Am 14. Ju li 1892 zog ich wieder in Baliburg ein. _
Wie verhängnisvoll un ter Umständen die Führerfrage für eine
Expedition werden kann, dafür hatte mir diese meine Streife wieder
neuen Beweis geliefert.
I g P Gute> redliche Führer zu finden, sowie das Glück, ebensolchen
Do?mert"-'lnd Dolmetscher zu besitzen: beides entscheidet nicht selten über Wohl
“ge‘ und Wehe einer Expedition. Beide Momente gehören zu den wichtigsten,
aber auch zu den schwierigsten auf Reisen in Westafrika.
„Der Dolmetscher“, sagt Zintgraff, „soll den Mut und die Ehrlichkeit
des Soldaten mit dem Verstand und der Gewandtheit des Diplomaten
vereinigen. Fortwährenden Versuchungen und Bestechungen
ausgesetzt, h a t er doch gleichzeitig das Bewufstsein, in seiner Thätig-
keit wenig überwacht werden zu können.“
In denjenigen Länderstrecken Afrikas, wo e in e Sprache auf grofsen,
räumlichen Ausdehnungen gesprochen oder wenigstens verstanden wird,
wie z. B. im westlichen Sudan bis herunter nach Adamaua die Haufsa-
sprache, kann dieses wichtige Bindeglied vom Standpunkt der einfachsten
Verständigungsmöglichkeit aus allerdings entbehrt werden. Gehört
doch eine wenn auch oberflächliche Kenntnis der Haufsasprache zu
den Vorbereitungen in der Heimat. Unbedingt notwendig is t der
Dolmetscher auf Reisen in Gebieten, die von verschiedensprachigen,
kleinen Stämmen bewohnt sind; so in Nord-Kamerun im Waldland
und in den südlichen Gebieten des Graslandes. Aber auch in ersterem
Falle kann ein Dolmetscher nicht wohl entbehrt werden, weil die
Schwierigkeit einer Verständigung da und dort nicht blofs in Unkenntnis
oder mangelhafter Beherrschung der betreffenden Negersprache
liegt, sondern fast mehr noch darin, in längeren gewichtigeren
Unterhandlungen sich dem Gedankengang und dem Auffassungsvermögen
des Negers anzupassen. Das kann n u r der Dolmetscher, eben
wieder ein Neger.
Nebenbei bemerkt will das im Graslande streng beachtete Hof-
ceremoniell, dafs der Verkehr des Häuptlings mit dem eines anderen
Stammes oder mit dem Weifsen nie unmittelbar, sondern stets durch
Dolmetscher stattfindet, auch wenn Audienzgeber und - empfangender
ganz gut derselben Sprache mächtig sind.
Gleiche Schwierigkeit bereitet die Führerfrage. Dazu kommt, dafs
diese stets wieder aufs neue an den Expeditionsleiter herantritt. Der
Neger hockt im allgemeinen sein ganzes Leben lang zwischen seinen
vier Pfählen, in Westafrika den länderdurchwandernden Haufsahändler
ausgenommen; über sein Stammesdorf hinaus, wenn’s gut geht, sein
Stammesgebiet und allenfalls noch ein Stück ins Nachbarland hinein;
weiter weifs er nicht Bescheid. Es hängt das innig mit dem Zwischenhandel
zusammen. Aber auch auf ihm bekannten Pfaden hä lt es aus
den verschiedensten Gründen oft, nur zu oft aufserordentlich schwer,
Führer zu erhalten. Stundenlanger palaver bedarf es meist, den
Häuptling zu bewegen, wegekundige Leute bis zum nächsten Stamm
mitzugeben; nicht selten dauert es Tage, sogar Wochen. Und dann
ist der versprochene Führer beim Aufbruch so und so oft nicht da,
läuft unterwegs davon oder führt aus eigenem Trieb oder auf Grund
entsprechender „Weisung von oben“ falsch. Im nächsten Ort oder
Gebiet beginnt der Tanz aufs neue.
Der Kompafs giebt ja wohl die Marschrichtung im grofsen an,
gestattet annähernde Kontrolle des Führers — und wenn’s sein mufs,
schlägt man sich nach ihm auch mal einen oder ein p a a r Marschtage
durch die Büsche; auf die Dauer ist der Führer u n en tb eh rlich ._____
„Die einzige, aber grofse und ständige Sorge des Reisenden“, habe
ich am Beginn dieses Abschnittes gesagt, „ist die Überwindung der
Schwierigkeiten und Hemmnisse, die Natur und Menschen entgegensetzen.“
Inwieweit erstere im Nordhinterlande von Kamerun vielgestaltig
stets aufs neue Hindernisse vor dem vorwärts strebenden Forscher
aufzuturmen weifs und ihm nur ziemlich spärlich bemessene, dann
aber von dem ganzen unsagbaren Reiz der Wildnis durchstrahlte Lichtblicke
gönnt, wollten meine Marschschilderungen veranschaulichen.
Auch das zweite Kampfmittel haben sie gestreift, das Afrika gegen den
kühnen Eindringling ins Treffen führt: die Menschen.
Hemmend heftet es sich ihm an die Fersen in Gestalt des einzig
möglichen Transportmittels, der Träger; hemmend zumeist, aber auch
mcht selten offen feindlich, tr itt es in den Weg in Gestalt der Eingeborenen
der zu durchwandernden Gebiete selbst.
Wie stellt sich der Eingeborene zu dem Unternehmen des Weifsen, verhalten
das alte Rätselland Afrika zu erschliefsen? Häufig geradezu feindselig £ ¿ 5 " -
fast immer argwöhnisch, selten von Beginn an freundlich. Die th at-
sachlich reine Absicht des Forschungsreisenden, der reine wissenschaftliche
Zweck sind ihm vollständig unerklärlich und unverständlich, also
auch unglaublich. E r sucht einen materiellen Hintergedanken und da
ist ihm der naheliegendste: der Weifse will Handel treiben oder
Sklaven fangen. In beiden Fällen kommt er, der Neger, schlecht weg.
Auch der Aberglaube läfst ihn in dem ihm unerfindlichen Gebaren
des Reisenden bedenkliche und gefährdende Handlungen erblicken.