Während wir diesem Geschäfte zusahen, ertönte ein unmässig lautes
Geheule und Geschrei, das uns erschrocken nach der andern Seite des
Dorfes zog. W ir fanden eine der Hütten offen, und drei Indianer beschäftigt
, den Leichnam eines der Bewohner darin zu begraben. Schon
am Abend vorher war ich hingerüfen worden, um eine „Arznei der
Weiss'en, Caryba poganga“ anzuwenden, hatte aber den Kranken,
der an Wassersucht von Verhärtung der Unterleibsorgane litt, schon
im Sterben gefunden. Der Leichnam war jetzt, das Haupt zwischen
den weit heraufgezogenen Knieen (also vollkommen in derjenigen Stellung,
worin man die mit Ponchos umwickelten Leichen in den Huacas
von Peru zu finden pflegt), zwischen Stücken von Baumbast zu einem
runden Knäuel zusammengebunden, und in ein vier Fuss tiefes Loch in
der Mitte der Hütte gebracht worden, (wie diess unter Andern auch bei
den Wilden in Canada der Brauch ist). Eine dünne Schicht von Erde
ward über ihn ausgebreitet, dann sprangen die Schwester des Todten
und zwei Männer, welche in derselben Hütte wohnten, hinein, und
traten die Erde unter furchtbarem Geheule fest. Es dauerte wohl eine
halbe Stunde, bis diese gräuliche Ceremonie vollendet war; mein Herz
wandte sich zerrissen davon ab, denn das Geschäft selbst und die Klage
der Todtengräber, besonders der Schwester, die unter heftigem Schluchein
und dasselbe Hauptprincip, aus der Binde derselben Stryclmee, enthalten. Diese Pflanzengruppe
bietet in der Ignatiusbohne und in den Krähenaugen ebenfalls sehr giftige Stoffe dar. Wahrscheinlich
ist das wirksame Princip Strychnin, oder ein diesem verwandter Stoff1. - E s ist
übrigens bekamit, dass dieses merkwürdige Gift nur durch unmittelbare Berührung mit dem
Blute tödtlich wird. Indianer, die sich umbringen wollten, haben es in grösseren Gaben verschluckt,
»ohne üble Wirkung zu verspüren; ja sie halten es für magenstärkend. Grosse Gäben
von Zucker, Salz oder Adstringentien sind die Gegengifte; allein nach vollkommnerAufsaugung
des Stoffs richten sie nichts mehr aus, und der Verwundete stirbt-, mit Abnahme der thierischen
Wärme und des Athmungsprocesses, an den Zufällen einer Apoplexia nervosa, oft schon binnen
wenigen Minuten. Das Pfeilgift der Tecunas wird, nach dem Muster der Pflanze, dieSpix von
Tabalinga mitgebracht hat, von einem Schlingstrauch (tupi: Urari-Sipó), einer Menispermea, vielleicht
vom Coöciüus Amazonum, M . bereitet, und ist wahrscheinlich Picrotoxin. Der wesentlich
wirksame Bestandtheil sowohl dieses Giftes als des der Juris, der JMiranhas und änderet Indianer
am Yupurä und am Bio Negro ist in Wasser, wie in Weingeist auflöslich. Vergl. Ausführlicheres
Herüber in: Martius über das Pfeilgift etc. in Büchners Bepert. d. Pharm. Bd. 3 6 . H.3.
zen~ stets die Frage hervorschrie: ,,,wer wird mir nun Affen jagen, wer
wird mir Schildkröten bringen ?“ v;u. s. f., hatte einen an Thierheit grenzenden
Ausdruck, und schien zuzunehmen, je mehr sie sich bei dem
Einstampfen erhitzten. Eine andere schwer Erkrankte in derselben Hütte
schien von der Aussicht auf ein ähnliches Schicksal nicht ergriffen; sie
lag bewegungslos in der Hangmatte, und sah dem Begräbnisse ruhig zu.
Dieses Trauergeheul (tupi: Jaceori) dauerte bis gegen Abend, da die Klagenden
vor Erschöpfung nicht mehr konnten; aber in der Nacht ward ich
von Neuem durch die Schwester aus dem Schlafe geheult. Besonders aufgefallen
war mir, dass ich.diese Trauernden keine Thränen hatte ver-
giessen sehen. Der Tubixava G r e g o r i o , darüber befragt, gab mir
die schreckliche Antwort: „ Tapuüja uä ugä ty k y r , der Indianer frisst
seine Thränen!“ Die Hütte des Todten sollte von den übrigen Einwohnern
nicht jetzt, sondern nur gelegentlich, verlassen werden. Die beschriebene
Art die; Todten zu begraben, ist übrigens nicht allgemein
bei diesen Indianern. Viele stecken die Leichname in grosse irdene Geschirre,
welche sie innerhalb oder vor den Hütten begraben. Nach
den über diesen Gebrauch eingezogenen Nachrichten haben die verschiedenen
Stämme, welche sich ihm hingeben, nicht gleiche Absicht
dabei.. Die Meisten bezwecken damit ein ruhiges und sicheres Begräb-
niss, Manche aber eine spätere Versetzung der Gebeine in andere Orte,
nachdem sie sie gereinigt und in Bastkörben zusammengeschichtet haben.
Dieser Gebrauch weist auf die niedrigste Stufe der Neigung gewisser
Völker hin, sich mit den Leichen ihrer Vorfahren zu beschäftigen; wir
fanden etwas Aehnliches bei den Camacans (vergl. II. S. 692.); weiter
entwickelt ist die*Sitte jener Indianer am Orenoco, die die Skelete ihrer
Vorfahren in der Höhle von Ataruipe aufbewahren, und das vollendetste
Monument von derselben finden wir in den Mumien der Guanchen und
Aegyptier. Sie mag dem Ethnographen um so bedeutsamer erscheinen,
als sie mit der geringeren oder höheren Ausbildung der Ideen von der
Seele und der Seelenwanderung in Verbindung steht. Diese «/«nfe, unter
welchen wir hier einige Tage ausruhten, waren übrigens ein gutmüthi-
ger, theilnehmender Menschenschlag, und überaus gesprächig gegen
157 *