S c h u ld des
Berichterstatters
an
falschen
Vorstellungen.
Wahrheit:
die erste
Pflicht.
Verschulden
des
Hörers.
„Es liegt in der Natur des Menschen“, sagt Dr. Pechuel-Loesche,
„das Absonderliche und Überraschende, das Seltene und Schreckliche
so aufzufassen und darzustellen, dafs dabei das allgemein Gültige und
darum gerade Wichtigste in den Hintergrund tritt. Es wird das
Beschränkende übersehen, Ausnahmen und Regel nicht abgewogen
und der selten säumigen Verallgemeinerung vollste Freiheit gewährt.“
Naheliegend ist auch die Versuchung, zeitlich und örtlich weit getrennte
Vorgänge, die, einzeln für sich betrachtet, gewifs wahre That-
sachen sind, so darzustellen, als hätten sie sich rasch nacheinander
und in grofser räumlicher Nähe abgespielt.
So tr itt nur allzu oft auch unbeabsichtigte Übertreibung, die nicht
eigentlich Unwahrheit genannt werden kann, sondern nur aus lebhafter
Einbildungskraft hervorgeht, an Stelle des gewissenhaften Berichtes.
Auch die Hoffnung, etwas Neues, eine interessante, eine bisher noch
nicht gemachte Entdeckung zu bringen, spielt da mit herein.
Und gerade darin liegt die schwerste Schädigung jeder Forschung.
Ich möchte nur die sittliche Seite berühren. Meiner Ansicht nach
macht sich jed e r, welcher derartige schwer auf ihren Wert und Unwert
zu prüfenden Berichte b rin g t, einer sittlichen Verantwortung
schuldig. Derjenige, dem es vergönnt is t, Völker und Länder zu besuchen,
die nur wenig bekannt, von wenigen erst bereist und erforscht,
oder sogar noch gänzlich unbekannt sind, h a t die Verpflichtung, im
Dienste des allgemeinen Wissens die Ergebnisse seiner Reisen w a h r h
e i t s g e t r e u den weniger begünstigten Mitmenschen mitzuteilen. Mag
er in wissenschaftlicher Form, mag er in leichterer Art berichten,
immer mufs er sich vor Augen halten, dafs er am Tempel der Wissenschaft
mitzubauen berufen is t, und dazu dürfen nur feste, vollgültige
Steine genommen werden.
So weit trä g t die Schuld an Täuschung leider nicht selten der,
absichtlich oder unabsichtlich, unehrliche Berichterstatter. Aber, um
gerecht zu sein, kann ich dem Wissensdurstigen zu Ifruse den Vorwurf
nicht ersparen, dafs auch an ihm mindestens der gleiche Teil
dieser Schuld Regt.
Wenn einer eine Reise thut, so kann er was erzählen: so, Freundchen,
du warst weit fort, mufst jedenfalls fürchterliche Abenteuer und
Gefahren erlebt haben; und
Nichts Besseres weifs ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit in der Türkei,
•Die "Volker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trin k t sein Gläschen aus;
Dann kehrt man abends froh nach Haus
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.“
Gesteht nun aber der Weitgewanderte ehrlich, dafs er wohl viel
des Schönen, Neuen, Wissenswerten geschaut und erlebt, dafs er aber
mit dem besten Willen nicht mit einem ganzen Schock Abenteuer aufwarten
könne, weil er eben nicht so viele erlebt; da wird das Gesicht
des geehrten Zuhörers immer länger und enttäuscht denkt und sagt
er wohl auch: das ist ein langweiliger Mensch; hätte ich das erlebt
wie jener, wie wollte ich davon erzählen.
Der alte Hang des Menschen zum Wunderbaren, die mit Zähigkeit
festgehaltene Voraussetzung, dafs in der Ferne alle Schrecken
des Unbekannten den kühnen Eindringling erwarten, lassen zu streng
wahrheitsgetreuen Schilderungen die noch mehr verlangende Einbildungskraft
des Hörers oder Lesers noch das und jenes hinzu dichten;
die gleichen Kräfte, die den Erzähler unbeabsichtigte Übertreibungen
begehen lassen: Verallgemeinerung und örtliche und zeitliche Verschiebungen,
walten auch im Empfänger der an sich wahren That-
sachen und so träg t auch dieser nach Möglichkeit bei, dafs unrichtige
Bilder des Erlebten und Erforschten entstehen.
Falsche, von der Wirklichkeit abweichende Vorstellungen herr- oe&hien
T. . i t t • i v " v on Seite sehen m der Heimat insbesondere über die von Seite der „wilden, der, Tier*
. . ' — 5 “ weit.
reiisenden Tiereu vermeintlich drohenden Gefahren. In ihnen werden
vielfach die Schrecken der Wildnis gesucht. Allerdings sind Vertreter
der Tierwelt Gegenstände der Furcht, ja des Entsetzens für jeden
Reisenden in den Tropen, wenigstens in den westafrikanischen, aber
sie heifsen nicht Leopard, Elefant, Krokodil, Schlange, sondern —
Ratten, Ameisen, Sandflöhe, Fliegen.
Die Ratten fressen Stiefel u n d , Sandalen an und machen nächtliche
Kletterübungen am todmüden Schläfer; die Fliegen dringen in
Augen, Mund und Nase, zerstechen den Körper und setzen sich eitererzeugend
in Wunden; die Ameisen überziehen im Nu den wehrlosen
Wanderer, den ahnungslos Rastenden zu Tausenden und martern ihn
mit ihren Bissen; die Sandflöhe bohren sich heimtückisch unter die
Nägel der Zehen, erzeugen dort Geschwüre und machen den Menschen
oft für Wochen vollkommen marschunfähig.
Das sind die vom Wissenden wahrhaft gefürchteten wilden Tiere
der Wildnis. Von den vermeintlich so gefährlichen droht dem Menschen
fast gar keine Gefahr. Sie fliehen, wenn nicht angeschossen,
in die Enge getrieben oder vollkommen überrascht, bleiben unerreichbar