längere Zeit unter diesen Indianern verweilen zu können, die man als
einen der mächtigsten und eigenthümlichsten Stämme der ganzen Provinz
Rio Negro nennt. Obgleich die Fahrt in einem leichten Nachen ohne
Anstrengung der Ruderer gelang, hatte sie dennoch ihre Gefahren, denn
heftige Gewitter empörten jeden Nachmittag den Strom, wo wir unter
den Bäumen des Ufers Schutz suchen mussten; bei Nacht aber gefährdeten
uns die Onzen, deren ich noch nirgends so viele als hier gesehen
hatte. Der Jäger versicherte mich, dass sie Witterung von zwei durch'
ihn erlegten Thieren hätten, deren Fell und Schädel ich mitführte, und
dass wir um so mehr vor ihnen auf unserer Hut seyn müssten. Da
die Wachtfeuer während der regnerischen Nächte nicht brannten, so
brachten wir diese Zeit in steter Unruhe zu. Wenige Naturumgebungen
mögen an schwermüthigem Düster diesen Wäldern des M adeira während
der Regenzeit gleichen. Eine feuchte Schwüle umgiebt den Reisenden;
dicke Nebel hängen tief in den qualmenden Wäldern umher,
und vor ihnen sieht man lebendige Wolken von Schnacken und Mücken
sich in raschen Kreisen durcheinander bewegen; die Bäume triefen von
unendlicher Feuchtigkeit; nur für die wenigen regenfreien Stunden öffnen
sich zahlreiche Blumen; die Thiere verbergen sich lautlos in das
Dickicht. Kein Vogel, kein Schmetterling wird sichtbar; nur das Schnarchen
der Wasserschweine (Capwaras) und das monotone Geschrei der-
Frösche und Kröten wird vernommen. Noch freudloser und schwer-
müthiger dunkelt die Nacht über die Einsamkeit herein; kein Stern erglimmt
am regengrauen Himmel, der Mond versteckt sich hinter schweren
Wolken, und wie bange Klagelaute ertönt das Geschrei der hungrigen
Raubthiere aus der unheimlichen Waldung hervor. So wurden
vier Tage, in dem M adeira stromaufwärts, wie vier lange Wochen
zugebrächt, und ich freute mich daher, den Hauptstrom verlassen, und
in den Ast des Stromes einlenken zu können, der unter dem Namen
Irarid nach Osten abgeht, und die grosse Insel Topinambarana bildet,
indem er mehrere bedeutende Zuflüsse aus S. aufnimmt. Während
der trocknen Jahrszeit steht er fast still, so dass die dunkelbraunen
Gewässer des Sees und Flusses Canomd durch ihn sowohl aufwärts
in den Madeira als abwärts in den Canal do Ram os gelangen
können, der die Insel Topinambarana in zwei Theile theilt. Jetzt, da
der Madeira schon stark angeschwollen w a r, führte er die getrübten
Gewässer desselben mit gleicher Heftigkeit gegen O. abwärts, als der
Madeira selbst strömtet Seine Ufer sind nicht höher als die des Hauptflusses,
aber es schien mir, als bestände die Vegetation, welche bis
unmittelbar an das Wasser reicht, nicht blos aus der Ygapöwaldung,
sondern auch aus Gewächsen des Festlandes. *) ~*Vorzüglich zahlreich
erscheinen am Ira rid einige Palmen, die den Einwohnern manchfach
nützlich sihd. Vier Stunden in dem F u ro de Ira rid abwärts gefahren,
brachten uns an die Vereinigung dieses Canals jnit dem C änom d, dessen
caffebraune Gewässer, von den weisslichen Flüthen des Madeira
gleich Wolken zertheilt, fortgerissen und bald mit ihnen gänzlich vereinigt
werden; Die Mission N ovo M onte Carrtiel do Canomd liegt eine
halbe Stunde oberhalb dieser Vereinigung, am westlichen Ufer des
Flusses. Sie war i. J. 1811 durch den Carmelitanermönch Frey Jozfl
Alvarez das Chagas errichtet worden; und ward jetzt von einem Weltpriester
, Ahton. Jesuino Gonsalvkz, geleitet, der mich mit liebenswürdiger
Gutmüthigkeit empfing und bewirthete. Er befindet sich mit
seiner Familie ganz allein unter einer Gemeinde von Itw a tausend Mun-
drueäs, welche jedoch nicht alle in der Mission selbst, sondern hie und
da im Walde, und besonders auf der östlichen Seite des Flusses in offnen
Hütten hausen. Ich musste die Standhaftigkeit und den Muth bewundern
, womit dieser Mann, von der sanftesten Gemüthsart, sich hier
unter Wilden behauptete, die erst vor wenig Jahren ihre unbedingte
Freiheit verlassen hatten. Viel ward er hierin von seinen beiden Schwestern
unterstützt, welche es unternommen hatten, mehrere jungë Indianerinnen
in ihrem Hause aufzuziehen, bis. sie an die benachbarten M un-
*) Hie und da war das Gestade mit wildem Reise so dicht überwachsen, als wenn er
künstlich; aüsgesät worden wäre. Die Anwohner machen auch reichliche Erndten davon indem
sf,e Kähne zwischen die reifen Halme führen, und die Saamen mit Stangen in dieselben
hinab§chlagen. Auch bei Sylves sind solche natürliche Arrozaes (tupi: Auati-tyba) häufi®.
Vergl. Flora brasil. Vol. 2. pars. i.,.S. 518. 56o seq.'
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