* ^8 Schlufswort.
Aber die Lebensformen, unter denen sie in die Welt der E rscheinungen
tre ten , sind andere in der Zivilisation, andere in der
Wildnis.
Leben heifst Kämpfen — und so ist es der Kamp f um’s Dase in ,
den Natur und Menschheit allerorten und allerzeiten führen mufsten
und bis zum letzten Lebewesen werden führen müssen, der anders
geartet ist in der Wildnis als in der Civilisation. Anders sind auch
die Mittel mit denen er hier, mit denen er dort durchgeführt wird.
Und d a n n , in der Kampfweise, in den Kampfmitteln, vor allem
m den Kämpfern selbst, seien es die Naturgewalten, seien es die
Menschen, liegt für jeden ganzen Mann das Geheimnis der Anziehungskraft
der Wildnis.
Unberührt von Menschenhand, in ihrer vollen Ursprünglichkeit
und Gewaltigkeit tr it t die Natur in die Schranken zum Streit mit
sich selbst, zum Streit mit Menschenkraft und Menschengeist. Un-
gebandigter, roher wohl, aber um ein gut Teil wahrer und offener
kämpft der Mensch gegen den Menschen da drauisen den Kampf
um’s Dasein.
„Unsere Civilisation ist deshalb so ekelhaft und abstofsend, weil
sie sich einen anderen Anstrich geben will als sie im Grund genommen
eben wirklich ist; sie ist nicht weniger brutal als der Naturzustand,
aber weniger offen,“ sagt Scherr — und ich gehe ihm Recht, doppelt
Recht, nachdem ich den „Naturzustand“, so weit er heutzutage überhaupt
noch vorkommt, seihst kennen gelernt habe, nachdem ich mehr
als einmal erfahren, wie rasch der Firnis unserer „Kultur“ am Kulturmenschen
draufsen in der Wildnis abfällt. „Soulevez l’epiderme et
vous trouverez le ta ta re “ sagte Napoleon L, der grofse Menschenkenner ;
„Afrika, d. h. die Wildnis, macht den Menschen, d. h. den Europäer,'
durchsichtig“ sagt der Afrikaerfahrene.
Tiefgreifend ist die Umwandlung, die der ganze civilisierte Mensch,
in diese andere Welt gestellt, an sich erfährt.
Allein auf sich angewiesen wird zumeist sein, wer auf Forscherpfaden
die Wildnis durchstreift. Um so mächtiger und voller wirkt
ihre Unberührtheit, ihre Grofsartigkeit, ihre Schrankenlosigkeit.
Anfänglich tr itt man wohl fast zögernd, zagend in diese neue
Welt, fast ängstlich sieht man sich nach den von Jugend auf gewohnten
Kulturstützen um: Gesetz und Sitte, und wie sie alle heifsen;
dem Kinde gleich, das zum erstenmal die Hand der führenden Mutter
mifst. Aber bald wird der Schritt fester, freier; bald fühlt man wohlig
in Selbstgefühl und Selbstvertrauen die eigene Kraft erwachen, die
in dem schrankenumwallten Heimatlande sich nicht regen konnte,
nicht regen durfte.
„ . . . Der Mensch verkümmert im Frieden,
Müssige Ruh’ ist das Grah des Mut’s.
Das Gesetz ist der Frennd der Schwachen,
Alles will eB n u r eben machen,
Möchte gerne die Welt verflachen.“
Draufsen gilt nur das Gesetz der Wildnis; nur vor der allgewaltigen
Natur, vor der eisernen Notwendigkeit beugt sich der Wille;
dort draufsen allein versteht man, was frei sein heifst — man lernt
aber zugleich Selbstbeherrschung, Selhsteinschränkung ohne Gesetz.
Man lern t mit anderen Zeit-, mit anderen Raummafsen rechnen.
Was in der raschlebigen, dampf- und elektricitätsgeladenen Heimat in
einem Tage durchhastet wird — draufsen ist’s gleich einar Woche,
einem Monat. Findet man zu Hause die Bahn nicht mehr rasch
genug draufsen rechnet man nach Tagemärschen. Andererseits
aber wieder kann man nicht für die nächste Stunde vorausbestimmen.
Wochen und Monate vergehen in geistiger und körperlicher Einförmigkeit,
fast Unthätigkeit — dann kommt ein'Ereignis, ein Augenblick:
und raschester Entschlufs, äufserste Anspannung aller geistigen und
physischen Kräfte wird gefordert, vollstes Einsetzen des ganzen Ich
entscheidet über Sein und Nichtsein.
Die Persönlichkeit kommt zur vollsten Geltung; im nivellierenden
Kulturstaat geht mit wenigen Ausnahmen das Individuum in der
Masse au f
Aber nicht nur der Aufsenwelt gegenüber und in den Lebens-
bethatigungen nach aufsen vollzieht sich ein gänzlicher Umschwung;
noch tiefer geht die innerliche Umgestaltung.
Man beginnt in der Wildnis anders zu denken, anders zu fühlen:
freier, selbständiger, weitschauender — und innerlicher zugleich.
Anschauungen und Begriffe, über die man in der Heimat gar nicht
mehr nachdenkt, weil man gewohnt ist, sie als unfehlbar, als Thesen
ohne Beweis hinzunehmen: in der Einsamkeit der Wildnis prüft man
sie auf ihren Gehalt, auf ihren Wert am Mafsstab der freien Natur —
und bricht auch wohl mit manchen. Es lenken Geist und Herz und
Körper in andere Bahnen ein.
So kann ich in Wahrheit behaupten, dafs selten das Gefühl der
Einsamkeit über mich gekommen ist. Tausendmal weniger zu tiefst
in der Wildnis als zu Hause mitten in der civilisierten Welt, wo