Scheidung bringen. Garega war geradezu der potenzierte Typus der
klugen Graslandhäuptlinge, und nicht minder kommt in manchen seiner
Handlungen und Reden so kennzeichnend die kulturelle und geistige
Höhe zum Ausdruck, auf der die Grasländer stehen, dafs ich es mir
nicht versagen kann, noch einiges Charakteristische von ihm zu berichten.
Auch im weiteren Verlauf dieses Abschnittes werde ich noch
da und dort auf ihn zurückkommen.
E r war von mächtiger Figur; würdevoll und gemessen in Haltung
und Bewegungen. Aus seinem glattrasierten, bald klugen zurückhaltenden,
bald scheinbar treuherzigen Gesicht, in dem die auffallend
dünnen Lippen überraschten, schauten forschend und lauernd die grauen
Augen. Wie Wetterleuchten zuckte es oft über sein Gesicht; und als
ich damals von dem ersten erfolgreichen Gefecht mit meinen Soldaten
todmüde spät in der Weihnachtsnacht des Jahres 1891 den innersten
Innenraum seines Gehöftes betrat, glaubte ich einen schwarzen Dämon
am flackernden Feuer sitzen zu sehen, so funkelte sein Blick in wilder
Freude, während er bei Betrachtung der mitgebrachten Schädeltrophäen
sein kurzes, heiseres Lachen hervorstiefs.
Achtunggebietend in Ausübung seiner Herrscherpflichten, ehrwürdig
bei Verrichtung religiöser Kultakte habe ich ihn oft im Scherz den
„Erzbischof von Baliburg“ genannt. Feine Umgangsformen, Taktgefühl,
das gänzliche Fehlen der im Waldland so lästigen Bettelhaftigkeit der
elenden Dorfoberhäupter machten den Verkehr mit ihm „dienstlich
und aufserdienstlich“ angenehm, und ich bin stets gern, auch wenn es
keinerlei palaver gab, bei ihm gesessen.
E r war ein feiner Menschenkenner. Als ich nach Zint.gra.ffa Weggang
immer wieder aufs neue in ihn drang, doch gegen Bandeng den
entscheidenden Schlag zu führen (man erinnere sich an das in Abschnitt
I Gesagte), sagte er mir einmal plötzlich mit schlauem Lächeln:
„fürchte nichts; Dein Name allein wird genannt werden, wenn man
später von der Niederbrennung Bandengs sprechen wird!“ Ein andermal
teilte er mir mit, dafs er oft nachts mit seinen zwei Vertrauten
durch sein Dorf wandle und horche, „weil ein König doch alles wissen
müsse, was die Leute in seinem Dorf sich erzählten“ (ein schwarzer
Harun al Raschid). Die Verbrüderung durch Blutsfreundschaft pflegte
e r in die Worte zu kleiden: „wir hätten zwar zwei Bäuche, aber nur
e in Blut.“ Als er zum erstenmal eine gröfsere Anzahl Hinterlader mit
Munition und sonstige wertvollere Tauschwaren empfangen, drückte er
seinen Dank ohne Worte durch folgende symbolisch edle Handlung
aus: er liels das Grab seines Vaters öffnen, nahm von jeder Art der
Geschenke einen Teil, legte alles das in das Grab zu dem vermoderten
Leichnam, und liefs wiederum die Erde darüber häufen. Bei dem
Strafzug gegen verräterische Dörfer hatten sich die Leute des Vasallendorfes
Babossa feig benommen. Als nun eine Gesandtschaft mit Ent-
schuldigungs- und Rechtfertigungsversuchen kam, rifs er seinen nebenstehenden
Weibern die Grasbüschel, die sie vorne trag en , ab und
schleuderte sie den Abgesandten ins Gesicht: „solche sollten sie
und ih r Häuptling fortan tragen, aber keine Kriegshemden mehr.“
Mit der Mitteilung einer seine tiefe Menschenkenntnis bezeugenden
Handlungsweise beschliefse ich diese Charakteristik des Typischsten der
Graslandherrscher. Als während der Anfang 1892 im Dorfe wütenden
Ruhrepidemie die Totenklagen um die Gestorbenen gar nicht mehr
enden wollten, berief er eine Volksversammlung und verbot jegliche
weitere Trauerkundgebung: „Dieses Sterben betrifft den ganzen Stamm,
und da h a t der Einzelne kein Recht mehr, ob seines eigenen, kleinen
Leides zu klagen.“ Jeder weifs, wie leicht laute Klagen eines Einzelnen
die ganze Umgebung nieder drücken; und so war dieses Verbot Garegas
zweifelsohne das klügste Mittel, einer Verzagtheit des ganzen Stammes
entgegenzutreten.
f) S o c i a l e V e r h ä l t n i s s e .
Zu den socialen Verhältnissen der Stämme des eigentlichen Graslan
d e s1) mich wendend, habe ich zuerst die sociale Gliederung derselben
darzulegen.
1. S o c i a l e G l i e d e r u n g .
Diese ist: Häuptling, Vornehme, Freie (Bauern und [oder] Gewerbetreibende),
Hörige, Sklaven. Scharf kommt diese Stufenfolge zum Ausdruck
bei den Adamauaeinwanderern, etwas mehr verwischt bei den
Urbewohnern.
D e r H ä u p t l i n g . Hier zu Lande ist es ganz sicher richtig, wenn
es heifst: „Der erste König war ein glücklicher Soldat.“ Ein mächtiges,
tapferes, kluges Geschlecht h a t die Führerschaft im Stamme
an sich gerissen, oder is t vielleicht freiwillig an die Spitze gestellt
worden. Zeiten der Gefahr haben den Sohn als Nachfolger des
Vaters diese Führung leicht beibehalten lassen; dieser war eifrig bedacht
auf Mehrung seiner Hausmacht in jeder Beziehung, und so h a t
a) Ich bemerke ein fü r allemal: wenn ich von Stämmen des eigentlichen
Graslandes, der Baliländer (ohne weitere Bezeichnung), spreche, so verstehe ich
darunter die Einwanderer u n d Ureinwohner.