Wege.
kaum Uhr und Kompaß ahlesen kann. Ein Sonnenstrahl dringt fast
nie auf den Weg — kein Glitzern und Spielen der goldenen Lichter
auf grünem Gezweig. Und stiehlt sich einmal ein schwacher Lichtblick
durch die grünen, grauen, braunen, dumpfen Laubmassen, so erfafst
den Menschen, der tagelang da unten zwischen den gewaltigen Pfeilerstämmen
des Eriodendron, dem Gewirr, Gestrüpp und Wurzelwerk, den
mächtigen Fangarmen der Lianen, ein winziges Geschöpf, mühsam
seinen Weg verfolgt, die Sehnsucht, hinauf, hinaus zu gelangen, um
nur endlich einmal wieder die Sonne und den Himmel zu sehen.
Gleichförmig, eintönig ist der Wald wie der Ocean, wenn kein
Windhauch ihn bewegt, kein Segel ihn belebt. Was heute das Auge
sieht, ist dasselbe, was es gestern gesehen h a t, was es morgen
sehen wird. Überall gerade aufstrebende Stämme, um die sich riesige,
beindicke Lianen schlingen, daran erinnernd, dafs auch in dieser
scheinbar in ununterbrochener Ruhe dahinlebenden Pflanzenwelt h a rt
und unerbittlich der Kampf ums Dasein geführt wird. Die Opfer
dieses Kampfes, die abgestorbenen, halb vermoderten Baumleichen
liegen allenthalben zu Roden und furchtbar ermüdend sind die
steten Klettereien darüber weg: bald schwingt man sich nur mit
Mühe hinauf, um ausgleitend drüben herunterzustürzen, bald ist der
Stamm bereits so verfault, dafs man bis an die Hüften durchbricht
und Staub, Moder, Insekten und Maden in Unmengen aufstört und wie
von einer Wolke davon umgeben ist. Zum Teil hängen die erstickten
Stämme noch in den Armen ihrer Überwinder, der Lianen, wie in
riesigen Klammern, die sie zwingen, hinaufzustarren in die Lüfte, gebleichte
Riesenskelette. Neue Gewächse spfiefsen aus ihnen hervor.
Unten auf dem Boden sehiefst ein Heer von B la tt- .und Schlingpflanzen
auf.
Durch dieses Chaos windet sich der schmale Pfad, bald über U rgesteinsbrocken
oder spitze Felstrümmer, bald über feinkörnigen Sand
oder lehmigen La te rit, bald durch zähen, schwarzerdigen Morast, der
zuweilen stundenweit von Wasser überdeckt ist, bis über die Mitte der
Unterschenkel reichend, hier über Riesenwurzeln und Wurzelpfeiler
kletternd, dort auf einem schlüpfrigen Stamm eine Strecke weit führend
und da überhaupt gleich einen Bach als Wegspur benutzend. Auf
diese Negerpfade ist man angewiesen, wenn man sich nicht seinen
Weg mit dem Buschmesser hauen will. Wer glaubt, man kann in
Afrika einfach nach dem Kompafs querwaldein marschieren, hat
keine Ahnung von der Üppigkeit und Undurchdringlichkeit tropischer
Vegetation.
Solche Bachbetten mit oder ohne Wasser waren mir übrigens immer
noch die liebsten Wegstrecken, wegen des meist festen Untergrundes.
Die Eingeborenen benutzen sie gleichfalls gerne, sobald sie nur einiger-
mafsen in der angestrebten Richtung führen. Da aber die Wasserläufe
meist in grofsen Windungen fliefsen, so suchen sie diese abzuschneiden
und stundenlang geht es dann in der Weise, d a ß man eine Strecke
lang im Bach läuft, dann aus ihm heraustritt, um einen allzu grofsen
Bogen abzuschneiden, dann wieder eine Weile in sein Bett hinein und
so weiter in lieblichem Wechsel .
Fast ununterbrochen, kaum d aß man auf Uhr und Kompafs
blicken kan n , mufs , das Auge bald am Boden haften, damit der
F u ß nicht über die aus ihm hervorragenden, kreuz und quer ziehenden
Baumwurzeln, oft versteckt unter Schlamm und Wasser, stolpert oder
sich in tückisch ziehenden, kleinen, zähen Ranken verfängt, bald zur
Höhe blicken, d aß der Kopf nicht anstöfst gegen tiefhängende Lianen
oder Aststrünke; die Hände müssen Zweige und Gestrüpp zurückdrücken
und im Anzug festgehakte Dornen entfernen.
Ganz grundlos wird der Weg, wenn auf ihm vorher eine Elefanten-
familie gewandelt ist; F u ß tie f eingetrampelte, mit morastigem Brack- zerstörer-
wasser gefüllte Löcher, junge Bäume, um- und ausgerissen mit ihrem
Aste-, Zweig - und Liänengerank s in d . die Spuren, die sie Mnterliefs.
Dazu kommen noch die etwa verlorenen Visitenkarten größten
Formats, d. h. ihre Losung mit außerordentlich scharfer Witterung.
Dieser, dem Elefanten überhaupt eigen, habe ich übrigens mein erstes
Stück dieses Kameruner Hochwilds zu verdanken.
Hat man sich durch all das in stundenlangem, anstrengendem
Marsche durchgearbeitet, so tö n t fernes, mächtiges Rauschen ans Ohr
und man steht an einem brausenden, breiten Wasserlauf ohne Lianenbrücke
und Furt. —
So tr itt der afrikanische Urwald dem vorwärtsstrebenden Wanderer
entgegen. Mit anderen Augen betrachtet ihn der Forscher, der Naturfreund.
Denn dem gewaltigen Vegetationsbild fehlt es ja gewiß nicht
an Schönheit, an Großartigkeit; ¡J|-. aber der, dessen Losungswort
„Vorwärts!“ lautet, h a t keinen Blick dafür frei. Diesem vom Marschstandpunkt
aus berechtigten Unmut geben naturgemäß meine Aufzeichnungen
aus diesen Tagen nicht selten recht deutlichen Ausdruck.
Zweier weiterer Hemmnisse finde ich in sehr gereizten Worten des
öftern Erwähnung gethan:
„ ...N ie d e r tr ä c h t ig wird das Marschieren in den Farmen der
Dörfer. Hier sind die Stämme einfach angebrannt und zu F a ll ge- w E ™8