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Buch XI. Kap. 4. §. 65.
zu finden in Salerno; kein uns bekannter Mann oder Jüngling
ging dahin zur Erlernung der Kunst, ausser Alfanus, der aller
Wahrscheinlichkeit nach sich selbst in die Schule aufnehmen Hess.
Nicht einmal die Lehrer kennen wir, die vor Constantinus den
Euf der Schule begründeten und trugen, da doch bei einer Privat-
Lehranstalt nothwendig alles von der hervorragenden Persönlichkeit
einzelner Lehrer abhing. Der einzige salernitanische Schriftsteller
vor Constantinus, den wir kennen, Gariopontus, verfasste
sein Hauptwerk, eine Compilation aus altern Schriften, nicht
selbständig, sondern er und seine Genossen nebst , einem gewissen
A l b i c i u s waren dabei betheiligt; es war ein Werk der Schule,
nicht sein eignes. Doch davon nachher. Constantinus tritt
auf: plötzlich verändert sich alles, die Namen berühmter salernitanischer
Aerzte drängen sich, zahlreiche Werke bezeugen ihre
Thätigkeit, Schüler (Aegidius Corboliensis) singen ihr Lob und
verbreiten ihre Lehre bis nach Paris. Lässt sich da zweifeln, ob
Salerno vor Constantinus schon öffentliche Lehr-, oder nur Heilanstalt
war? Und so weit ich mich umsehe, ich erblicke nichts,
was meiner Behauptung entgegenstände, ausgenommen den bei
Mazza schon in sehr früher Zeit der Schule beigelegten Namen:
S t u d i u m Salernitanum, der allerdings eine Lehranstalt anzeigen
soll. Allein grade Ma z z a ist es, gegen den ich, ohne ihn
zu nennen, von Anfang an kämpfte. Daher so viele Gespenster
in der Geschichte der salernitanischen Schule, weil man diesen
späten und kritiklosen Panegyriker seiner Vaterstadt leichtsinniger
Weise als historische Quelle behandelte, Ackermann thut es oft
noch mit diesen und ähnlichen Zusätzen: „si fides Antonio Mazzae,
qui patriam suam urbem non raro nimiis extollit laudibus."
Sprengel und Andre bedienen sich nicht einmal mehr solcher
Warnungszeichen, ihnen gilt, was Mazza fabelt, für Thatsache.
Doch dass man mich nicht missverstehe. Dankbar erkenne ich
an, was Mazza's Fleiss gesammelt hat; es kann und soll gebraucht,
nur nicht ohne Kritik gemissbraucht werden.
Doch noch eine wichtige Folgerung zu machen bleibt uns
übrig. Eine Corporation praktischer Aerzte von ausgebreitetem
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Ruf, beschränkt auf die Mauern einer kleinen Stadt, immer fest
verbunden, und Jahrhunderte lang die einzige ihrer Art, konnte
unmöglich bestehen ohne ein kräftiges Band, das sie zusammenhielt,
und vor äusserer Concurrenz, innern Zerwürfnissen sicherte»
Sie musste nothwendig nicht nur ungewöhnliche Kenntnisse und
bewährte Methoden besitzen, — wir wissen, dass beides der Fali
war, — sondern auch eine auf jenen Zweck gerichtete eigenthümliehe
Verfassung. Von andern Gilden ist bekannt, dass sie mit
besondern Statuten versehen zu sein pflegten, dass sie, wiewohl
unter republicanischen Formen, doch streng auf Subordination
hielten, und ihre Mitglieder zur Wahrung der gemeinsamen Interessen
nicht selten eidlich verpflichteten, bis später die Regierungen,
die daraus entspringende Gefahr erkennend, solche Eide
streng untersagten i). Keine Gilde hatte mehr Grund dazu als
die unsrige; nicht zehn Jahre lang konnte sie bestehen, ohne die
kräftigen Bindungsmittel eines Eides, einer Geheimlehre, und
der davon unzertrennlichen Gliederung in Meister Gesellen
u n d L e h l r i n g e , die durch Ueberlieferung von Mund zu Mund
almälig tiefer in die Geheimnisse der Schule eingeweiht wurden.
Directe historische Zeugnisse für das alles, den Eid der Gildenmitglieder,
ihre Abstufung und ihre Geheimlehre, kann ich zwar
nicht beibringen, betrachte es aber als eine unabweisliche Folge
aus der Natur der Sache. Schon das tiefe Schweigen aller Historiker
und salernitanischen Meister selbst über die innere Einrichtung
der Schule deutet auf ein Mysterium, und einmal vertraut
mit dieser Vorstellung, bemerkt man noch manches, was sie bestätigt,
und was nur darum bisher unerklärlich oder gar unbeachtet
blieb, weil man sich eine ganz irrige Vorstellung von der
Schule gebildet hatte.
Daher also die Armuth der Schule an Schriftstellern vor, ihr
Reichthum daran nach Constantinus, das heisst nach ihrer Erh
e b u n g zur öffentlichen Lehranstalt, Nicht dass es ihr
in früherer Zeit an schriftlichen Hülfsmitteln gänzlich gefehlt hätte.
1) Wilda, das Gildenwesen im Mittelalter, Seite 39 ff,
M e y e r , Gesch. d. Botanik, III.
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