462 Buch XT. Kap. 4. §. 65. B u c h XI. Kap. 4. §. 65. 463
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S c h u l e vor Constant inus Africanus nicht. Dass man sie
dafür hielt, ist, näher betrachtet, ein lediglich aus dem Ausdruck
S c h o l a entsprungenes Vorurtheil, das durch Thatsachen zu begründen
nicht einmal versucht ward, geschweige denn gelang. Man
darf jedoch das Wort Schola nur in Du Fresne's glossarium ad
scriptores mediae et infimae latinitatis nachschlagen, um sich zu
überzeugen, dass es, wie schon in der spätem Kaiserzeit, so das
ganze Mittelalter hindurch vorzugsweise das bedeutete, was man
sonst auch Fraternitas nannte, in früherer Zeit Collegium,
was wir Deutsche noch jetzt eine Gilde oder Innung nennen,
eine Vereinigung freier Personen zur Förderung gemeinsamer
Interessen. Wer sich darüber genauer unterrichten will, lese
W i l d a , das Gildenwesen im Mittelalter, Halle 1831 in 8. Hier
nur soviel, wie wir zur Beurtheilung der salernitanischen Schule
bedürfen. Das Corporationswesen wurzelte tief in der alten römischen
Municipalverfassungi), die sich in Italien auch unter den
wechselnden Fremdherrschaften, namentlich auch der der Longobarden,
lange fast ungestört erhielt 2). Corporationen zumal waren
den Gothen Vandalen Longobarden Normannen nichts Neues, sie
hatten keinen Grund dagegen einzuschreiten. Die Zwecke der
Gilden waren höchst mannichfach; nicht bloss Männer desselben
Gewerbes, mochte es ein Handwerk sein oder nicht, z. B. Kaufleute,
Briefschreiber u. s. w. vereinigten sich zu Gilden; es gab
auch Schutzgilden gegen Angriffe jeder Art; selbst Klöster verbanden
sich zu besserer Wahrung ihrer Rechte unter einander
zu Gilden. Es konnten also, wie man sieht, nicht nur Geistliche
an einer Gilde Theil nehmen, sondern dieselbe konnte sogar aus
lauter Geistlichen bestehen, ohne deshalb ein kirchliches Institut
zu sein; das heisst, die Gilde beruhete gleichwohl auf bürgerlichem,
nicht auf kanonischem Recht. Wie jedoch fast alles zu jener Zeit,
1) Dirksen, civilistische Abhandlungen, Band 11, Berlin 1820, und darin
die Abhandlung 1: historische Bemerkungen über den Zustand der juristischen Personen
nach römischem Recht,
2) Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter. Zweite Auflage
I , Heidelberg 183i, §. 120 ff.
so hingen auch die Gilden mit der Kirche auf mehrfache Weise
zusammen. Sie pflegten einen besondern Schutzheiligen zu verehren,
und ihre Zusammenkünfte, sogar Trinkgelage, mit religiösen
Feierlichkeiten zu eröffnen. Von der salernitanischen Schule wissen
wir nichts der Art, fände es sich aber, es thäte meiner Hypothese
nicht den geringsten Eintrag. Ein zweites Beispiel einer medicinischen
Gilde weiss ich zwar nicht anzugeben; sie mochten selten
vorkommen, weil damals gewiss selten viele Aerzte an demselben
Orte lebten, und wenn es der Fall war, einer den andern vielleicht
lieber mied, als suchte. Dass aber die salernitanischen Aerzte eine
solche Gilde bildeten, hat nun schon die Präsumtion für sich, und
sollte billig nicht erst bewiesen, sondern von denen, die es nicht
zugeben wollen, widerlegt werden. Doch ich scheue den Antritt
des Beweises nicht.
Ich mache zuvörderst darauf aufmerksam, wie unsre sämmtlichen
Zeugen bis auf Einen, die salernitanischen Aerzte nicht als
Gelehrte oder gar Lehrer, sondern als P r a k t i k e r rühmen. Die
einzige Ausnahme macht Ordericus Vitalis, wenn er seinen grundgelehrten
Rodulfus zu Salerno eine noch gelehrtere Matrone finden
lässt. Doch wir kennen ihn ja als Freund von Ausschmückungen;
dem Hochgelehrten eine noch gelehrtere Dame entgegen stellen,
war piquant. In der andern Stelle rühmt auch er gleich allen
Andern, nicht die Gelehrsamkeit, sondern um seine eignen Worte
zu gebrauchen, die Excellentia medicinalis peritiae der Salernitaner.
Doch gesetzt, sein erstes Zeugniss wäre ganz unverdächtig, ein
Beweis, dass die Schule Lehranstalt war, liegt keinesfalls darin.
Wichtiger ist der hier vollkommen berechtigte negative Beweis.
Eine weit und hochberühmte Lehranstalt, Jahrhunderte lang
die einzige ihrer Art, hätte sich bethätigen müssen durch ihre
Leistungen; sie hätte Schüler herbei gezogen und wieder ausgesandt
in alle Länder, ihr Lob zu verkündigen, ihre Lehre zu verbreiten.
Wo sind sie? was haben sie gewirkt? Nicht einen einzigen
kennen wir vor Constantinus Africanus auch nur dem Namen
nach. Kranke, wie Adalbero, machten die damals beschwerliche
Reise von Frankreich bis nach Unteritalien, um Genesung