Wir verliessen Alvellos, um nach der l^illa de E g a zu gelangen,
eine Reise, welche stromaufwärts in vier bis fünf Tagtahrten, stromabwärts,
oft in einer halben, gemacht wird. Der See von Coari lag
kaum hinter uns, so stellten sich auch schon wieder Schaaren von
Mosquiten ein. W ir mussten uns glücklich schätzen, die Nacht frei
von ihnen auf der P ra ya dos Sorubims zubringen zu können. In
dieser Gegend erheben sich am Strome die Costas de Tauänct und
Taua-Coara, steile W^ände von farbigem und weissem Letten. Seit
wir uns im Solimoes befanden, begegneten uns nicht selten mit Erdfarbe
aus solchem Letten ausgeführte Malereien der Indianer auf den
Thüren der Hütten, auf ihren Kähnen, Rudern und ähnlichen Werkzeugen.
Sie sind oft ohne Pinsel ,^| mit dem Finger oder, mit .einem
Stückchen Holz, höchst plump aufgetragen. Allerlei Schnörkel, rohe
Figuren von Menschen und Thieren sind die Gegenstände dieser ersten
Kunstversuche. Was uns darunter am meisten auffallen musste, war
das stete Wiederkehren einer Figur, die unter aller, der Phantasie
dieser Naturmenschen erreichbaren, Mannichfaltigkeit ständig blieb.
Es ist eine aus mehr oder weniger Bögen bestehende Schneckenlinie
innerhalb eines Quadrates, und mit einer Seite desselben in Verbindung.
Späterhin bemerkte ich dieselbe Figur auf den Steinplatten am Ufer
des Yupurä eingegraben. (Vergl. im Atlas die Tafelt Sculpturen auf
Felsen.) Die Bedeutung dieser so allgemein verbreiteten Zeichnung
konnte mir von keinem Indianer erklärt werden, und ich möchte darin
nur einen Schnörkel erkennen, dessen sie sich, mit dem ihrer Ra$e
eigenthümlichen Festhalten am Gewohnten, bedienen. Vielleicht ist das
Bild von der Figur entlehnt, welche die, durch den Ruderschlag ver-
anlassten, Wirbel längs des Kahnes beschreiben 5 wenigstens finde ich
hier die grösste Aehnlichkeit, und der abwärts gesenkte Blick dieser
amphibischen Völker mag wohl von dem überraschenden Spiele des
stetsbewegten Elementes gefesselt, und zur Nachahmung bestimmt
worden seyn. Die Indianer, welche wir von nun an in den christlichen
Niederlassungen oder zerstreut am Ufer des Stromes fanden, bewiesen
nicht nur durch solche Versuche in der Malerei auf ihrem
Hausrathe und an den Wänden der Kirchen, sondern auch durch andere
Kunstfertigkeiten einen Grad von Bildung und Industrie, der bedeutend
gegen die fast thierische R.ohheit der Stämme im Süden Brasiliens
abstach. Ihre hölzernen Geräthe und Waffen, fein polirt oder
bemalt und mit Vogelfedern zierlich geschmückt, ihre Flechtarbeiten
und Geschirre — Alles zeigte eine Art von Vollendung, die nur durch
ruhigen, gleichsam behaglichen, Fleiss gewonnen werden kann. Auch
schien es, als hingen sie an ihrem Besitze nicht blos mit dem Gedanken
der Nutzbarkeit, sondern auch mit einer Art von Liebhaberei.
Es ward uns oft schwer, sie zu einem Tausche dieser Waffen und
Geräthe gegen europäische Artikel zu vermögen. Ganz vorzüglich galt
diess von dem Pfeilgifte und von den Blasrohren, woraus sie die durch
jenes vergifteten Pfeilchen blasen: Waffen, die wir zuerst in Coärf,
von hier an aber überall am Solimoês und an seinen Beiströmen antrafen.
Freilich sind diese Gegenstände theilweise nicht ihr eigenes
Fabricat, denn das Gift selbst erhalten sie von einigen, mit der Bereitung
vertrauten, ^Völkerschaften am Yupurä und oberen Solimoês,
vorzüglich von den Juris, Passes, Miranhas und Tecunas; und die
Blasrohre werden ebenfalls, wenigstens zum Theile^ von westlichen
Nachbarn eingehandelt, so dass ihnen selbst nur die Bereitung der
Pfeilchen und der Köcher für dieselben übrig bleibt. Die Geschicklichkeit,
womit diese gefährlichen Waffen gehandhabt werden, ist ausserordentlich.
*) Ein geübter Schütze fehlt auf fünfzig bis sechzig Gänge
*) Das Pfeilgift Urari (so hörten wir es im ganzen Verlaufe unserer Reise nennen, wie einst
Ralegh am Orenoco, und weder Curare, wie in spanisch Gujana, noch Woorara, Wurara,
Wurali, -wie in Surinam) ist der wichtigste Handelsartikel der Indianer. Es wird in kleinen,
halbkugeligen, irdenen, schwachgebrannten Geschirren (selten in Calabassen), weit verbreitet,
die nur einige Unaien des schwarzen, anfänglich dickflüssigen, dann gänzlich erhärtenden Ex-
tractes enthalten, und mit Palmblättcrn oder einem Stücke des tüchartigen Bastes Turin iiber-
bundcn sind. Im Tausche .geht dieser tödtliche Stoff aus Brasilien und Maynas, von Hand zu
Hand, bis zu den entlegenen Stämftien der Quixos und Macas an den Quellen des Napo und
Pastaza und jenseits der Cordilleren der Andes in die Provinzen von Esmeraldas undBarbacoas,
gegen Osten aber zu den Völkern am untern Rio Negrö. Eben so wird er am Orenoco, von