Fesseln geschlagen, jener Schönen, die mit magischer Gewalt alle, die
sie geschant, in ihre Arme gezogen. Und wer in ihnen geruht, der
k eh rt wieder; und sei es, dafs die Lurlei unterm Kreuz des Südens
ihm sein Todeslied sin g t.. . .“
„Baliburg, 13. XI. 91. Heute europäische Gemüse gesät (zweite
Aussaat) sowie sogar (vor meinem Hause) Levkojen und Löwenmaul. . . .
Zum erstenmal bereits Schneidebohnen gegessen “
„Baliburg, 14. XI. 91. Baligewand fertig geworden. Gehen morgen
hinüber ins Dorf zum grofsen Womatanz. Die Tage her ging’s eigentlich
hier genau so zu wie in einem kleinen Nest zu Hause acht Tage
vor dem ersten Kasinoball: wir sprachen selbst viel von dem grofsen
Tanz und mit den Bali, Männlein und Weiblein, war vollends von
nichts anderem mehr zu reden. Die Soldaten sind vier Tage beurlaubt.
Vor Dr.’s Haus und dem meinen safsen zwei Tage lang ein
p a a r Schneider und nähten an unsern Gewändern, was das Zeug hielt;
man hätte uns fü r die schwergeprüften Papas ballfähiger Töchter
halten können.“
„Baliburg, 15. XL 91. Die paar Tage Ruhe haben gleich in
unseren Köpfen den Sprühteufel der Bosheit wachgerufen; wir hahen
eine Zeitung herausgegeben: »Erste und letzte Nummer des Balimorgenblattes,
das auf keinem Kaffeetische eines Balihürgers fehlen sollte.«
Unter ändern Anzüglichkeiten enthielt es im Nachrichtenteil folgende
Todesanzeige:
»Gott, dem Allmächtigen, ist es nicht gelungen, den ehrengeachteten,
ehr- und tugendsamen Jüngling
Herrn Schama Ndumu,
Privatier in Bali,
bis zum Eintreffen der Post aus Kamerun am Leben zu erhalten.
Baliburg, 15. November 1891.«“ —I
du Post. Seit Anfang August, also 3*/2 Monate, waren wir ohne jegliches
Lebenszeichen von der fernen Heimat.
Man kann sich das zu Hause, wo man den Inhalt der umfangreichsten
Tagesblätter zweimal im Tage verschlingt, wo Telegraph und
Telephon Zeit und Raum, als nicht mehr vorhanden, ausschalten, einfach
gar nicht vorstellen: 372 Monate ohne Post. Ebenso wenig h a t
man aber eine Ahnung von der freudigen Erregung, wenn dieses ersehnte
Ereignis endlich, endlich Wirklichkeit wird. Schon an der
Küste; kein Backfisch in Europa, der täglich einmal nach einem
„Brief postlagernd“ am Schalter fragt, kann ungeduldiger sein als der
Weifse draufsen, wenn der fällige Dampfer einmal sich einen Tag verspätet.
Und nun erst im Innern, hunderte von Kilometern von der
Küste, in der Wildnis! Auf dem Marsche darf man von vornherein
jeden Gedanken an Post aufgeben. Auf der Station giebt das seltene
und unregelmäfsige Eintreffen solcher den gröfsten Festtag.
Zu dem ungleich lebhafteren, persönlichen Sehnen nach einem
Lebenszeichen der fernen Lieben tr itt im Innern noch ein sachlicher
Umstand hinzu. Solange keine Post —- in unserm Fall — aus dem
Waldland heraufkam, zögerte man auch stets mit dem Absenden der
eigenen. Denn im Busch ist es sehr unangenehm, wenn sich die Posten
kreuzen. Befehle, Mitteilungen u. s. w. werden un ter Umständen hinfällig
oder erzeugen Verwirrungen, die zu lösen es dann wieder ein
paar Monate braucht.' „Das ist auch so ein Hemmschuh, n u r e in e r
von den vielen, die einem das Wörtchen Geduld stets aufs neue
lehren“ ; steht in meinem Tagebuch bei einem der nicht seltenen Vermerke
über endlos langes Ausbleiben der Post.
Hat man aber endlich einen Brief in der Hand und liest voll
Freude, dafs die Lieben da droben im fernen Norden sich wohl befinden:
ein Blick auf das Datum — und man sagt sich unwillkürlich,
ja das ist alles recht gut, so stand es vor 12, vor 15 Wochen. Was
kann aber in der langen Zwischenzeit sich nicht alles ereignet haben.
Und umgekehrt geht es so den Angehörigen daheim. Ich habe auf
Baliburg mal zu gleicher Zeit einen Brief erhalten von meinem
lieben Freunde Wolfrum aus Ostafrika, und einen aus der Heimat, in
dem mir Kunde ward, dafs der, dessen fröhliche Zeilen ich eben gelesen,
vor Monaten schon am Kilimandscharo gefallen. — So etwas berührt
eigen. Mir fällt da ein Gedicht ein:
„Des Tages Glut ist vorüber;
Es sendet der Mond seinen Strabl
Yom Himmelsdome hernieder,
Durchflutend ein kleines Thal.
E r breitet sich über die Palmen
Und über das frische Grab
Des jungen, deutschen Soldaten,
Dem man drei Salven g a b .-------
Und weit, weit über dem Meere
Empfängt zu derselben Stund’
Seine Mutter von ihm ein Schreiben,
Dafs er munter sei und gesund.“
Ich habe meinen Angehörigen, die über die so langen Pausen
bitter Klage führten, den Gang unserer Postverbindung zu schildern
versucht: „ . . . Von Hamburg bis Kamerun oder umgekehrt: das ist
Postverbin-
dung zw isch
en der
Heimat und
Baliburg.