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106 B u c h X . Kap. 2. §.12.
verdanken behauptete, wie konnte der Mann in unserra Sinn
des Worts von Wissenschaft reden? Etwas anders verhält es sich
mit den von Hammer-Purgstall angezogenen Stellen der U e b erl
i e f er u n g , worunter sogar ein prunkender Panegyrikos des Studiums
der Wissenschaft und ihrer Verbreitung durch die Lehre
vorkommt. Allein schwerlich wird Herr von Hammer das Alter
und die Aechtheit dieser Stellen verbürgen wollen, und näher betrachtet
bezieht sich sogar noch in ihnen das Meiste nicht auf
Wissenschaft überhaupt, sondern auf moslimische Theologie, die
freilich fast alle arabische Wissenschaft nach und nach enger oder
lockerer mit sich zu verknüpfen wusste. Heisst es doch in Einer
der Ueberlieferungen sogar: „Der Profet Gottes, den Gott segnen
wolle, spricht: Das Trachten nach Wissen ist jedem Moslim jeder
Moslimin geboten." Sollen wir da auch übersetzen, wie Caspari^ )
wirklich gethan, das Studium der Wissenschaft? Klarer, meine ich,
konnte sich die wahre Bedeutung des Worts Ilm in älterer Zeit
nicht aussprechen.
Ueberhaupt bestanden die altern Bücher in arabischer Sprache,
abgesehen von den Erläuterungen des Korans, an die sich auch
d i ^ Grammatik schloss, fast nur in Uebersetzungen griechischer
Meisterwerke und — Sudeleien, bearbeitet durch syrische Christen
oder Juden. Sie betrafen fast ausschliesslich die Logik, die Mathematik
(mit Einschluss der Astrologie), die Medicin (mit Einschluss
der Alchymie), drei Wissenschaften, die der Koran kaum einmal
mit leisem Finger berührt; und darin finde ich den Schlüssel zu
der mir sonst unbegreiflichen Thatsache, dass der Koran nicht alle
Wissenschaft in unserm Sinn des Wort s unterdrückte. Noch während
der ersten durch die neue Lehre und durch glorreiche Kriegsthaten
hervorgerufenen Begeisterung, bevor man sich in spitzfindige
Grübeleien über den Koran verirrt und festgerannt hatte, traten
die Me i s t e rwe r k e der Gr iechen dem von Natur reich begabten
Araber plötzlich in ihrer ganzen Herrlichkeit entgegen,
1) Borhân Ed-Dini Es-Semudji enchiridion studiosi. Edid. Car. Caspar
i. Lipsiae 1838. 4. Pag. 3 des Textes und à der Uebersetzung.
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und eroberten, ohne dass er es ahnete, den Eroberer. So stand
er zwischen zwei gleich unwiderstehlichen Gewalten, der Wi s sens
c h a f t und der R el i g i o n; und da keine der andern wich, verglichen
sie sich endlich, so gut es ging. Aeusserlich beugte die
Wissenschaft ihren stolzen Nacken unter das Joch des Islam, innerlich
brannte ihre Gluth fort, und brach bald hier bald da in
einzelnen Flammen hervor. Nicht die zärtliche natürliche Mutter,
sondern die neidische Stiefmutter arabischer Wissens
c h a f t war d also der Koran; er förderte sie nicht, sondern
bändigte sie, und zwang ihr den wunderbaren Charakter auf, womit
sie uns so befremdend entgegentritt.
Als Grundzug dieses Charakters bezeichne ich die hohe, oft
b l i n d e A c h t u n g vor der e i nma l a n e r k a n n t e n Auc t o rität.
Wie der Koran in allen Dingen, so dienten griechische Muster in
einzelnen Wissenschaften dem Araber zur unabweichbaren Richtschnur.
Auch letztere staunte man fast gleich einer Offenbarung
an; sie überbieten zu wollen, vermass sich niemand; sich an ihrer
Auslegung zu versuchen, war ehrenvoll genug. Dem Inhalt gemäss,
der hauptsächlich in Ueb erlief erung fremder Gedanken und Beobachtungen
bestand, entwickelte sich die den Arabern so eigenthümliche
For m der Dar s tel lung. A. sagt u. s. w. — B. sagt
u, s. w. —, so geht es oft seitenlang fort, und wenn es hoch kommt,
so mischt sich ein kurzes bescheidenes Ich sage u. s. w. hinein.
Das ist aber in der Regel kein Wechsel von Gründen und Gegengründen,
die der Schriftsteller gegen einander abwägt, sondern
Eine Auctorität ergänz t erläutert oder bestätigt gar nur die andere.
Selbst originelle Schriftsteller, an denen es doch nicht ganz fehlt,
suchten ihren Ruhm weniger in der Originalität als in der Belesenheit,
und aflfectirten wohl gar den Schein blosser Compilatoren,
indem sie ihr Eigenthümliches so darzustellen suchten, als wäre es
längst ausgesprochen, und von ihnen nur vermöge umfassenderer
Gelehrsamkeit aus dem Dunkel der Vergessenheit aufs neue hervorgezogen.
Nicht ohne Einfluss auf diese Form der Darstellung
war vielleicht auch der Druck des Despotismus. Einen eigenen
Gedanken keck hinzustellen konnte oft gefährlicher sein, als ihn
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