eher-, je öfter das Bewegungsmittel selbst verändert wird; man reitet auf verschiedenen Thieren
bald in grosser bald in kleiner Gesellschaft, man fährt auf mehr‘oder minder schlechten Wegen,
man beschilft die Binnenwasser, und mitunter wird auch zu Fuss gegangen. Auf welche Einheit
der Geschwindigkeit kann sich nun nach zurückgelegtem Wege die Angabe der Distanz
gründen? Dazu kömmt noch, dass der Reisende immer in Eile und mit tausend Dingen beschäftigt
ist; er tragt daher in sein Tagebuch bloss eine Zahl ein, und nicht einen Punct in eine
Karte, wie der Seefahrer, Wenn er also eine Unmöglichkeit oder einen Widerspruch aufschreibt,
so kann selbst ein Bedenken oder ein Zweifel nur dann erst entstehen, wenn er längst schon
von Ort und Stelle entfernt ist, und der Eindruck der vielen kleinen Umstände, welche eine
Reise begleiten, und auf die Schätzürig*des Weges Einfluss haben, durch ihre ungeheuere Anzahl
geschwächt, oder, durch die natürliche Beschränktheit jedes Gedächtnisses vernichtet ist.
Man nimmt nun zur Controlle, und oft als einzige Quelle, zu einem zweiten Mittel
seine Zuflucht, nämlich zur Aussage der Eingebomen, so weit sich‘diese benützen lässt, und in
der gewöhnlichen Würdigung wird auch diesem Mittel ein Werth beigelegt, den es nie und nirgends
hat. Man nimmt als Axiom an, dass ein Mensch die Distanzen der ihn umgebenden
Puncte nothwendig kennen müsse. Allein die Angabe von Entfernungen beruht auf der Vergleichung
mit einer Einheit, und für die bei weitem grösste Mehrzahl der Menschen ist- diese Operation
schon viel zu geistig. Es kann sich treffen, dass ein Mensch durch die Frage nach einer
Entfernung zum erstenmale dahin gebracht wird, sie zu schätzen, und dann bestimmen seine
Angaben nur allein jene Umstände, welche für ihn die neuesten, und in seinem Gedächtnisse die
frischesten sind, und das Urtheil des Reisenden selbst bestimmen. Je einförmiger eine Gegend
ist, desto schwieriger wird die Schätzung der Distanzen, selbst für den Geübten, und sie würde
bei vollkommner Einförmigkeit auch vollkommen unmöglich. - Niemand kann auf offnem Meere,
in einem dichten Walde, oder auf einer ausgedehnten Steppe sagen, wie weit er gekommen sey,
sondern nur höchstens, wie lange seine Bewegung gedauert habe. Ein uncultivirtes Land nähert
sich unter jedem Himmelsstriche dieser voUkommnen Einförmigkeit, und der Mensch-, der es be-,
wohnt, hat auch keine Anforderung, Entfernungen zu vergleichen, und sich für. seinen Gebrauch
eine Einheit zu abstrahiren. Seine Angaben sind daher grossentheüs nur augenblickliche Einfälle
die desto trüglicher sind, je grösser die fraglichen Entfernungen sind. Für kurze Distanzen
ist dem wilden Bewohner eines wilden Landes die Schussweite die Einheit, für grosse hingegen,
welche nicht auf einmal übersehen werden können, hat er gar kein räumliches Vergleichungs-
mittel, sondern er schätzt die Dauer seiner Bewegung nach dem Stande der Sonne, oder auch
nach der Erschöpfung seiner Kräfte, nach seiner Ermüdung, und nach der Intensität seinem Hungers.
Auf welche mannichfaltige Weise die Angaben der Eingebomen täuschen, kann man selbst
in unsem Ländern sehen. Frägt man um Entfernungen, welche.kürzer sind, als eine Tagreise,
so hat aüf die Aussage des Eingebomen das gebräuchliche Bewegungsmittel seiner Gegend Einfluss.
Ob man nämlich für gewöhnlich zu Fuss geht, oder reitet, oder mit Ochsen oder Pfei-
den fährt, bildet nach und nach und von früher Jugend an in dem Eingebomen die Gewohnheit,
und ein unbestimmtes Gefühl einer specifischen Geschwindigkeit; alle seine Aussagen gründen
sich auf diese Geschwindigkeit, und haben daher nichts weniger als einen geometrischen Sinn.
