Anschauungen betreffs K ran k h e itsu rs a ch en zu sprechen kommen. Als
solche findet man die gleichen verworrenen und abergläubischen Ansichten,
wie sie bis zur Stunde noch bei den ungebildeten Klassen
europäischer Völker vielfach Geltung haben, wie sie vor ein paar
hundert Jahren in allen Schichten der Bevölkerung herrschten und die
Gräuel der Hexenprozesse und Judenhinschlachtungen zur Folge hatten.
Der Grasländer ist aber wenigstens soweit aufgeklärt, dafs er deutlich
erkennbaren natürlichen Gründen bei Einzelerkrankungen sich nicht
verschliefst Liegen solche aber nicht k la r zu Tage, ist also die Wechselwirkung
zwischen Ursache und Folge etwas verschleiert und namentlich
bei Massenerkrankungen, Epidemieen: dann neigt er dazu, in übernatürlichen
Momenten den letzten Grund zu finden. „Der böse Geist“
„die Geister der Verstorbenen“ : in diesen Begriffen verdichtet sich ihm
das ü b e r n a t ü r l i c h e Moment. Der nächste Schritt ist einerseits, überall
derartige Gefahren zu wittern und in abergläubischer Scheu alle
möglichen Gegenmittel zu erfinden, andererseits, dem Gefühl der Furcht,
des Hasses, der Rache nachgebend, mifsgünstige und mifsliebige
Persönlichkeiten mit solch übernatürlichen Machtmitteln ausgestattet
sich zu denken. Aus letztgenannter Folgerung sind dann die unausbleiblichen
Konsequenzen die Fehden, die Prozesse wegen Verwünschungen“,
„Vergiftungen“ u. s. w., wie wir sie bei Betrachtung der
politischen und rechtlichen Verhältnisse kennen gelernt haben.
Hier bei Schilderung medizinisch-abergläubischer Gebräuche haben
wir uns nur mit den aus erstgenannter Folgerung entspringenden Anschauungen
zu beschäftigen. Ich habe gesagt, dafs die erdachten
Gegenmittel — Sympathiemittel — nachträglicher, überwiegend vorbeugender
Art sind.
Zu den ersteren gehören folgende zwei:
Is t ein Bali schwer krank und böser Zauber daran schuld, so
werden abends zwei kleine Schüsselchen, aus Maismehl u. s. w. geknetet
und mit Palmwein gefüllt, rechts und links von dem am Hause des
Kranken vorbeiführenden Wege auf den Boden gestellt, um den „Geist
des Verstorbenen, der die Krankheit geschickt h a t, zu versöhnen“. __
Nach erlangter Genesung wird der Körper ganz dick mit Rotholz eingerieben
und die Männer tragen häufig einen Kranz von grünen
Blättern mit eingesteckten roten oder grünen Federn.
Nachträglich u n d vorbeugend angewendet wird das Einreiben mit
weifser Farbe in Gestalt von Kreisen und Strichen an der Stirn (senkrecht
bis zum Nasenansatz reichend), an Bauch, Oberarmen und Füfsen.
Wie im Waldland is t es zugleich auch Gegenmittel gegen Zauber
seitens Lebender. (Unter anderem herrscht hier oben der gleiche
Glaube wie im Waldland, dafs sich einer in einen Elefanten verwandeln
und so seinem Feinde dann an Leib und Leben und Eigentum Schaden
zufügen könne.)
Vorbeugender Art sind die zahllosen Amulette gegen übernatürliche Amulette,
schädigende Einflüsse, ausgeübt von „Geistern“ oder von Lebenden,
und gegen alle möglichen Gefahren des täglichen Lebens: gegen
Schlangenbifs, gegen Leopardenbifs, gegen Elefanten, gegen die verschiedensten
Krankheiten, gegen Tod im Gefecht u, s. w., u. s. w. (Ich
erinnere übrigens an die alten Tiersegen der katholischen Kirche:
Abb. 110. Bären-, Wolfssegen u. dergl. m., an die noch älteren
Stabsegen und Runenzaubersprüche unserer germanischen
Ahnen.) Gegen bösen Blick hilft eine Halskette
von Zähnen des wilden Schweines. Derartige
Amulette sind entweder kleine Hörnchen, Zähne und
Knochen verschiedener Tiere, auch die vorderen Schalen
der Zwergantilopen werden verwendet, sowie Pflanzenteile.
Zähne und Hörnchen werden von beiden Geschlechtern
als Halsketten getragen; die Männer flechten
sich letztere auch in ihren Haarschopf. Knochen
und Pflanzenteile dagegen sind meist in kleine viereckige
oder wurstförmige Säckchen und Täschchen,
oft ganz n e tt gearbeitet, eingenäht, und werden diese
dann gewöhnlich am Oberarm oder am Handgelenk
befestigt; die ganz kleinen von den Männern auch
am Glied angebunden. Letztere Tragweise läfst
auch hier oben im Grasland an einen, wenigstens
Amulett (von den rudimentären Phalluskult denken. Ich bemerke hierzu Phauus-
Joali getragen). kult?
m nat. Gr. noch, dafs ich die gleiche Gewohnheit, das Glied
hochzubinden (siehe Abschnitt V, S. 290), auch hier
oben nicht selten beobachtet habe, namentlich wenn die Leute in’s
Gefecht gehen oder auf Elefantenjagden. Ferner erinnere ich an die
S. 438 beschriebene Stellung! Auch die pfeifenähnlich geschnitzten
Holzstückchen von nebenstehender Form (Abb. 110), an einer Schnur
um den Hals getragen, halte ich fü r Amulette.
Dafs manche dieser Amulette im Laufe der Zeit ihre mystische
Bedeutung verlieren und dann blofs mehr als Schmuck dienen, ist
begreiflich. Nicht minder mit manchen anderen Gebräuchen geht es so;
wie auch umgekehrt manches, was ehedem reine Gepflogenheit ohne
religiösen Hintergrund war, abergläubisches Gepräge annimmt. Is t es