gen, die in verborgener Tiefe des flüssigen Elementes wohnen, und
nur selten zum Schrecken und Unheil der Menschen daraus aufsteigen.
In Europa bewundern wir die Kunstschöpfung eines Laocoon, aus dieser
Sage hervorgegangen; in America wird die Phantasie von den colos-
salen Dimensionen ergriffen, unter denen sich das Ungeheuere darstellen
soll. Die neuerlich so vielfach bestätigte Erscheinung der Meerrie-
senschlange an den Küsten von Nordamerica erhöht die Wahrscheinlichkeit
eines ähnlichen Factums in den lebensreichen Fluthen des Amazonas;
freilich aber ziehen die Indianer den einfachen wahren Thatbestand
durch allerlei seltsame Ausschmückungen in das Reich der Fabel hinüber.
So soll die Flussmutter von Zeit zu Zeit mit einem glänzenden
Diademe erscheinen, oder ihren Kopf leuchtend aus dem Wasser em-
perheben, wenn eine ungewöhnliche Verminderung des Wasserstandes
und davon abhängige Krankheiten eintreten werde. Die Zuversicht,
womit der Indianer solche Mährchen vorträgt, gehört zu den eigen-
thümlichsten Zügen seines Charakters, und der Reisende in diesen Ländern
mag durch sie aufmerksam gemacht werden, von allem, was er
aus dem Munde der rothen Menschen erfährt, einen Antheil des Wunderbaren
dieser phantastischen Neigung zuzuschreiben. Das Aufschmücken
einfacher Naturerscheinungen mit dem Glanze des Wunderbaren
ist die einzige Poösie, deren der Indianer, nach seiner trüben und verdüsterten
Gemüthsart, fähig ist. Auf gleiche Weise hat denn auch
fast jedes Naturfactum , das sich durch eine hervorstechende Eigenthüm-
lichkeit auszeichnet, eine Fabel erhalten. Von vielen Thieren und Pflanzen
weiss der Indianer die abentheuerlichsten Dinge zu erzählen. Die
Fabel von den Amazonen, von Menschen ohne Kopf und dem Gesichte
auf der Brust, von andern, die einen dritten Fuss auf der Brust oder
einen Schweif besässen, von der Verbindung der Indianerinen mit den
Coataaffen u. dgl. sind ähnliche Ausgeburten der träumerischen Phantasie
dieser Menschenrage.
Die Fahrt durch den engen Canal von Uruara, welche man zu
sieben Legoas anzuschlagen pflegt, ward bis zum Abend des 16. Sept.
glücklich beendigt, da wir wieder in den Amazonas selbst kamen. An
seinen Ufern oder auf den Sandbänken (Prayas) in ihm, wo sie schon
entblösst sind, die Nacht zuzubringen, ist immer dem Aufenthalte in
den Canälen vorzuziehen. Die freiere Aussicht über einen Theil des
gewaltigen Stromes und der sanfte Luftzug, wodurch wenigstens manche
Mosquiten hinweggescheucht werden, sind Annehmlichkeiten, zu denen
sich noch die ergiebigere Fischerei gesellt; denn sehr selten warfen die
Indianer ihre Angeln aus oder trugen das grosse Netz durch einen Theil
des Stromes, ohne einen reichlichen Fang an grossen und kleinen Fischen
zu thun. Unsere Indianer freuten sich immer schon im Voraus
auf den Augenblick, wo sie das Ruder verlassen, und sich diesem Lieblingsgeschäfte
hingeben konnten. Kaum stand das Fahrzeug still, so
warfen Diese schon vom Vordertheile ihre Angeln aus , Jene sprangen
unter Jubel über Bord, um einen günstigen Ort für die Ausbreitung
des Netzes zu suchen, und Andere sorgten alsbald Feuer anzumachen,
und die unter lebhaftem Geschrei herbeigeschleppte Beute zuzurichten.
Eine mässige Portion Branntwein, die wir bei solcher Gelegenheit aus-
zutheilen nie versäumten, hatte die gute Wirkung, sie heiter, gesellig
und thätig zu machen. Der Indianer ist eben so geschickt im Fischfänge
als auf der Jagd. Weithin im Wasser erblickt und unterscheidet
er die verschiedenen Fische; er wählt mit Umsicht diejenige Art des
Köders, dem die eben gegenwärtigen Fische vorzugsweise nachgehen,
und handhabt die Werkzeuge mit unglaublicher Behendigkeit. Selten
ist seine Angelschnur an einem Stocke befestigt; er rollt sie künstlich
zusammen, wirft sie weit ab vom Ufer in den Strom und fühlt, ohne
zu sehen, die schwächste Bewegung, welche der angelockte Fisch mit
der Angel vornimmt. Oft hörte ich die Indianer behaupten, dass die
Fische nicht sowohl durch den Geruch als durch die Gestalt des Köders
angezogen würden; und zu meinem nicht geringen Erstaunen fingen-
sie gerade nur denjenigen Fisch, dessen eigenthümlichen Köder sie aus
einem wollenen Lappen, aus Papier, Rinde, einem Insecte, Salzfisch
oder Fleisch eben so fertig als täuschend gebildet hatten. Wenn man
bedenkt, dass unzählige Stämme der brasilianischen Ureinwohner, die
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