derung und Veredlung dessen vorbildend, was er in geistiger Ueberlegenheit beherrscht,
tritt hier den übrigen Geschöpfen feindlich entgegen; scheu ziehen sich diese yor ihm zurück,
und solche, die längere Angewöhnung ah ihn gefesselt hat, erscheinen, der freien derben
Lust des Daseynsv verlustig, oft wie krankhaft in seiner Nähe, indem an ihnen das Streben
noch um so offenbarer wird, ein unerreichbares Vorbild darzustellen. So entsteht ein un-
abweisslicher Gegensatz zwischen dér Geschichte des Menschengeschlechts und dem Still-le-
ben der vielartigen Gestalten des Thier- und Pflanzenreiches. Je vollkommner und menschlicher
sich jene in der Bildung, Entwickelung und im Conflicte der Völker gestaltet, um so
gewalligef^zerstört sie das ursprüngliche Leben dieser. Die Civilisation, welche die Oberfläche
des Erdbodens umformt, Sie vertreibt zugleich, sie verändert, vernichtet die schwächeren
Geschöpfe; unersättlich, am Ende selbst die Humanität bedrohend, reisst sie die ganze Natur
um siph her in ihren mächtigen Strudel hinein. W ir kennen gögenwärtig nicht einmal das
Vaterland jener dem "Menschengeschlechte befreundeten Pflanzen und Thiere, welche sich uns
im Laufe der Jahrhunderte zinsbar unterworfen haben. 'Europa, der Heerd gewaltiger Erschütterungen
in der Geschichtet,der Völker, besitzt gleiclisaih nur Flüchtlinge und Beste aus
dem ursprünglichen Leben seine® Pflanzen - und Thierwelt. Ganze Formationen des früheren
Lebëns hat der Zorn himmelstürmender Giganten, verkohlt oder versteinert, der Erde
wiedergegeben; jene Kinder früherer Jahrtausende hingegen, welche, der furchtbaren Katastrophe
entronnen, noch jetzt auf dem europäischen Boden hausen, wir finden sie harmlos
und sich selbst angehörend nur ""noch auf den Höhen der Alpen, wo die Freiheit wohnet,
oder zu dunklen Urwäldern vereinigt, und in den Sümpfen, die bis jetzt der umgestaltenden
Menschenhand getrotzt haben. Gering nur an Zahl sind jene" Pflanzen, die, auf andere
Weise selbstständig, gleichsam den menschlichen Fleiss verhöhnend, als Unkräuter in seine
Culturen sich eingedrängt, und da ein neues Vaterland erworben haben. America dagegen
ist ein unberührter Boden. Hier hatten nur wenige Bergvölker, zu Monarchien und
Hierarchien entwickelt, angefangen, einen umbildenden Einfluss auf ihre Erde und deren
Bewohner zu äpssern; sie selbst sind jetzt verdrängt, ja verfolgt von den Ankömmlingen
aus Osten', und noch ufientweiht von Civilisation liegt der grösste Theil des Ungeheuern
Contincntes vor uns; auf ihm erneuern von Jahr zu Jahr Pflanzen und Thiere in angestammter
Weise die ruhigen Begébnisse ihres einförmigen Lebens, bis die Gescniéhte des Menschen,
unaufhaltsam voranschrèitend, auch ihnen éin Schicksal anweissen wird.
Man kann daher "*jétzt noch von einer u r s p r ü n g li c h e n P h y s io g 'n om ie America's
sprechen; und insbesondere ist es das grosse, die verschiedensten Klimate umfassende
Brasilien, wo sich die eingebornen Schöpfungen in ihrer vollen Eigentümlichkeit darstellen.
Die Pflanzen sind das Kleid der Erde ; durch die Unveränderlichkeit ihres Wohnorts,
durch die Leichtigkeit ihrer Vermehrung und die Fülle, womit sie sich hier ausbreiten, endlich
durch den magischen Einfluss, welchen sie überhaupt auf das Gemüth des Menschen ausüben,
werden sie'igleichsam der Abdruck des ganzen Lebens in diesem Weltthëile. Die
Thiere, unstät hin und her'schweifend, fesseln nur voi'übereilend in dem dichten Urwald
oder auf der unübersehlichen Grasflur die Blicke des Beobachters; sie vollenden zwar das
Bild dieser eigentümlichen Schöpfung, aber in dem gewaltigen Still-leben der Vegetation
scheinen sie mit einer untergeordneten Bolle zufrieden.
