Abschnitt VIIL
Sprachliche Beobachtungen.
Sprech- und Denkweise des Negers. — Die Wortsprachen, im Waldlahd. — Die Zeichensprache
im Wald- und Grasland. — Die Wortsprachen im Grasland; insbesondere die Balisprache.
Sprech- und Denkweise des Negers.
Sprachliche Beobachtungen anzustellen, ist eine der Hauptaufgaben
des Forschungsreisenden. Erstens sind sie von grofser "Wichtigkeit an
sich; dann h a t die Sprache die Bedeutung eines völkerscheidenden
Merkmales, und endlich ist sie, d. h. ihre mehr, weniger vorgeschrittene
Ausbildung und Vervollkommnung ein wesentlicher, wenn
auch einseitiger Gradmesser für die geistige Stufe, die ein Volk einnimmt.
Bei der Forschungsthätigkeit in dieser Bichtung stellen sich aber
Schwierigkeiten entgegen, die ich beinahe denen gleichstellen möchte,
wie ich sie bei Erkundung der religiösen Verhältnisse erläutert habe.
Wie in so vielem, werden sie auch auf diesem Gebiet in der Heimat
vielfach wo anders gesucht als da, worin sie wirklich liegen, und
andererseits: wie in so manchem die Schwierigkeiten da draufsen ü b e r schätzt
werden, beim Sammeln von linguistischen Beobachtungen werden
sie zu Hause nicht selten u n te rsc h ä tz t. Gleiches gilt für Anwendung
der erworbenen sprachlichen Kenntnisse: für das Sprechen.
Kurz zusammengefafst bezeichne ich die Schwierigkeiten als solche
äufserer (technischer) und innerer Natur. Ich habe diese beiden Begriffe
etwas zu erläutern.
Unter technischen Schwierigkeiten verstehe ich jene Hindernisse,
welche in der genauen Lautwiedergabe liegen. Bei derjenigen Sprache
Nord-Kameruns z. B., in die ich wenigstens einigermafsen Einblick
habe thun können: der Sprache des B a l i Stammes, giebt es mehrere
Konsonanten und Vokale, die einfach nicht so wiedergegeben werden
können, wie sie der Eingebome ausspricht; und Zintgraff h a t ganz
recht, wenn er sagt, die Lösung dieser Aufgabe mufs einem vollendeten
Phonographen Vorbehalten bleiben. Diese technische Schwierigkeit
macht sich geltend bei jedem einzelnen Worte, in dem andere oder
anders ausgesprochene Laute Vorkommen, als wir sie haben und
kennen.
Tiefer gehen jene, die ich als innere Schwierigkeiten bezeichne.
Namentlich die eine derselben hindert, erschwert zum allermindesten,
ein Eindringen in den grammatikalischen Aufbau der Sprache,
nebenher natürlich auch eine Ausdehnung des Einzelwortschatzes.
Sie besteht darin, dafs der Neger weit überwiegend n u r k o n k r e te ,
fast k e in e a b s t r a k t e n Begriffe kennt. Denn wenn der Eingeborne
im Nord-Hinterland von Kamerun, insbesondere der Banyang und
der Hochländer, auch keineswegs auf einer allgemein niederen Geistesstufe
steht, so bewegt sich doch sein ganzer G e d a n k e n g a n g in der
reellen Welt, in der Materie, im Konkreten — und damit auch der
gesprochene Gedanke: das Wort, die Sprache. In diesem Bestreben
greifbarer Anschaulichkeit beruht anderseits wieder der B i l d e r r e i c h tum
der Sprachen aller Naturvölker; hierin die S ym b o lik ihrer Handlungen
(vergl. die in Abschnitt V und VI beschriebenen symbolischen
Akte; so S. 350, 431, 438 u. a. a. 0.).
Daraus folgt, dafs man sich einerseits hüten mufs, einen Begriff
für ganz präzisiert zu h alten , andererseits scharf zu unterscheiden
h a t, ob ein Wort etwas in der Natur oder den Gebräuchen
oder täglich benutzten Gegenständen bezeichnet oder ob der Begriff
etwas ferner liegt. . Im letzten Fall deckt e in Wort oft m e h r e r e .
Begriffe; im erstem fä llt das bestimmte Wort und der bestimmte Begriff
so völlig zusammen, dafs der Neger sich diesen Begriff gar nicht
anders denken kann als eben unter diesem Wort. Bei uns ist das-
Wort nur das Kleid für den Begriff; beim Neger ist Kleid und bekleideter
Begriff zusammengewachsen, sind eins. Nur ein Beispiel:
In . der Balisprache heilst das Messer am Wehrgehäng = „minyi“ ; das
kleine Messer zum Rasieren = „kämtu“. Verlange ich nun, auch noch
so umständlich und deutlich beschrieben, ein „minyi zum Rasieren“, so
versteht der Bali nicht, was ich will; sage ich jkamtu«, so ist es ihm
sofort klar.
Daraus geht weiter hervor, dafs er k e in e K o lle k tiv n am e n kennt;
er h a t, um beim gegebenen Beispiel zu bleiben, keinen Gattungsbegriff:
„Messer“ — und nun als Unterglieder: „Rasiermesser“ , „Efs-
messer“, „Schlachtmesser“ u. s. w., sondern jedes dieser Messer ist
Mangel abstrakter
B egriffe.
Bildersprache.
Mangel k o llek
tiver B egriffe.