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194 Buch X. Kap. 4. §. 25.
war da natürlich nicht zu denken, selbst persönliche Treue und
Anhänglichkeit kam selten vor. Sollte Ihn Sina allein eine sentimentale
Ausnahme machen ? Wäre er zu Hamadsän bis zum Sturz
der dortigen Buidenlinie als Vazir geblieben, ohne Zweifel hätte
ihm entweder der Besiegte oder der Sieger das Leben genommen.
Trotz dieser politischen Wirren war es gleichsam Mode, dass die
Fürsten ausgezeichnete Dichter und Gelehrte an ihren Hof zogen
und verschwenderisch beschenkten und besoldeten; und eben so
war es Mode, dass Dichter und Gelehrte ihr Licht bald an diesem
3ald an jenem Hofe leuchten Hessen. Warum nicht auch Ibn Sinä?
Zu bewundern ist aber, dass er, zur Sinnlichkeit geneigt, an den
schwelgerischen Höfen seiner Fürsten zu allen Arten der Ausschweifung
verleitet, die Kraft zu angestrengter wissenschaftlicher
Arbeit und die Lust daran niemals verlor.
Eine Liste seiner angeblichen Werke, die bei jedem persischen
oder arabischen Literator anders lautet, bald kürzer bald länger
ist, und viele Titel enthält, aus denen kein Seher den Inhalt der
Bücher erriethe, erlässt man mir gewiss. Wem darnach gelüstet,
der findet eine solche bei Wüstenfeld und Hammer-Purgstall. Nur
seinen Qanün und die kleine Schrift von den herzstärkenden
Mitteln darf ich nicht übergehen, und werde ein paar Worte
über seine Philosophie daran knüpfen.
Der Qanün ist, wie der H'awi von Arräzi oder der Maliki des
Ibn Alabbasz, ein vollständiges Lehrbuch der Medicin. Moderne
Praktiker, wie Freind und Andere, finden weniger eigene Erfahrung
eigenes Urtheil darin als in jenen ältern Werken, und schon einige
der spätem Araber waren derselben Meinung, schon Abulfaragi)
nennt den Maliki praktisch brauchbarer, den Qanün theoretisch
gründlicher. Ein berühmter spanischer Arzt AbulAlälbnZohr^)
achtete letztern so gering, dass er von einem ihm geschenkten
prachtvollen Exemplar desselben die weissen Ränder zu Recepten
abschnitt, weil er das Werk der Aufbewahrung unwürdig achtete.
1) Ab ulpharaji histor. dynastiar. pag. 215.
%) Nach Ibn Abi Oszaihiali bei Wüstenfeld nr. 168,
Buch X. Kap. 4. §. 25. 195
Wüstenfeld i) erzählt auch von dem wackern Abd Allatif, dessen
nähere Bekanntschaft wir später machen werden, derselbe hätte sich
mehr und mehr von der Grundlosigkeit der Alchymie überzeugt,
sich ganz zum Studium der Medicin gewandt, und gegen Ibn
Sinä's Schriften, je länger er sie studirt, desto mehr Abneigung
bekommen. Allein dabei Hess sich Wüstenfeld vermuthHch durch
den blossen AuszugÖ; aus Ibn Oszaibia• h, den er bei diesem Artikel
benutzte, irre leiten. Nach desselben Schriftstellers vollständiger
Biographie des Abd Allatif, welche uns de Sacy 2) lieferte, spricht
sich Abd Allatif'über Ibn Sinä als Mediciner gar nicht aus, sondern
erzählt nur wie er ihn für den grössten Philosophen gehalten,
bis er Alfaräbi und die Griechen kennen gelernt hätte, und wie
Ibn Sinä's Schifa (Heilung, nämlich der Seele, also sein philosophisches
Werk) ihn einst vornehmlich zum Studium der Alchymie
angereizt hätte. Dann sagt er später: „Ich erkannte die Nichtig«
keit der Chemie, ich begriff vollständig, wie diese Kunst entstand,
wer die Urheber dieser lügnerischen Geheimnisse waren, und welchen
Zweck sie verfolgten. So befreiete ich mich von zwei grossen
und gefährlichen Irrthümern, wofür ich dem Allmächtigen lebhaften
Dank zollte. Denn den Meisten gereichen Ibn Sina's Werke und
die Chemie zum Verderben.'^ Wir, meine ich, können nachsichtiger
sein, und dem Ibn Sinä einen Irrthum, den er mit seinem ganzen
Zeitalter theilte, leichter verzeihen als der durch ihn bitter getäuschte
Abd Allatif, und werden uns nicht daran stossen, wenn
er als Philosoph die Griechen nicht erreichte. Wir wollen zudem
für jetzt nur den Arzt ins Auge fassen. Man wirft ihm vor, sein
Qanün wäre ganz und gar aus galenischen Lappen zusammengeflickt.
Wahrlich! ein wunderbares Flickwerk, das der Näthe weniger
zeigt, als die bunte Garderobe, aus der es soll zusammengeschnitten
sein. Wo ist denn das galenische Werk, das die gesammte
Medicin in so streng systematischer Form enthält? Man
hat diesen Vorzug selbst zum Tadel benutzt; eben weil das Werk
1) Wüstenfeld nr. 220.
%) Äbd-Allatif, traduit par Sylv, de Sacy pag, 462, 466, 468,
13^
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