Im Dorf hatte man schon davon gehört, und aus allen Häusern
schauten die Leute und schrieen und tanzten, als wir einzogen. Zu
Garega mufste ich noch rasch, einen Schoppen Palmwein trinken.
Ganz nackt, nur schnell mit Rotholz bemalt, führte er mich in sein
Allerheiligstes, und die Köpfe tragenden Soldaten durften mit hmem.
Funkelnden Blickes betrachtete er die Schädel und liefs sich erzählen
und umarmte mich ein halbes Dutzend mal. Endlich kam ich los,
’rüber auf die Station. Dort freudig begrüfst; mein trefflicher Dr.
h a tte sogar noch eine Weihnachtsüberraschung für mich bereit, eine
kleine Pfeife“ (ich besitze sie heute noch); „dann warf ich mich um
lloo nachts todmüde aufs Lager: mein erstes Weihnachten im Busch.
— Aber die Soldaten hatten gut bestanden.“
Baliburg, 26. XII. 91 . . . Zweite gröfsere Karawane eingetroffen:
Ltnt. von Steinäcker mit 27 Dahomemännern und 22 -Weibern, wandelnde
Gerippe in des Wortes buchstäblichster Bedeutung . . . Morgen
werden gleich weitere 30 Rekruten eingestellt, nun ein zweiter Offizier
da ist. Mein selbstgeschriebenes Exerzierreglement hat sich bewährt.
Kniee lerne ich die Leute allerdings nicht durchdrücken und den
schönen Griff: »präsentieren« können sie auch nicht! . . .“
Ich mufs noch viel mehr Tagebuchseiten und Briefe ü b e r- und
unterschlagen, will ich nicht selbst dem selbst gerügten Fehler verfallen,
durch langatmige Tagebuchwiedergabe schliefslich zu ermüden.
Machen wir also gleich einen Sprung von vier Monaten.
Baliburg, 5. V. 92 . . . Seit 10 Stunden Alleinherrscher auf Baliburg.”
Heute früh Zintgraff und Steinäcker mit den Dahome und einem
Zug meiner Soldaten ins Waldland hinunter. Gestern abend noch
Palmweinumtrunk selbdritt bei selbstgebrautem Schnaps aus Spiritus
u nd Ananas. »Wer weifs, wann wir uns wiederseh’n?« Hier in diesem
Lande ist’s ja vermessen, von einem Tag zum ändern zu bestimmen.
Man h a t sich doch recht zusammengewöhnt.“
„Baliburg, 7. V. 92 . . . Nachmittags von 4°° bis 500 wütete ein entsetzlicher
Tornado. Aus Nord und Ost fegten die Hagelmassen vom Sturm
gepeitscht heran, aus pechschwarzem Gewölk zuckten ununterbrochen
die Blitze und rollte ohne Aufhören in krachenden Schlägen der
Donner. Das Gras flog von den Dächern, die Bananen stürzten zur Erde;
die. Häuser wankten, und mit einem Male schmetterte das alte Stationshaus
prasselnd zusammen. Die Soldaten, die bis zur demnächstigen
Fertigstellung von zwei neuen Kasernen hier einquartiert waren,
krochen zitternd und verstört hervor; getötet war keiner, doch einer
schwer im Kreuz verletzt, einer den Arm gebrochen, der zahlreichen
Quetschungen, Abstreifen eines Stücks Kopfschwarte ü. s. w. nicht zu
erwähnen. Die Anlagen ums Haus, erst vor ein paar Tagen von einem
Tornado zerstört und notdürftig gerichtet, sind aufs neue gründlich
dahin, ganze Bananenreihen liegen am Boden; also wieder aufs neue.
Hier lehren die Verhältnisse, die Menschen Geduld und Ausdauer.
Und wenn das noch nicht reicht, besorgt’s die Natur . . .“
„Baliburg, 8. V. 92 . . . Post! . . . Emin Pascha soll seine Seeen-
provinz verlassen und sich westlich gewendet haben; sollen Ausschau
nach Emin halten, weil er möglicherweise eine Durchquerung versucht;
und da er bei einer westlichen Marschrichtung hier wo auftauchen
könnte, ihm event. entgegen kommen . . .“
„Baliburg, 10. V. 92. Gestern abend noch 8 Bafut mit 1 grofsen
Elefantenzahn und dito Ring. Auch 20 Bagam und 40 Bali N’kunbat
sind da. Morgen empfange ich die Gesandtschaften auf der Station bei
unvermeidlichem »Umtrunk«; das erste Treffen, 24 grofse Kalebassen
Palmwein und ein paar Säcke Kola, steht bereits draufsen auf der
Veranda. . . . Heut’ ist Jahrestag meiner Ausreise nach Kamerun! Ein
Jah r verstrichen, dafs ich die Heimat verlassen und Euch, meine Lieben.
Um diese Zeit etwa, 8 00 p. m., habe ich den letzten Grufs meines
deutschen Landes gesehen, den Leuchtturm von Cuxhaven: da zieht
ein Strom von Gedanken mir heute durch den Kopf.
Mit der letzten Post kam auch, freudig begrüfst, ein Heft einer
illustrierten Zeitschrift herauf. Mit . der Stationsbücherei ist’s schlecht
bestellt: ein nautisches Jah rb u ch , Dickens’ Pickwickier und Coopers
letzter Mohikaner, das ist alles! Den »Nachtigal« h a t mir Zintgraff
mitgenommen. In den Lasten wird nach jedem bedruckten Papierfetzen
gefahndet; die lange Regenzeit mit ihren trostlosen Abenden steht ja
vor der Thüre.
Zu Hause scheint es ja mächtig zu gären; einen Aufsatz fand ich
da d’rin: »Der Geist der neuen Zeit.« Wie wohl th u t doch ’mal wieder
geistige Anregung. Hier in der Wildnis fällt sie auch, auf denkbar
besten Boden; und weit, weit weg vom Getriebe der Zeit, ist der Blick
und das Urteil auch klar und frei: ein seitab stehender Beobachter.
Was dieser Aufsatz sagt, es ist das, was in der Brust eines jeden,
tiefer veranlagten Menschen, mein’ ich, sich regt: Sehnsucht nach
Rückkehr zu der Natur. Wohl mir, dafs ich diesem Zuge gefolgt
bin. — —“
„Baliburg, 14. V. 92. Wieder sind vier Tage weiter verstrichen
und' mein schwarzes Dasein nimmt seinen gewohnten Verlauf. Gestern
abend kamen wieder ’mal ein paar Trupps Bali von einer Wege-
H u t t e r , Wanderungen in Kamerun. ^