130 Bu c h X. Kap. 2. §. 15.
§. 15.
W i s s e n s c h a f t l i c h e Anstalten der Fathimiden
in Kahirah u. s. w.
Aus dem jüngsten der drei Chalifate, dem der Fathimiden
(seit 910) ist kein wahrer Beschützer und Förderer der Wissenschaften
zu nennen. Gleichwohl verdient Eins unsere Aufmerksamkeit,
das sogenannte Haus der Weisheit zu Kahirah, eröffnet
1005 durch den von seinen Anhängern in den Himmel erhobenen,
von seinen Widersachern maasslos gescholtenen, in der That
phantastisch - zelotischen und später halb wahnsinnigen Chalifen
H ' a k im Biämrillah. „Das Beste, was man über seine Veränderlichkeit
gesagt hat, versichert der ziemlich unparteiische
Maqrizi^) ist dies: All seine Handlungen waren ohne Motif, und
all die Träume, die ihm seine Narrheit eingab, einer vernünftigen
Auslegung durchaus unfähig." Sein Haus der Weisheit enthielt
eine grosse Bibliothek, und reichlich besoldete Gelehrte aller Fächer
wurden darin unterhalten. Zu ihren Vorträgen wie zu den
Bücherschätzen hatte jedermann freien Zutritt, selbst Bekenner verschiedener
Religionen; wie denn unterandern der später getaufte
Jude, als Christ bekannt unter dem Namen Constant inus Afric
a n u s , dem wir bei den Anfängen der medicinischen Schule zu
Salerno wieder begegnen werden, dort seine wissenschaftliche Ausbildung
erhielt. Man kann hierauf die Vermuthung gründen, dass
die Anstalt wenigstens ein halbes Jahrhundert bestanden habe; ob
länger, ist unbekannt; und man darf sie eben so wie die des spanischen
Ommajaden H'akim Ii. zu Cordova mit weit mehr Recht
als irgend eine Anstalt im Orient unsern Akademien vergleichen.
Der Bau des grossen manszur isehen Hospitals zu Kah
i r a h , über welches Maqrizi i) ausführlich berichtet, fällt schon in
die Zeit der Mamlukken (1283), bis zu der wir nicht hinabsteigen
wollen, und war zudem nur Heil-, nicht zugleich Lehranstalt.
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1) De Sacy cJirestomatie Arabe I, pag. 110. Eben daher, pag. 99 und 158,
entlehnte ich das folgende.
¡¿) üebersetzt von Wüstenfeld im Janus a. a, 0.
Unter den ephemeren Dynastien moslimischer Herrscher im
ö s t l i c h e n Asien und westlichen Afrika, die sich von ihren
rechtmässigen Chalifen, deren Statthalter die meisten waren, bald
losrissen, bald ihnen wieder unterwarfen oder untergingen, zeichnen
sich zwar einige Herrscher als Beförderer der Wissenschaften, mehr
noch der Poesie, rühmlich aus; ja unter denen, die auf altpersischem
Boden standen, entwickelte sich die ganze an glänzenden
Dichtern reiche neupersische Literatur, die jedermann wenigstens
aus Uebersetzungen und Göthe's Noten und Abhandlungen „Zu
besserm Verständniss des west-östlichen Divans" kennt. Es sind
aber dieser kleinern Dynastien so viele, und ihre Geschichte ist
ein so unzusammenhängendes Gewirr i), dass mir nur die Wahl
bleibt sehr ausführlich, oder gar nicht von ihnen zu sprechen. Ich
wähle das letztere, um endlich zur Hauptsache zu kommen, und
behalte mir vor, das Wenige davon, was uns näher angeht,'gelegentlich
nachzuholen. Nur eine allgemeine Bemerkung erlaube ich
mir noch. Wie die politische Zerissenheit Italiens und unsres
eigenen Vaterlandes für wissenschaftHche Entwickelung neben manchen
Nachtheilen bekanntlich auch manche Vortheile mit sich führte
namentlich die Vervielfältigung der Mittelpunkte eines erhöhten
geistigen Lebens, und die Leichtigkeit des hier Zurückgesetzten
oder gar Verfolgten dort Schutz und Geltung zu finden: so scheint
m dem weit grössern Gebiet des Islams unter weit drückenderen
Verhältnissen dieselbe Ursache dieselbe Wirkung in vergrössertem
Maass gehabt zu haben. Gar oft begegnen wir dort Gelehrten,
die bald fluchtig, bald unter sicherm Geleit von Hof zu Hof ziehen,
und auf diesen Zügen bald Kenntniss säen, bald Ehre und Reichthum
erndten. Besonders hervorragende Gelehrte beneidete wie
ernst m Italien, Ein Fürst dem andern, und suchte sie auf alle
Weise für sich zu gewinnen, an sich zu fesseln, und so steht auch
hier eine Lichtseite der Schattenseite gegenüber.
1) Sehr übersichtlich gründlich und mit vieler Kücksicht auf den Cultur-
T ^ t behandelt sie Rehm in seiner GescMcMe des Mittelalters Band IL
Abth. 2, Seite 110—319. ' '