Stämmen, wo diese Reinheit und Bedeutung erhalten geblieben ist,
und die Graslandstämme gehören noch zu jenen Völkern. Mehr
als ein Umstand bestätigte das. Der triftigste Beweis wäre allein
schon un ter anderen das unentwegte Festhalten des sonst unzuverlässigen
und hinterlistigen Balistammes an unserer Sache. Nicht nur,
dafs der Grasländer erst nach langer Bekanntschaft mit dem Weifsen,
bezw. dem Angehörigen eines anderen Stammes ein Wort von seiner
Geneigtheit zu diesem engsten Bündnis verlauten läfst; einer diesbezüglichen
Andeutung des anderen gegenüber, auch wenn es der
Weifse is t, der ihm dafür begehrenswerte Geschenke in Aussicht stellt,
verhält er sich vollkommen ablehnend. E r th u t den ersten Schritt
hierzu. Das, und der beim Neger gewifs sehr ins Gewicht fallende
Umstand, dafs jegliches Gegengeschenk fü r die von ihm angebotene
Blutsfreundschaft verpönt is t, macht die Bedeutung, die er dieser
Ceremonie beilegt, klar. Aus der ängstlichen und peinlichen Vorsicht,
womit die verschiedenen Punkte eines Vertrages besprochen und immer
wieder besprochen werden, aus den mannigfachen Erwägungen und
Ueberlegungen — wovon der Neger sonst im gewöhnlichen palaver
durchaus kein Freund ist, sondern stets den Mund voll Versprechungen
und Beteuerungen hat, an die er selbst nicht im geringsten glaubt —
kann jed e r, der den Charakter des Negers kennt, ersehen, wie ernst
es die Graslandstämme mit der Blutsfreundschaft nehmen. Sie vertritt
bei ihnen vom socialen und religiösen Standpunkt aus unsere feierliche
Eidesleistung.
Gleich dieser ist sie sehr oft nicht Selbstzweck, sondern bildet
n ur vorläufige Grundlage fü r weiter auf ih r aufzubauende Unterhandlungen
u. s. w., und besagt in diesem Fall nur soviel, dafs in dem nun
folgenden palaver wahr und ehrlich und ohne Hintergedanken verfahren
werden soll. Diese eingeschränkte Bedeutung wird aber
gegebenenfalls stets v o r Abschlufs k lip p u n d k l a r ausgesprochen.
Nach einem als S e lb s tzw e c k stattgehabten Blutsfreundschafts-
abschlufs schwindet auch jegliches persönliche Mifstrauen. Es wird
u n ter anderen eine sonst ausnahmslos beobachtete, lediglich aus dem
Mifstrauen geborene Sitte nie mehr eingehalten, nämlich die, dafs der
Speisen oder Getränke Vorsetzende, also der Wirt, von jedem Gericht,
von jeder Kalebasse Palmwein oder Bier, ja von jeder Schale Wasser
zuerst kostet, bevor er davon anbietet. Bei der ersten Befreundungsstufe
— wenn ich so sagen will —, dem gemeinschaftlichen Teilen
und Verzehren einer Kolaschnitte, was immerhin auch schon eben
eine gewisse Anfreundung ausdrückt, h a t es mit der weiteren Vertrauensseligkeit
noch gute Wege. (Nicht verwechseln darf man übrigens
damit — das nebenbei bemerkt — die Gepflogenheit, beim Einschenken
das Oberste des Getränkes wegzuschütten: das ist lediglich
Artigkeit, dem gleichen Grunde entspringend, warum wir die ersten
Tropfen einer neu angebrochenen Flasche in das eigene, nicht des
Gastes Glas einschenken.)
Die Geremonieen erhellen am anschaulichsten, wenn ich den
Abschlufs einer solchen Blutsfreundschaft mit den Worten meines
Tagebuches schildere. Ich wähle hierzu jene, welche uns die Bundesgenossenschaft
der beiden Stämme Bafnen und Bamunda sicherte.
„Baliburg, 18. II. 92. Früh bereits kamen Fonte und Tituat, die
zwei Vertrauten Garegas, mit der Mitteilung, dafs die Abgesandten von
Bafuen und Bamunda bereit wären, Blutsfreundschaft mit uns zu trinken.
Um 12 Uhr mittags kamen sie auf die Station: Vier Männer aus jedem
Stamme mit etwa 20 Gefolgsleuten. Auf dem freien Platze vor der
Station kauerten sie sich im Kreise nieder um den Flaggmast, an dem
die deutsche Kriegsflagge gehifst war. Wir, d. h. Dr. Zintgraff und
ich, zogen unsere Haussagewänder an und liefsen uns in ihrer Mitte
auf dem Steinsitze nieder. Lange gingen die palaver hin und h e r;
jeder der beiden »Sprecher« jeden Stammes sprang jedesmal auf, wenn
er reden wollte, und abgerundet und ausdrucksvoll waren Wort und
Gebärde. Vor uns stand ein Topf mit Rotholz, eine Tasche, deren
In h a lt wir später kennen lernten, und hinter uns ein schwarzer Schafbock
angebunden; zwei Stunden gingen die Unterredungen hin und
h e r; endlich schritt man zum Abschlufs der Blutsfreundschaft und des
Bündnisses. Der ganze folgende Verlauf hatte bei der nun eingetretenen
Ruhe und dem Ernste dieser dunkeln Gestalten etwas' Feier-
liches. Aus der Tasche holte der »Sprecher« fü r Bafuen zuerst Kolanüsse
und Pfeffer hervor. Die Pfefferschote wurde geöffnet, Dr. Zint-
graff, ich und jeder der beiden Vertreter beider Stämme bekamen je
10 bis 12 Pfefferkörner auf die flache Hand, dazu ein Stückchen Kola.
Diese Sachen in der offenen Hand gehalten, wurde das ganze palaver
nochmals durchgesprochen: gegenseitige Freundschaft, gegenseitige
Unterstützung in allen Angelegenheiten — dann wurde Pfeffer und
Kola gekaut und gegessen. Sodann machte Fonte jedem von uns vieren
mit seinem Messer vier Schnitte in den rechten Unterarm nahe dem
Handgelenke.“ (Die Zahl der zugefügten Schnitte ist stets gleich der
der Blutsbrüder.) „Das herausträufelnde Blut ward in einer Kalebasse,
mit Palmwein gefüllt, aufgefangen, und jeder von uns vieren tran k
daraus, so dafs die Schale geleert wurde.“