Ist aber dieser nämliche Mensch gezwungen, sich über Entfernungen auszudrücken, welche die
Länge einer Tagreise übertreffen, dann werden seine Angaben auch völlig imbrauchbar, denn in
seiner Aeusserung steckt dann der Irrthum seiner Gegend und derjenigen zugleich, in welcher
er nicht zu Hause ist, und also wieder andere Menschen fragen musste. Es ist auch sehr häufig
der Fall, dass alle Einwohner einer Gegend irgend eine Distanz auf ganz gleiche Art angeben,
die jedem Fremden als unrichtig auffällt, und dié-'also, wie jede andere Tradition, ohne Prüfung
vom Vater zum Sohne geht. Man kann sich über alles Dieses eine sehr genaue Vorstellung verschaffen,
wenn man mit Soldaten spricht, welche die Feldzüge in wenig cultivirtenLändern mitgemacht
haben, und wenn man Einwohner solcher Gegenden vernimmt, welche geometrisch aufgenommen
wérden.
Zu den beiden eben betrachteten Hiilfsmitteln kömmt in Bezug auf America'noch ein
drittes, nämlich die Aussagen der Indianer über Gegenden, welche der Reisende selbst nicht
betreten hat. Sehr oft kennen diese Indianer die, Gegenden, die sie beschreiben, nur aus
Streifzügen im Kriege oder auf der Jagd, oder aijch nur vom Hörensagen, oder sind durch dieselben
auf der Flucht oder Desertion gekommen. Dass solche Aussagen nur zufällig zur Wahrheit
führen können, braucht kaum gesagt zu werden, und es mag manche geographische
Fabel in dieser Quelle ihren Ursprung haben. Ein Reisender braucht selbst nicht einmal leichtgläubig
zu seyn, um auf diesem Wege getäuscht zu werden. Ein Hang zur Nachahmung, und
eine besondere Geschicklichkeit darin, charakterisirt in der Regel alle Wilden. Wenn nun so
ein Mensch einen europäischen Reisenden eine Zeit lang begleitet, so gehört es unter seine Lebensgenüsse
, sich ihm in seiner eignen Meinung ähnlich zu machen, und zu diesem ihm angenehmen
und behaglichen Gefühl kömmt er in kurzer Zeit. Er dünkt sich nun eben so gereist zu
seyn, eben so gesehen und beobachtet zu haben, wie der Europäer, und seine Beschreibung
wird nach dieser imaginären Scala entworfen. Der Europäer ist nun angelogen, ohne dass der
Indianer lügen wollte, und die Nachahmung ist so glücklich ausgefallen, dass der Europäer keine
Ursache zum Zweifel findet, sondern die Aussage in sein Tagebuch aufhimmt.
Da diese bis jetzt betrachteten Hülfsmittel in Bezug auf das Innere von Südamerica oft
für grosse Strecken die einzigen sind, so lässt sich denken, welche Verwirrung das erste Brouil-
lon einer Gegend darbieten müsse, das zuerst nach ihnen allein entworfen wird. Wenn die eine
Reise in der Richtung von Osten nach Westen, und eine andere von Westen nach Osten gemacht
wurde, und Distanzen und Richtungen aus sehr entferntenAnfangspuncten durch die oben
betrachteten Hülfsmittel abgeleitet sind, so sieht manchmal das Flussgerippe gerade so aus, als
wenn man blindlings Striche auf das Papier gemacht hätte. Dieselben Flüsse erscheinen nicht
bloss alle zweimal, und durchschneiden sich selbst unter beträchtlichen Winkeln, sondern man
ist nicht einmal über ihre Anzahl sicher. Irgend ein Fluss macht etwa eine starke Krümmung,
der Reisende hat ihn zweimal passirt, und jedesmal unter einem anderen Namen eingetragen; er
glaubt selbst, er habe zwei Flüsse passirt. Der, welcher aus der entgegengesetzten Richtung kömmt,
hat die Krümmung nicht getroffen, hat ihn nur einmal passirt, und einen anderen Namen gehört.
Nun stehen drei Flüsse im Brouillon, die jeder Annahme und Uebereinstimmung widerstreben,
und da drei Namen Vorkommen, so bemüht man sich vergeblich, die Wahrscheinlichkeiten
auszumitteln, um die drei Flüsse zu construiren. Man muss sich indessen für irgend eine
Hypothese entscheiden, und da es in dem vorgestellten Falle nicht möglich ist, auf die Wahrheit zu
kommen, so wird bei jeder Annahme das ganze Flussgerippe eine blosse Anamorphose. Es kann
sich dabei auch ereignen, dass man durch eine bessere Darstellung des einen Reisenden verführt,
gerade das für wahrscheinlicher annimmt, was sich weiter von der Wahrheit entfernt. Nach