Beweggründe.
Verkennung
der Schwierigkeiten
und Gefahren.
Wer diesen nicht in sich fühlt, mag er als Gelehrter, als Laie
hinausgehen, wird sehr, sehr bald vor den Hemmnissen, die Natur und
Menschen auftürmen, zurückschrecken und zurückweichen. „Weit im
Innern oder bei Lösung schwieriger Aufgaben trifft man den Salonafrikaner
nicht“, bemerkt Dr. von Wifsmann.
Warum geht denn eigentlich dieser oder jener nach Afrika?
Das ist eine Frage, die die lieben Mitmenschen recht eifrig besprechen,
wenn einer aus ihrem Bekanntenkreise zu dem für gewöhnlich
immer noch fest verschlossenen Thore unserer chinesischen Mauer
hinauszubegeben sich erlaubt. Und meist werden diese Erörterungen
im Sinne echt christlicher Nächstenliebe gepflogen. „Sehr erklärlich“,
sagen die Einen, „der konnte sich eben aus irgend einem Grunde nicht
mehr zu Hause halten.“ „ J a , ich glaube auch“, lau tet die wohlwollende
Ansicht anderer, „er hatte wahrscheinlich recht viel Schulden.“
Wer’s noch gut mit mir meinte — ich gehe die meiner Afrikafahrt
untergelegten Beweggründe zum besten — , zuckte die Achseln und
erklärte mich für einen „unruhigen Geist“. Auch ein tragisches
Geschick wurde mir aufgehalst: unglückliche Liehe h a t mich zu
unseren schwarzen Schwestern getrieben. Die thatsächlichen, doch
ein bifschen edleren Beweggründe: Eifer für die koloniale Sache,
Forschungsdrang, Streben nach einem weiteren, gröfseren Arbeitsfeld,
nach einem weiteren, gröfseren Gesichtskreis, Sehnen, die Kraft, die
man in sich fühlt, an gröfseren Aufgaben zu versuchen; ahnt und anerkennt
die Minderzahl.
Dafs auch die „uralt germanische Wanderlust“, die Yölkerwoge
auf Yölkerwoge unserer Ahnen nach allen Ländern warf, die die
Wikinger in kühnem Wagemut in ihren Drachen bis nach Island
und an das Gestade Amerikas führte, gerade in uns Deutschen
immer noch steckt, will ich gern zugestehen.
Ebenso sehr wie die Beweggründe werden auch die Schwierigkeiten,
die Gefahren verkannt, die dem Reisenden in fernen, wenig
oder gar nicht erforschten Gebieten entgegentreten. Yerkannt ist
vielleicht nicht ganz das richtige Wort; sie werden zum Teil überschätzt,
zum Teil da gesucht, wo sie sich nicht finden und umgekehrt.
Das ist einerseits in der menschlichen Natur überhaupt begründet,
andererseits teilen sich Fragende und Berichtende ziemlich gleich in
die Schuld daran.
Mit der Entfernung wächst die Gefahr; das ist ein altes und
richtiges Wort. Und je näher man ihr ins Auge schaut, desto kleiner
Anforderungen und Yorsehulung. an
wird sie in den meisten Fällen: diese Umdrehung des Satzes ist nicht
minder wahr. Auch dann ist sie thatsächlich recht oft noch weniger
grofs, als sie erscheint. Ungewohnte Umgebung, Mangel an Zeit, überreiche
Zahl an allen möglichen neuen Eindrücken erschweren eine unbefangene,
sachliche Würdigung ungemein und der Neuling wird nur zu
leicht einen an sich harmlosen Vorgang, den er sonst unter bekannten
Verhältnissen wahrscheinlich ganz richtig beurteilt hätte, als unerklärliches,
abenteuerliches Ereignis betrachten. Ich erinnere nur daran,
dafs z. B. Gegenstände und Geräusche, die bezw. deren Veranlassungen
uns bei Tage bekannt sind oder sofort erkannt werden, nicht selten
bei Nacht, im Walde, an unbekannten Orten uns fremd, unerklärlich,
ja beängstigend erscheinen.
Ich wurde einmal draufsen im Biwak nachts durch ein ganz eigenartiges,
mir vorerst unerklärbares, summendes Geräusch aus leisem
Schlaf geweckt. Ich stand auf, untersuchte aufs sorgfältigste die
nächste Umgebung. Umsonst, das rätselhafte Klingen tönte fort, bald
schwächer, bald 'stärker werdend. Ich forschte wieder und liefs’ mich
nun vom Gehör führen, das mich endlich an einen Bananenbaum
(Musa paradisiaca) leitete; was war die erzeugende Ursache? eine
lange Faser am dicken Stamm hatte sich gelöst und, oben und
unten noch festgehalten, gaben die durch den Wind hervorgerufenen
Schwingungen Töne wie von einer Saite.
Ein andermal glaubte ich , auf mehrnächtlichem, erfolglosem
Leopardenanstand in pechschwarzer Dunkelheit sitzend, endlich die
Lichter des Raubtieres flimmern zu sehen. Doch das auf den Schufs
erfolgende Schmerzensgemecker — ich hatte als Köder eine Ziege
angebunden und auf sie das Gewehr in einem Auflagegestell einge-
n ch te t - liefs in mir schlimme Befürchtungen ob des getroffenen
Wildes auftauchen. Und richtig: die Ziege war wohl getroffen; vom
Leoparden aber keine Spur, nicht einmal eine irische Fährte. Ich hatte
in memer Neulingserregung (war ich damals doch erst ein paar Wochen
im Busch) das Flimmern, das bekanntlich angestrengtes Hinausstarren
m die Dunkelheit leicht vor die Augen ru ft, für das Flimmern der
Katzenaugen gehalten.
Ähnlicher Täuschungen wird sich jeder, auch in der Heimat
namentlich, wer viel in der Natur umhergestreift, erinnern; ist ihnen
a er immer noch um ein gut Teil weniger ausgesetzt als der Stuben-
hocker, dessen Sinne das Leben in freier Natürlichkeit nie geschärft
a . Wer nicht vertraut ist mit dem Leben in Wald und Feld der
Heimat, der wird nimmer vertraut mit der Wildnis.