sie sich den Magen mit einer mehrere Unzen schweren Portion beladen
hätten. Die Gefrässigkeit dieser Völker, und vor allem der Mangel eines
sorgfältigen Maasses der Nahrung, welche unentwickelten Kindern
zugetheilt wird, dürfte eine Erweiterung und Erschlaffung des Magens
zur Folge haben, wodurch die Sensation eines unbefriedigten Hungers
geweckt wird. Andererseits aber ist es mir wahrscheinlich, dass das
heisse Klima und der dadurch veranlasste stärkere Andrang des Blutes
in die peripherischen Gebilde ein Gefühl von Leerheit [Inanitas) hervorbringen
könne, welches abzuwenden der Naturmensch bewusstlos
nach solchen unverdaulichen Speisen greift. Eine dritte Ursache liegt
vielleicht auch in der bei den Indianern so häufigen Erzeugung von
Würmern (Lumbrici), denen die Reisenden auf dem Amazonas, wahrscheinlich
wegen des unreinlichen Trinkwassers, in einem furchtbaren
Grade ausgesetzt sind. Uebrigens fehlt es nicht an Beispielen von ähnlichen
unnatürlichen Appetiten auch unter uns; und langé Weile, oder
grillenhafte Neigung, es Andern gleichzuthun, mag auch dazu beigetragen
haben, das Lettenfressen am Amazonas eben so häufig zu machen,
als Hr. v. H u m b o l d t es am Orenoco beobachtet hat.
Am 14. October kamen wir, von einem schwachen Ostwinde begünstiget,
an dem F u ro de A ra u a tô, der westlichsten oder sechsten
Mündung des L a g o de Saracà, vorüber. Die durch diese Abflüsse gebildeten
Inseln sind von ebener Oberfläche, erschienen aber, da der
Strom seit acht Tagen wenigstens um zehn Fuss gefallen w a r, mit
höheren Thonufern, als unser, an niedrige Flächen gewöhntes, Auge
bisher gesehen hatte. In ihrer dichten Waldung erlegten wir einige
jener grossen und schönen Hühner&rten, welche bei uns H occo, in der
Lingua geral Mutum {M utu) genannt werden. Die Anwohner des
Amazonas hegen diese Vögel, welche für America die Stelle unseres
Haushuhns zu vertreten scheinen, in ihren Höfen; aber es gelingt nur
selten, sie daselbst zur Paarung zu bringen. Die von uns nach Europa
gebrachten Exemplare leben zum Theil noch, und es ist zu erwarten,
dass die Hoccos bei sorgfältiger Behandlung eben so einheimisch gemacht
werden, als diess mit unserem übrigen zahmen Geflügel der Fall
ist. *) Auch die Agamis (Psophia crep ita n s, L . und P s. leucoptera S p .),
die wir heerdenweise in dem Hühnerhofe der Indianer zu Topinambarana
gesehen hatten, erschienen bisweilen auf dem Gebüsche des Ufers, kamen
uns aber nur selten zu Schüsse, indem sie, aufgeschreckt, sich nicht
ihrem schweren Fluge überliessen, sondern in das Dickicht herabflatter-
*) Die Notizen meines Tagebuches über die Hoccos weichen zum Theil von dem ab, was
ich darüber in den ornithologischen Schriften finde, und mögen daher hier eine Stelle haben.
Ausser dem Mutü- poranga (schönem Mutum) des Piso (Grax rubrirostris, Spix Av. Il.t. 67.),
und wahrscheinlich auch Cr. Alector, Temm., soferne die Farbe des Schnabels zwischen Gelb
und Safranfarbe variirt), den wir auch in den Urwäldern von Bahia erlegten, sind uns folgende
Arten am Amazonas vorgekommen: 1) Mutum de fava (Cr. globulosa, Sp. t. 65. 66.), 2) Mutum
de vargem, (Cr. Pauxi, Tem. C. tuberosa, Sp. t. 67. A . ) , 5) Urumutum, (Cr. Urumutum,
Sp. t. 62.) und 4) Crax tomentosa, Sp. t. 63. Die Mutum de fa v a , d. i. M. mit der Bohne,
und der Mutum de vargem, d. i. Ufer-Mutum, sind die häufigsten am Amazonas. In Maynas
und den spanischen Gebieten östlich von den Andes heisst der erstere Piuri, aus welchem
Worte Peuru entstanden, was in der portugiesischen Sprache unsern sogenannten wälschen-
Hahn (.Meleagris Gallopavo, L.) bezeichnet, der andere Pauschi (Pauxi). Alle Hoccos leben
in kleinen Heerden, die, nach Weise vieler hühnerartigen, in Vielweiberei lebenden Vögel,
von einem einzigen Männchen angeführt werden. Sie bauen ihre flachen Nester aus Reissig
in die Winkel der Aeste, nicht sehr hoch über dem Boden, und sind-wenig scheu, so dass der
Jäger oft ganz nahe kommen kann. Nach Tagesanbruch kommen sie in Banden aus dem Innern
der Wälder an die lichteren Stromufer hervor, und besetzen , die Flügel ausbreitend, die
höheren Bäume. Die Männchen kämpfen wie unsere Hähne mit einander; dieses streitbare Naturell
scheint allen polygamischen Vögeln eigen. Ihr Ruf: Ragua Raqua Ragua Raqua dringt
weit durch den Forst. Das Weibchen legt, nach unserem eigenen Befunde und der Versicherung
der Indianer, stets nur zwei weisse Eier, die grösser und stärker als unsere Hühnereier
sind. Die zahmen Thiere, welche wir hie und da, und zwar selbst bei den rohen Indianern,
z.- B. am Yupurä, antrafen, waren meistens aus den im Walde ausgenommenen, von Hühnern
bebrüteten, Eiern erzogen; denn die Befruchtung in der Gefangenschaft soll nur unter besonders
günstigen Verhältnissen gelingen. Die gezähmten Thiere sind stiller, und lassen nur den
sonderbaren murrenden Ton hören, welcher durch die eigentümliche Organisation ihrer ausserordentlich
langen, in Windungen zur Lunge hinabsteigenden, Luftröhre möglich wird.
Sie sind mit jeder Art von Futter zufrieden, fressen auch Insecten und Würmer, bisweilen
Thon; und vertragen sich im Hühnerhofe mit dem übrigen Gefieder. Das Fleisch der Hoccos
ist weiss, und kommt an /Wohlgeschmack dem des wälschen Hahnes gleich. Die Indianer
sammeln die Federn derselben, und bewahren sie in dem cylindrischen getrockneten Scheiden-
Theile eines Assaipalmenblattes auf. Die kleineren Federn werden zu allerlei Federschmuck,
die Schwung - und Schwanzfedern zu Fächern verwendet.