Hochwasser möglich wird* Man verlässt nämlich Para nur in hohen
Wasserständen des Voll - und Neumondes, und geht mit jeder Ebbe,
die wie in den übrigen westlichem Gewässern, eine Stunde länger als
die Fluth dauert, stromabwärts. Während der Fluth pflegen vorsichtige
Schiffer sich jedesmal vor Anker zu legen. Bei dem Forte da Barra, das
auf einer kleinen Insel im Strome liegt, werden die Pässe untersucht,
und die ganze Schiffsequipage wird einem visitirenden Officiere vorgeführt.
Nur langsam gingen wir auch am folgenden Tage den Strom
weiter hinab, und als sich die Galera in der Nähe von Mosqueiro
wiederum vor Anker legte, um die übrigen Fahrzeuge zu erwarten,
hatten wir Gelegenheit, das americanische Continent noch einmal zu
betreten. Der breccienartige braunrothe oder violette Sandeisenstein,
welcher die Formation längs der ganzen Küste bildet, wird hier m
dem königlichen Steinbruche (Pedreira real) auf öffentliche Kosten gebrochen,
und zum Verbauen in die Stadt geführt. Urwald hat früher
die ganze Gegend bedeckt, aber gegenwärtig ist er in grossen Strecken
gelichtet, und Pflanzungen von Mais, Bohnen, Cacao und Zuckerrohr
liegen durch die niedriger® Capoeirawaldung zerstreut. Diese üppige
Gegend wird von indianischen und Mulattenfamilien bewohnt, deren
Hütten, zwischen Bananen, Gojaven - und wilden Orangenbäumen, das
einfachste Bild heiterer Armuth und Genügsamkeit darstellen. Hier, in
der neuen Welt, ruhte mein Auge mit doppelter Freude auf diesem
idyllischen Schauspiele. Es liegt etwas Versöhnendes in dem Gedanken,
dass, allen Elendes ungeachtet, was der Europäer über den weiten
Ocean hergebracht, dennoch hier eine, dem Urzustände des Menschengeschlechtes
verwandte Behaglichkeit, ein Naturleben möglich ist, wovon
wir in dem alten, geschichtlichen und verkünstelten Europa keine Spur
und Ahnung mehr haben. Diese Indianer und Mestizen erinnern an
den altindischen Spruch, dass das Leben unter Menschen ein Feuer
sey, nähme man viel von ihm, so verbrenne man; aber wenig erleuchte
uns. Auf dieser Bahn des Lebens, durch die patriarchalischen Verhältnisse,
hat der Genius der Menschheit die Völker nicht geführt: sie sollen durch
die Civilisation zur Humanität hind^rchdringen; darum finden wir nicht
stille Hütten, nicht, harmlose Einfalt und Genügsamkeit auf dem Lebenswege
der Völker, sondern Brand und Blut, schreckliche Sühnopfer,
die unser Geschlecht seiner Doppelnatur, dem Fluche und dem Segen
seines Ursprungs, darbringen muss. Im Begriffe ein Land zu verlassen,
worin wir fast vier Jahre der Thätigkeit und des Genusses verlebt
hatten, das fortan der Gegenstand unserer literarischen Wirksamkeit
seyn sollte, mussten wohl vor Allem gute Wunsche für sein Heil uns erfüllen.
Von der Umgebung der einfachsten, gleichsam patriarchalischen,
Lebensverhältnisse gingen wir im Geiste zu allen Stufen der Entwickelung
fort, die sich durch das junge Reich in Bürgerthum, in Staat
und Kirche erhoben haben, und ein heisser Wunsch beseelte uns, dass
das herrliche, so reich ausgestattete Land nicht in gewaltsamen Zuckungen
und Kämpfen, sondern in versöhnender Ausgleichung jener feindlichen
Elemente, die in jedem Staate liegen, langsam und sicher, dem
Ziele seiner Vollendung entgegenreifen möchte. Zehn Jahre sind verflossen
, seitdem wir Brasilien verlassen haben, und während die furchtbarsten
Erschütterungen durch alle Theile Europa’s bebten, während
das Mutterland im Drange verhängnissvoller Ereignisse zu einer Ohnmacht
herabgesunken, welche von der früheren Grösse Portugals in
um so dunklere Schatten gestellt wird, während die americanischen
Nachbarlande noch immer in den Wehen politischer Wiedergeburt
kreissen, hat Brasilien sichere Schritte zur innern Gestaltung und Befestigung
vorangethan. Gross sind die Anlagen des herrlichen Landes,
der geistig beweglichen rüstigen Bewohner, denen selbst die bunte Mischung
der Ra£en zu Gute kommt. Allmälig fallen die Ketten, die,
eine Folge des früheren Colonialsystemes, den geistigen Aufschwung
gehindert, die sittliche Kraft gebunden hatten; der Gesichtskreis erweitert
sich im grossen Weltverkehre; ein edler Wetteifer begeistert die
Jugend, die zahlreich in Europa Kenntnisse und Bildung sucht; Patriotismus
und Selbstliebe überwinden, gleichmächtige Triebfedern, die
Abspannung, worein das Klima Geist und Körper gefesselt hatte; ein
willenskräftiger und das Gute wollender Monarch steuert muthig voran!
Glückliches Land, wenn du fortan d ie s e r Bewegung dich hingiebst;