Viertes Kapitel.
Reise von der Enge von Obydos nach der Fortaleza
da Barra, dem Hauptorte der Provinz von Rio
Negro.
V o n dem südlichen Ufer -de8 Amazonas oberhalb der Enge wird die
Ueberfahrt bis nach der Villa ohne Mühe in zwanzig- bis fünfundzwanzig
Minuten gemacht, indem man, alle Kraft der Ruder lediglich für
die Durchschneidung des Stromes in nordöstlicher Richtung verwendend,
sich nun blos den abwärts treibenden Wellen überlässt. Diejenigen
Fahrzeuge, welche nach Obydos bestimmt sind, pflegen desshalb bis
hierher stromaufwärts zu geben. Da wir uns vorgenommen hatten,
den Ort erst auf der Rückreise zu besuchen, so fuhren wir am südlichen
Ufer fort, und setzten erst da, wo er sich von Neuem zwischen
mehreren Inseln ausbreitet, auf das nördliche Ufer über. Die Hügelreihe,
welche sich von Obydos bis an den Rio das Trombetas etwa eine
deutsche Meile weit hinerstreckt, senkte sich allmälig immer tiefer vor
uns nieder, und wir erblickten jenen Fluss, der seine klaren Gewässer
in eine weite Bucht des Amazonas ergiesset. Hier war es, nach dem
Berichte desAcuNNA, wo O r e l l a n a ’s -landende Mannschaft von Indianern
angegriffen wurde, in deren Reihen Weiber kämpften, und diess ist
daher ein classischer Ort für die Ethnographie und Geographie des
grössten der Ströme, der seinen Namen von jener so vielfach geschmückten
und bezweifelten Thatsache herleitet. Der Leser erwartet daher
mit Recht, dass ich mich selbst über die Amazonen ausspreche; um
jedoch den Gang der Erzählung weniger zu unterbrechen, mag hier
die Aeusserung genügen, dass ich an die Existenz derselben weder in
früherer Zeit, noch gegenwärtig, glaube. Bei dem allgemeinen Interesse,
welches der Gegenstand erweckt , wird man der Versicherung
trauen, dass wir, Dr. S pix und ich, keine Mühe scheuten, hierüber
Licht oder Gewissheit zu erhalten. Jedoch haben wir weder irgendwo
eine Amazone gesehen, noch von irgend einem zuversichtlichen Einwohner
europäischer Abkunft eine Thatsache vernommen, welche auch nur
von Ferne mit den fabelhaften Traditionen zusammengehangen wäre.
Freilich, Indianer äusserten sich hierüber so, dass eine thätige Einbildungskraft
ohne Mühe aus ihrem Berichte ableiten könnte, was nur
immer zur Begründung der Fabel nothwendig erscheinen möchte. Auf
die Frage: giebt es Amazonen? ist die gewöhnliche Antwort: es
scheint so“ . Aber jene Frage selbst schliesst, da es kein einzelnes Wort
in der Lingua geral giebt, welches eine Amazone bedeute, alle Merkmale
ein, die den Amazonen zugeschrieben werden, und der Indianer
darf sie nur nach seiner Weise bejahend wiedergeben, so ist eine Fabel
fertig. Die ausführliche Erörterung des Gegenstandes dürfte übrigens
eine Stelle unter den Anmerkungen verdienen. (1.) Der Rio das
Trombetas, der bei A c u n n a Cunuriz hiess, und in der Lingua geral
Or ix i-m inä genannt wird, ist noch nicht bis zu seinen Quellen verfolgt
worden, weil zahlreiche und hohe Fälle den Reisenden entgegenstehen
, die seine Umgebungen nach Salsaparilha und. Nelkenzimmt durchsuchen.
Oberhalb der Katarakten soll er durch Fluren laufen. Sein
unterstes Gebiet dagegen ist so flach, wie das der übrigen Beiflüsse
des Amazonas, und steht durch einen westlichen Canal mit ;dem benachbarten
Rio Neamundä (Nhamunda, Jamundaz) in Verbindung. Bis
zu der östlichen Mündung des letztem werden von den Schiffern sechs Legoas
gerechnet, die wir in einem Tage zurücklegten. Dieser Fluss breitet sich
landeinwärts in einen schönen, fischreichen See aus, an dessen östlichem
Ufer, 8 Leg. vom Amazonas, die F illa de F a r o , die äusserste Ortschaft; in
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