Geschlechtlich
e Anschauungen.
Die Sippe.
und durch Kultur hoch zu entwickelndes Gefühl) verletzen. Deshalb
vollzieht der Graslandneger auch den Beischlaf nie vor Andeien.
Der Anblick des nackten menschlichen Körpers verstöfst nicht gegen
dieses Gefühl, wohl aber in mehr oder weniger starkem Grade die
Bethätigung der Lebensäufserungen des Organismus. Und da ist der
Neger eigentlich noch folgerichtiger oder feinfühliger, als der europäische
Kulturmensch: auch die Zuführung der Speisen bei den Mahlzeiten
verbirgt er im allgemeinen den Blicken anderer, wenigstens
Fremder.
Ich habe oben gesagt, dafs die eheliche Verbindung beider Geschlechter
fast ausnahmslose Regel ist. Bei der geschlechtlichen Freiheit
vor Eingang einer solchen erscheint dies fast widersinnig, zum
mindesten unlogisch. Aber nur scheinbar. Die Ehe ist dem gesund
solidarisch fühlenden Graslandneger eben nicht nur die Möglichkeit,
den Trieb zur Erhaltung der Gattung zu bethätigen — das kann er,
wie wir sahen, auch ohne solche Einrichtung — , sie ist ihm mehr:
die gesicherte Grundlage, au f der sich ein Familienleben, ein festes
Stammesgefüge aufbaut. Darum ist die Ehelosigkeit mifsachtet, darum
stehen empfindliche Strafen auf Verletzung der ehelichen Treue.
Wir sehen also, wie — dem Neger selbst natürlich nicht so klar
zum Bewufstsein kommend, nur dem Instinkte einer gesunden Naturmoral
entspringend — zwei Momente beobachtet werden: In richtiger
Erkenntnis der Mächtigkeit des Fortpflanzungstriebes ist die Befriedigung
desselben gestattet. Mit Rücksicht auf das Interesse der Gesamtheit,
d. h. des Stammes, mufs seine Bethätigung eine Einschränkung,
aber keine Verminderung (darum Mifsachtung der Ehelosigkeit), erfahren;
das geschieht in der Ehe. Diese führt dann zur Bildung der
socialen Grundlage des Gemeinwesens, der Familie.
Dafs diese im eigentlichen Graslande Vorgefundenen Grundsätze
nicht über die ersten Anfänge einer rohen Naturmoral hinausgehen, •
dafs ich das natürlich nicht für weit entwickelungsfähig (und dabei
den gesunden Boden noch lange nicht verlassend) h a lte , möchte ich
hier einschalten, um nicht in den Verdacht Rousseauscher Naturschwärmerei
zu geraten. W ie ich mir diese Entwickelung denke,
gehört nicht hierher. —
An der Spitze des einzelnen Hausstandes steht der Ehemann.
Die Verwandtschaft schliefst sich enge zusammen in eine Sippe, deren
bedingungslos anerkanntes Oberhaupt der älteste Hausvater oder Ehemann
der ganzen weiteren Familie i s t Auch über die zum Hausstande
bezw. der Sippe zählenden Hörigen und Sklaven übt der „pater
familias“ patriarchalische Gewalt, zu der sogar gewisse Rechtsbefugnisse
gehören.
Die legale Form der Ehe ist die Monogamie. Und in familien - nie bi».
und erbrechtlicher Hinsicht kommt diese Form auch zur strengen
Würdigung. Die Gegenwart gestattet eine laxere Auffassung, aber nur
einseitig. Beim Weibe wird Verletzung der ehelichen Treue, namentlich
wenn sie' dem Manne gegenüber geleugnet wird, meist mit dem
Tode bestraft. Auch der Verführer verfällt schwerer Strafe. Dem
Manne ist in der Praxis Polygamie gestattet. Aber nur mit Weibern
aus bezw. in der Sklavenkaste, und nur mit Unverheirateten. Die
Stellung dieser Beischläferinnen ist aber nicht die von Nebenfrauen,
sondern eben von Beischläferinnen ohne irgend welche weiteren Rechte.
Bis zu einem gewissen Grade spielt da auch der Umstand mit hinein,
dafs Kinder nicht nur keine Sorgenquelle, sondern als zukünftige
Arbeitskräfte u. s. w. geradezu eine Vermögensmehrung vorstellen.
Eine Kindererziehung in unserem Sinne giebt es nicht. Früh wird
das Kind von den Eltern entwöhnt und sich selbst überlassen. Nichtsdestoweniger
entwickeln sich manche hübsche Eigenschaften aus gleichsam
angeborenen Instinkten, z. B. findet sich die bei allen Graslandnegern
an den Erwachsenen so angenehm berührende Artigkeit im
Verkehr schon bei den Kindern. Den Traum der Kindheit zu träumen,
ist dem Negerkinde nicht lange beschieden; recht bald tr itt die rauhe
Wirklichkeit heran, namentlich in den ärmeren Schichten der Bevölker
u n g— wie bei uns auch. Bald werden sie im Gehöft, in den Farmen
verwendet, und die kleinsten Kerle schleppen oft schwere Lasten Feuerholz
und Feldfrüchte mühsam den weiten Weg nach Hause.
m) R e c h tlic h e V e rh ä ltn is s e .
Zur Vollständigkeit des Bildes der politischen und socialen Verhältnisse
eines Volkes gehört notwendig ein Einblick in seine Rechts-
ansChauungen und - gewohnheiten. Da und dort habe ich sie bereits
gestreift. Ich lasse eine Zusammenfassung dessen folgen, was ich
darüber in s i c h e r e Erfahrung bringen konnte. Es ist wenig und
unvollständig. In diese Verhältnisse eingehenden Einblick zu gewinnen,
ist ebenso schwer, wie über religiöse Anschauungen Aufschlufs und
Klarheit sich zu verschaffen.
Drei Momente spielen bald mehr, bald weniger in alle Rechtshändel
und Rechtsentscheidungen hinein: die fatalistische Lebensanschauung,
Aberglaube und kindische Streitsucht.