von der gewaltigen Krise der Natur. Aber sie kommt ; raschen Schrittes
und unabweissllch wird sie hereinbrechen: schon erkältet sich die
Luft, die Winde fahren wild gegen einander; sie wühlen den Wald
auf, und dann das Meer, das immer schwärzer einherwogt, und die
Flüsse, die dunkler, und vom Winde übertönt lautlos dahin zu fliessen
scheinen. Der Sturm ist da! — zwei, dreimal reisst ein fahler Blitz
durch die Wolken; zwei, dreimal rollt der Donner, rollt langsam,
ruhig, erbebend; Tropfen fallen. — Die Pflanzen athmen aus der Ermattung
neu auf; ein neuer Donner, und — nicht Regen, Wasserströme
giesst nun der erschütterte Himmel aus. Der Wald erseufzt; das
lispelnde Plätschern der bewegten Blätter wächst zum Rauschen an,
zum weithin tönenden dumpfen Getrommel. Blumen schwanken, Blätter
fallen, zerrissene Aeste, morsche Stämme stürzen; mit Gewalt nimmt
der Orcan den letzten Reiz der Jungfräulichkeit von den niedergedrückten
Pflanzengeschlechtern. Warum auch nicht? — Haben sie nicht
geblüht und geliebt; kräuselt nicht die Inga ihre bereits entleerten
Staubfaden zusammen; lässt nicht die Banisterie die goldnen Blättchen
von dem bereits befruchteten Kelche fallen; giebt nicht der Aronschaft
fruchtschwer seine verwelkte Hülltute dem Sturme Preiss? — Auch die
Thierwelt hat diese furchtbare Stunde ergriffen; verstummt, entsetzt
flattert das Gefieder des Waldes am Boden; zitternd suchen die zahllosen
Geschlechter der Insecten unter Blättern, an Stämmen Schutz;
von Krieg und Mord abgemahnt lässt das Säugthier nach in der Verfolgung;
nur die kaltblütigen Amphibien freuen sich der herabstürzenden
Fluth, und tausendstimmig singen die Chöre der Frösche und Unken
aus den feuchten Wiesen auf. In Bächen rauscht das trübe Wasser
durch die engen Waldwege dem Strome zu, oder ergiesst sich in
die Risse des Bodens. Mehr und mehr nimmt dabei die Temperatur
der Luft ab, die Wolken entleeren sich allmälig, — aber nur noch
kurze Zeit, und der Sturm ist vorüber. In verjüngtem Glanze tritt
die Sonne aus lang gedehnten Wolkenschichten hervor, die mehr und
mehr auseinander ziehen, nach Süden und Norden sich senken, und
wie am Morgen in dünnen, leichten Gestalten den azurnen Grund des
Firmaments umsäumen. Schon lächelt der Himmel aus tiefblauem Auge
die Erde wieder an, und bald hat sie den Schreck vergessen. Eine
Stunde länger, und keine Spur des Sturms ist mehr vorhanden; in
neuer Frische, vom warmen Sonnenstrahl abgetrocknet, stehen die
Pflanzen, und das Thier bewegt sich wieder nach alter Weise, den
angestammten Trieben Folge leistend. So zieht der Abend heran, und
neue Wolken erscheinen zwischen den weissen Flocken am Horizonte;
sie führen bald einen violetten, bald einen fahlgelben Schein in die
Landschaft ein, der harmonisch den Hintergrund der hohen Waldung,
den Strom und das Meer verbindet. Die Sonne sinkt, und tritt, umgeben
vom buntesten Farbenschmelze, aus dem westlichen Thore des Firmaments
; Ruhe und Liebe hat sie der Creatur zurückgelassen;
mit dem Dunkel des Abends wird Thier und Pflanze zu neuen Ahnungen
fortgerissen, und trauliches Geflüster und. Schwirren belebt die
Schatten des Waldes; verjüngte Liebessehnsucht athmet in den wollustreichen
Düften, die aus neu erschlossenen Blumen strömen: die Natur
überlässt sich dem gewaltigen Zuge des Geschlechtes. Noch schwimmen
einzelne Lichtblicke im Abglanz der untergegangenen Sonne um
die Firsten, da steigt in stiller Kühle, ruhig, mild und geisterhaft, der
silberweisse Mond über den dunklen Wald hervor, und in neue, weichere
Formen verschmelzen sich die Gestalten. Es kommt die Nacht;
in Schlaf und Traum sinkt die Natur, und der Aether, sich in
ahnungsvoller Unermesslichkeit über die Erde wölbend, von zahllosen
Zeugen fernster Herrlichkeit erglänzend, strahlt Demuth und Vertrauen
in das Herz des Menschen: die göttlichste Gabe nach einem Tag des
Schauens und des Geniessens.“
In gleicher Folge, wie diess allgemeine Bild sie schildert, treten
hier in Para **•) von Tag zu Tag, wenigstens einen grossen Theil des
*) Unser erster Aufenthalt zu Para fiel in die Monate Juli und August, der zweite in
April, Mai und Juni. Wir lernten daher den Wendepunct in diesem Aequatorialklima, welcher
in die Monate October nnd November fallt, nicht aus eigener Anschauung kennen. Von August
bis October wird ’das Klima immer trockner, und man beobachtet dann die Regen weniger
114