Wie ües.Bftanzenreich in äcr V e r e in i g u n g seiner vertchiedenen-Gcstalten der Erde
Brasiliens eineft !)ljgj*leinen landschaftlichen Charakter verleiht, • wie,Wald nnd Flur, aus
dem Zusammentritte£<ler vielseitigen Menge gebildet, unter hesondern Einflüssen des Klima
und des Bodens lieh zu gewissen Hauptformen entwickeln., in -welcher Ausdehnung und unter
welchen Verhältnissen diese in gegenseitiger Begrenzung wechseln, hübe ich bereits an
einem Orte dafzustellen versucht») J e * J » r nun möge, mir der freundliche Leser auf entgegengesetztem
Wege folgen , und diejenigen Pflanzenformen im E in z e ln e n kennen lernen,
welche,^bezeichnend für die Physiognomie Brasiliens , und somit gewissermaassen des ganzen
tropischen America, vor alleneine genauere und von der Phantasie fasslich^Beschrei-
bung verdienen.
Jede Gestalt im Pflanzenreiche, die einfachste wie die zusammengesetzteste, wird
durch dasjenige Organ bestimmtft%elches wir mit einem allgemeinen und vieldeutigen Namen
das B l a t t nennen. Nicht .nu rd ass^es Blätter sind, die, nach einer wundervoll gesetz-
massigen Metamoiphose umgebildet, sich zu den zarteren Formen der-Blumen gestalten,,
und aus denen endlich die Frucht hervorgeht, die, ebenfalls ein oder mehrere umgewandelte
Blätter, den Bildungsgang des Gewächses momentan oder für immer hemmt, so
ist auch das gesammte Gerüste, an welchem sich die Blätter erheben: — der Halm des Grases,
der Strunk des Farnbaums,- der Schaft einer Palme, der Stamm des Eichbaumes, — das
naturgemässe Resultat eben jener vielgestaltigen , sich in mancherlei Successionen übereinander
erhebenden Blätter. Da wo diese Blätter mit der sie tragenden Achse (bei der ersten
Entwickelung, aus dem Saamen, mit dem Mittelkörper des .Keims), verbunden sind, aus
dem sogenannten Knoten, entwickeln sie, jedes für sich, eine neue SucÖession ähnlicher,
nach Oben hin metamorphorsirter Blätter, und Stamm und Aeste, nach und nach durch
gleichzeitige Ablagerung von Zellen, Fasern und Gefässen zu festem Holze verdichtet, mächtig
in Länge und Breite gedehnt,, sind der derbere, beständige Grundbau, erzeugt zugleich mit
dem gesetzmässigen Spiele der Wanderung und des Wandels vorübergehender Blätter. So
erscheint uns jede Gestalt im Pflanzenreiche als das verkörperte Bild einer gleheimnissvollen
Magie, womit, in jedem Gewächse nach eingebornem Drange, die hinfälligen zarten Blätter
hervortreiben£ und, verwandelt oder nicht, aus ihrem Schoosse zeugend o.der. unfruchtbar,
wieder vergehen. Ein grosses Gesetz der Bewegung des ursprünglich Einförmigen schafft
jenes bunte, heitere, Gemüth erhebende^KleidVder Erde e-~ die unschuldige Pflanzenwelt.
Wenn somit unser Sinn von dem allgeöicmen Umrisse des mächtig verästeten Ulmbaums,
der freiemporstrebende Palme, des im Winde schwankenden Rohres gefesselt wird, wenn die
Farbe (n der überschwenglichen Fülle grünen Laubes oder, in der Pracht schimmernder
Blumen auf hüser Gemüth wirkt, so liegt unserer Anschauung ein dunkles Gefühl von der
herrlichen Einheit und Harmonie der Architektur zum Grunde, womit die Pflanzen sich
aufbauen.
Diese allgemeine Betrachtung dürfte einleitend hier am rechten Orte seyn, wenn wir
die Hauptformen des Pflanzenreiches genauer bezeichnen wollen, die den landschaftlichen
*) Die Physiognomie des Pflanzenreichs in Brasilien, eine akademische Bede. München 1824.