“ ) A llg em e in e s . Es existiert weder ein geschriebenes Straf-
noch bürgerliches Gesetz; nur nach dem Herkommen wird gerichtet.
Beide Rechtsarten sind bei der Einfachheit der Verhältnisse und bei der
Unvollständigkeit der erlangten Kunde nicht voneinander zu trennen.
Alle Gerichtsverhandlungen beruhen auf Privatklagen, da es kein
allgemeines Recht, Polizei oder Staatsanwalt giebt. Auch ein Mord
bleibt ungerächt, wenn der Gemordete niemand hat, der Klage erhebt.
Es giebt also nur „Verfolgung und Bestrafung auf Antrag“. Bei Gefährdung
des Gemeinwesens jedoch, z. B. bei Landesverrat, Beschädigung
des Gemeindebambushaines (fast Lebensbedingung) und ähnlichem
tr itt der Häuptling als Kläger auf; desgleichen in seiner Eigenschaft
als religiöses Oberhaupt bei Nichtachtung oder Verletzung religiöser
Gesetze und Gebräuche.
Die meisten Klagesachen betreffen Beleidigungen, Landstreitigkeiten,
Diebstähle, Zahlungsverweigerungen, Ehebruchsklagen, Vergiftungen,
selten Mord. Manche Verbrechen, wie sie bei uns in erschreckender
Häufigkeit immer mehr auftreten, kommen fast gar nicht
vor, so namentlich Raub, Raubmord und Unzuchtsverbrechen. Es folgt
das mit Naturnotwendigkeit aus dem, was ich oben bei dem socialen
Gegensätze zwischen Reich und Arm, bei Schilderung des Besitzes,
der ja meist in lebenden Wesen und Immobilien besteht, bei Schilderung
der geschlechtlichen Beziehungen gesagt. Die Motive, die unsere
Kulturgebrechen in diesen Punkten züchten, fallen hier weg. Von
unseren schweren Verbrechen finden wir eigentlich nur den Mord.
Aber auch der entspringt hier fast nur der Rache, dem Hasse, dem
Aberglauben.
ß) G e r i c h t s h e r r e n . 1. Oberster Gerichtsherr ist der Häuptling.
Ihm steht das Recht über Leben und Tod sämtlicher Stammesangehöriger
zu. E r ist die oberste schiedsrichterliche Instanz fü r
den ganzen Stamm. Ob bezw. welche Vergehen seiner richterlichen
Entscheidung Vorbehalten sind, darüber konnte ich niehts Bestimmtes
in Erfahrung bringen. Desgleichen .nichts über die Abgrenzung der
Befugnisse der nächst niederen Instanz, der
2. Vornehmen und Freien, Thatsache ist, dafs, so weit dieselben
über eine Gefolgschaft, also über Hörige verfügen, ihnen eine gewisse
richterliche Befugnis über diese zusteht. Zugleich auch übt der Vornehme
die Rolle eines „patronus“ , eines Beschützers und Vertreters
seiner Gefolgsleute aus.
3. Der „pater familiäs“ (Vornehmer, Freier, Höriger) h a t eine allerdings
mehr patriarchalische Gewalt über die Angehörigen seiner Sippe
in der Entscheidung über interne Familienangelegenheiten. Indem er
aber auch eine Art Vermittler is t, der alle zuerst vor ihn gebrachte
Streitigkeiten zu schlichten sucht, kann er als unterste Instanz bezeichnet
werden. Auch er tr itt bei Gerichtsverhandlungen zunächst
für seine Familienangehörigen, und — ist er zugleich Gefolgsherr —
natürlich auch für sein Gefolge, als „patronus“ auf. Voll und ganz
ist er solcher für Seine Sklaven, die an sich rechtlos sind.
y ) S t r a f e n . 1. Körperliche Züchtigung: Peitschen.
2. Einsperren (im Gehöft des Häuptlings oder Gefolgsherrn).
3. Reu- oder Sühnegeld in Gestalt von Sklaven, Naturalien (im
weitesten Sinne) oder Geld (in „ntchang“).
4. Verkauf des Schuldigen oder Beklagten oder auch seiner
ganzen Familie als Sklaven.
5. Todesstrafe.
Die unter 1, und 2. aufgeführten Strafen dienen auch zugleich als Folter.
Zwangsmittel zur Erpressung eines Geständnisses, also gleich unserer
nur ungleich grausameren mittelalterlichen Folter.
Wann und in welchem Grade diese Exekutionsmittel angewendet
werden (so weit ich es in Erfahrung bringen konnte), ergiebt sich im
weiteren Verlauf.
8) V ö lk e r r e c h t . Förmliche Gesandtschaften sind unverletzlich
(siehe auch S. 345; dagegen vergl. S. 338).
s) F a m i l i e n r e c h t . 1. Die Ehe träg t monogamischen Charakter;
demzufolge giebt es nur e in e unter gewissen Ceremonieen geheiratete-
Frau als legitime Gattin. Die Eheschliefsung beruht auf freier Wahl
des zukünftigen Gatten, oder auf Uebereinkunft der Eltern (nicht selten
schon vor der Geburt der zur einstigen Zusammenheiratung bestimmten
Kinder), oder auf reinem Kauf der Frau.
2. Nach dem Tode eines der beiden Ehegatten ist dem überlebenden
Teile Wiederverheiratung gestattet.
3. Ehen zwischen Blutsverwandten auf- und absteigender Linie,
sowie zwischen Geschwistern sind verboten.
4. Haltung der ehelichen Treue wird verlangt. Dem Manne ist
Verkehr mit Sklavinnen gestattet in der Zeit, während deren sich seine
Frau des Beischlafs enthält, d. i. während der Regel, während eines
Teiles der Schwangerschaft, und so lange sie das.Kind, stillt (letzteres
fast ein Jahr). Auch aus religiösen Gründen setzt die Frau den ehelichen
Verkehr oft lange aus. Nicht gestattet ist dem Manne der Beischlaf
mit anderen Frauen oder anderen als Sklavenmädchen (?).