gen N. W. vorwärts zu steuern. Unglücklicherweise ward das Wetter
immer trüber, wir verirrten uns einigemale zwischen den Windungen
der stillen Gewässer, welche wir der Sicherheit wegen aufgesucht hatten,
und schifften, bald mit kleinem Winde segelnd bald rudernd, den
ganzen Tag hin * ohne einen bewohnten Ort zu finden, wo wir den
Kranken sicherer Pflege hätten übergeben können. Dieser Umstand versetzte
uns in die peinlichste Unruhe, denn wir brachten bei längerer
Anwesenheit des Kranken auf dem kleinen Schiffe die ganze Mannschaft
in Gefahr, und hätten die Indianer eine Ahnung von derselben gehabt,
so wären säe wahrscheinlich an das Ufer geschwommen, und hätten
uns unserm Schicksale überlassen. Nach Sonnenuntergang waren wir,
wie sich am andern Tage auswiess, nur eine Legoa von dem kleinen
Orte B rev es auf der Insel M arajö entfernt; allein da sich der Wind
stärker und stärker, erhob, und uns auf irgend eine der. vielen Sandbänke
in dieser Gegend zu treiben drohte,.;so wagten wir, bei tiefer
Dunkelheit einer sternlosen Nacht und vollkommener Unkenntniss der
Oertlichkeit, nicht die Reise noch weiter fortzusetzen. Mit Mühe brachten
wir das Fahrzeug am Ufer der Insel in Sicherheit und erwarteten
voll bängliche^ Gefühle den Morgen. An Schlaf durften wir um so weniger
denken, als das Fahrzeug von den gewaltig bewegten Wellen
ohne Unterlass hin und her und einigemale so heftig an einen vorher
unbemerkten Baumstamm im Wasser geschleudert wurde, dass es aus
den Fugen zu gehen drohte. Mit Mühe lichteten wir den Ankerund.
Hessen ihn vyeiter seewärts wieder fallen; doch vergeblichi da er in
dem tiefen Schlamme nicht fassen konnte, ward das Schiff wiederholt
gegen die Küste getrieben, und es blieb nichts anders übrig, als mit
den Indianern abwechselnd in’s Wasser zu gehen, um durch die quergestellten
Ruder und Rae ein weiteres Aufschlagen zu verhindern.
Während dieser Arbeiten begann es zu regnen, wild brausste der Wind
in der benachbarten Waldung, und so vereinigte sich Alles, diese Nacht
mit Schrecknissen zu erfüllen. Inzwischen nahmen die Symptome der
Krankheit bei unserm Piloten zu ; doch waren am nächsten Morgen die
Blattern noch nicht ausgebrochen. Wir fuhren fort, die Indianer über
die Natur der Krankheit in Ungewissheit zu lassen, und steuerten gen
W. N. W. längs der Küste; da wir aber die Mare versäumt hatten,
brauchten wir sechs Stunden um den W^eg zurückzulegen, der sonst
in weniger als einer einzigen gemacht wird. Erst nach Mittag gelangten
wir nach B rev e s, wo wir glücklich genug waren, den Kranken
der Sorgfalt des Richters, eines gutmüthigen Mulatten, zu übergeben,
der in unserer Gegenwart eine Hütte für ihn zurichten Hess, ihn seiner
alten Negerin zur Pflege überantwortete, und uns einen neuen Piloten verschaffte.
Der unglückliche Indianer hatte sich, von einer schwarzen
Ahnung verfolgt, umsonst bemüht Para zu fliehen; sein Verhängniss
ereilte ihn hier. Als wir nach acht Monaten zurückkamen, fänden wir
sein Grab; bereits blühte darauf die Cosmea, mit deren rosenrothen
Blumen die Indianerinen sich die Haare und die Todtenhügel ihrer Geliebten
zu schmücken' pflegen.
B reves ist die südwestlichste Ortschaft auf der Insel M arajö. Kaum
möchte ich es ein Dorf nennen, denn von den dreissig bis vierzig Hütten,
die ohne Regel in dichtem Schatten von Cacao-, Jambos-, Abiu-
und Orangenbäumen umherliegen, hatte nur die des Juiz, aus Flechtwerk
und Lehm bestehende, Nebenwände, die andern waren nichts
weiter als grosse Dächer aus Blättern der Ubussupalme, auf niedrigen
Pfeilern ruhend, und etwa noch auf der Windseite durch ein tragbares
Gitter oder Flechtwerk vor Regen gesichert. Jene Palme (M anicaria
sa c c ife r a , Gaertn. M a rt. Palm . t. 98. 99.) ist die einzige in Brasilien,
welche unzertheilte Blätter, von zwanzig Fuss Länge und sechs Fuss
Breite, hervorbringt. Das Gefüge derselben ist so fest, dass ein damit
gedecktes Dach bei guter Aufsicht viele Jahre dauern kann; und viele
Bewohner ziehen sie, wegen der Leichtigkeit und Kühle, den Ziegeln
vor. Alles trug hier den Character idyllischer Armuth und Genügsamkeit.
Ein Blick in diese offenen Wohnungen zeigte die üppigen Gestalten
der Weiber und Mädchen fast vollkommen nackt, aber in jener
naiven Schamhaftigkeit des Naturzustandes, welche, der Prüderie unserer
Civilisation gegenüber, doppelt sittlich erscheinet. Man würde diesen
III. Theil. ♦ 126