Meer
von Identitäten zu verschwimmen, da gerade im Gegentheil
durch zersetzende Analyse die Differenzen herauszusuchen sind,
um die Typen specifisch zu charakterisiren. Wenn sich auf den
untersten Stufen eine Entwickelung besonderer Wortformen
zeigt, die (weil auf keiner psychologischen Nothwendigkeit ba-
sirend) aus der Gemeinsamkeit einer historischen Wurzel hervorgewachsen
scheinen, so müssen solche hie und da hervorbrechende
Lichtblicke sorgsam beobachtet und für weitere Aufhellung bewahrt
werden, aber die in complicirteren Denkoperationen als
gleichartig hervortretenden Ideen sind eben nur die nach dem
organischen Wachsthumsgesetze aus vorangegangenen Causali-
täten hervortretenden Effecte auf psychologischem Gebiete.
Die Ethnologie wird die Psychologie mit dem Apparat des
Ithatsächlich Gegebenen ausrüsten, damit sie ungescheut sich
der naturwissenschaftlichen Behandlung hingeben darf und gegen
jene traurigen Verstümmelungen des Materialismus gesichert
bleibt, wodurch die Geistesschöpfungen nach dem Procrustes-
bette des Anorganischen zurechtgeschnitten werden sollten. Durch
den Glanz ihrer grossartigen Entdeckungen geblendet, haben die
Naturwissenschaften, oder doch allzu eifrige Freunde derselben,
schwere Verstösse begangen, aber ihreexacte Forschungsmethode
steht nichtsdestoweniger auf einer unerschütterlich festen Basis
und muss sich auf dem Gebiete des Geistigen eben so haltbar
beweisen, wie auf dem des Körperlichen. Der Fehler bisheriger
Systeme lag d a rin , dass sie diese richtige Methode auf unrich-
¡tiges Material anwendeten und dem Geistigen die selbstständige
Existenz absprachen, um es nur als Anhang des Körperlichen
zu behandeln. Obwohl die elektrisch-polaren Processe krystal-
jlisationsfähiger Mineralien viel Analoges mit den organischen