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N e u n t e s B u c h .
Erstes Kapitel.
Aufenthalt in der Fortaleza da Barra do Rio Negro,
und Ausflüge in der Umgegend.
D e r Reisende athmet freier, sobald er sich ans den Niederungen am
Amazonas auf die hohem Ufer des R io N eg ro versetzt sieht. Diese
reinlichen Sandufer, an welchen hie und da Sandsteinfelsen, oder Bänke
eines verhärteten Thones hervortreten, werden niemals von den Flu-
then des Hochwassers gänzlich überschwemmt 5 sie sind deshalb frei
von dem verworrenen, unreinlichen Igaböwalde, der sich längs dem
Amazonas hin erstreckt. Aus gleicher Ursache nehmen sie auch jene
Schwärme von Mosquiten nicht auf, die den Reisenden bis hierher verfolgt
haben. Der Wald längs den Ufern erscheint, selbst von weitem
gesehen, regelmässiger geschlossen, und in der Nähe mit der herrlichsten
Auswahl grosser, schönfarbiger Blüthen geschmückt. Einfach und
monoton zieht er sich längs den Ufern hin, die sich nirgends zu Bergen
erheben, oder zu steilen Schluchten vertiefen; doch ist das Terrain
ungleich, hie und da mit Hügeln wechselnd, und zahlreiche kühle Bäche,
welche aus dem nördlichen Festlande in den Strom herabeilen,
bringen Leben und Mannichfaltigkeit in die waldbedeckten Niederungen,
während die Höhen, bisweilen durch Menschenhände in Wiesen umgewandelt
, jene heitere Aussicht auf grüne Flächen darbieten, denen der
Reisende hier so selten begegnet. ' Zu allen diesen Pieizen gesellt sich
die majestätische Ruhe eines Aequatorialklima, welches frische Morgen,
einen glühenden Mittag, labend kühle Abende und heitere Sternennächte
in gleichmässigem Wechsel heraufführt. Mit den seligsten Empfindungen
erfüllt sich das Herz des Menschen, der, den düstern Wäldern des
Amazonas entrückt, die milde Gluth dieses Tages, die ernste Stille dieser
Nächte gemessen kann. Diess war der erste Eindruck, womit uns
ein mehrtägiger Aufenthalt -am R io N eg ro bezauberte, und je länger
wir hier verweilten, desto mehr bildete sich das Urtheil bei uns aus,
diese Gegend sey für süsse herzzerschmelzende Wehmuth geschaffen,
das Land philosophischer Beschaulichkeit, heiliger Ruhe, tiefen Ernstes.
Solche Betrachtungen knüpften sich sehr natürlich an die Erinnerung
von so mannichfaltiger Noth und Gefahr, mit der wir dieses Ziel erreicht
hatten: ausserdem aber musste uns auch der Gedanke, dass wir
uns fast in der Mitte des südamericanischen Continentes, nicht mehr ferne
von Brasiliens Grenze, befanden, bedeutsam erscheinen. Dieselbe An-
muth der Natur um uns her, welche uns mit den heitersten Empfindungen
erfüllte, mag wohl an der schnellem Aufnahme und Bevölkerung
des Ortes Ursache seyn, der erst seit dem Jahre 1809 Hauptort
der Provinz von S . J o ze do R io N eg ro geworden ist (1 .), und mit
der Uebersiedlung der Residenz des Gouverneurs von B a rcello s her
nicht nur die höchsten Civil-und MilitairbehÖrden, sondern noch mehrere
Familien aufgenommen hat, die früher in jener Villa, oder noch
weiter oben im Rio Negro ansässig gewesen waren. Die Zahl der
Einwohner ward uns auf mehr als dreitausend angegeben; jedoch findet
sie sich nie vollständig in dem Orte, da ein Theil der Familien in
entlegenen Fazendas oder Fischereien hauset, und nur bei den grössten
Kirchenfesten hierher kommt. Zur Zeit unserer Anwesenheit war die
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