lOQÖ
Haufen Krieg führen, und nicht wie die Tupi'stämme ihre Aldeas durch Verhaue und Palli-
sadirungen gegen jeden Angriff zu schützen pflegen. Aus allem Diesen geht hervor, dass die
Titpis auf einer höheren Stufe der Bildung standen, als viele ihrer Nachbarn. Der obenangeführte
älteste und zuverlässige Ethnograph Brasiliens (II. Cap. 147.) giebt an, dass die Tupinaes die
früherhin von andern Tapuüjas (den Guinimuras) bewohnten Gegenden von Bahia diesen im
Kriege abgewonnen hätten, bis sie später von dem verwandten Stamme der Tupinambazes selbst
verdrängt worden seyen; es bleibt also kein Zweifel übrig, dass das Stammland der Tupis
nicht in dem ausgedehnten, hie und da von andern Horden besetzten Landstriche längs der
Küste, sondern wo anders zu suchen sey. Die Guaram'sprache., welche sich in mancher Beziehung
als der reinere Mutterstamm aller Tupidialekte darzustellen scheint, weiset uns nun
diesa ursprüngliche Vaterland der Tupis an dem Paraguay, zwischen diesem Strome und dem
Parannä an. Dort wird sie auch gegenwärtig noch gesprochen, wenn schon der grösste Theil
des Volkes, so wie der, dieselbe Sprache gebrauchenden, Tappes in der Provinz Bio Grande
do Sul und in Monte Video, verschwunden ist. Diese Vertheilung und Bewegung der Tupis
nach N. O. hat wahrscheinlich schon mehrere Jahrhunderte vor der' Einwanderung der Portugiesen
Statt gefunden. Dass auch späterhin weitaussehende Züge von den Guaranis unternommen
wurden, beweisst der Zug derselben gegen W . , der den. Adclantado Cabeza de V aca ver-
onlasste, i. J. 1543 eine ähnliche Expedition zu wagen (Southey, Hist, of Brazil I. S. 140.).
So wird uns auch die Heise der Tupis den Madeirastrom abwärts nach der Insel Topinamba-
rana minder unwahrscheinlich, und wir sind geneigt, dem Berichte A cukna’s vollen Glauben
zu schenken. Dass sie selbst ihren neuen Wohnsitz Topinamba- rana nannten, scheint anzudeuten
, dass sie mit dieser Bezeichnung den Sinn einer Colonie verbinden wollten, denn Rana
heisst das Unächte. Die Apiacas und Cahahybas sind vielleicht Beste ähnlicher Expeditionen,
gleichwie wir in den Sete Commune im Vicentinischen die Spuren eines daselbst isolirt zurückgebliebenen
deutschen Stammes erkennen. Schwerlich haben aber die Tupinambazes von den
Küsten von Searä und Pernambuco, nach der Vertreibung aus jenen Gegenden, ihren Weg bis
in diese entfernte Insel gefunden. Vielmehr ist es mir wahrscheinlich, dass sie zerstreut und
entkräftet sich den dazwischen liegenden Völkern angeschlossen, und diesen einzelne-Worte ihrer
Sprache gleichsam angelernt haben, deren Erscheinung zwischen ganz fremdartigen Wurzeln
ausserdem noch viel schwieriger zu erklären seyn dürfte.
Mögen wir aber auch annehmen, dass diese thätigen Tupündianer auf die eben angegebene
Weise aus ihren ursprünglichen Wohnsitzen, in zahlreiche Horden vertheilt, hervorgebroehen
seyen, und sich vom 33° s. B. bis an den Aequator zwischen zahllosen anderen Stämmen durch-
gefochten hätten, — eine Erscheinung, welche sich von denen asiatischer und europäischer
Völkerwanderungen vorzüglich durch die geringe Mannschaft der einzelnen Horden, und durch
die Vielartigkeit der eingeschlagenen Bichtungen unterscheidet— ; immer bleibt die gegenwärtige
Art der Verbreitung und Erhaltung ihrer Sprache unter so vielerlei Einflüssen höchst merkwürdig.
Mitten zwischen mehreren hundert verschiedenartigen Sprachen, die, wjenn auch in der
Syntax und ihrer gesammten geistigen Pragmatik sich ähnlich, doch in ihren Wurzelworten
sehr verschieden sind, schlingt sich die Tupisprache, gleichsam ein geistiges Baud, fast an den
Grenzen rings um Brasilien hin. Von der Mündung des Laplata lassen sich ihre Spuren längs
den Küsten des Oceans his zu dem Amazonas verfolgen; längs diesem Strome ist sie von zahlreichen
Stämmen als gemeinschaftliches Vehikel ergriffen; von da erscheint sie hie und da am
Ufer des Tapajöz und des Madeira, und reicht hinab bis zu den Niederungen des Paraguay.
Während die von alten Tupis abstammenden Küstenindianer zwischen Porto Seguro und Ma-
ranhao ihre Sprache fast schon vollkommen aufgegeben haben, und dort nur einzelne Beste der
Lingua geral in die portugiesische Sprache der gegenwärtigen Bevölkerung übergegangen sind,
wird jene noch gegenwärtigen Para, vorzüglich aber in Bio Negro überall gehört, wo ein Verkehr
unter Indianern oder zwischen ihnen und den Ankömmlingen Statt hat. Es scheint also,
als hätten sich die unbesiegten, an ihrer Sprache festhaltendcn Horden immer mehr gen N. gezogen
, wo ihnen die geringere europäische Bevölkerung und die unbegrenzten Urwälder eher
Buhe und Schutz verhiessen. Hier aber begegneten sie einer grösseren Anzahl anderer Stämme;
welche ganz andere Sprachen redeten. Doch hat dieser Coiiflict die Tupisprache nicht beschränkt,
obschon sie sich hier von ihrem Urtypus, der Lingua guaranitica, mehr entfernt haben mag.
Die letztere ist der vollere, reinere Dialekt, undeutlicher dagegen, mehr zusammenziehend und
bequemer ist der Dialekt, welcher-in Bio Negro gesprochen wird. Zwischen diesen beiden liegen
mehrere Nüanperi, die sich nicht sowohl iri dem gänzlichen Unterschiede oder Mangel einzelner
Worte, als in Verschiedenheiten der Aussprache mancher Sylben und durch die Verwechselung
gewisser Buchstaben darstellen. Gerade aber durch diesen Mangel an Bestimmtheit, durch
eine Volubilität, welche auch dem individuellsten Ausdrucke Eingang gestattet, scheint sich die
Tupisprache zum allgemeinen Vehikel am meisten zu eignen. In wieferne sie in die Sprachen
anderer Stämme eingegangen sey, ist eine Untersuchung, welche ich den Sprachforschern überlassen
muss. Vielleicht bieten die Vocabularien, welche wir zu sammeln Gelegenheit hatten,
einige Materialien für solche Studien dar. Als allgemeinstes Besultat unserer Beobachtungen,
möchte ich nur die Bemerkung anführen, dass die Anklänge an die Tupisprache immer seltener
zu werden schienen, je mehr wir uns von dem Amazonas am'Yupürä nach Norden wendeten.
Bei einzelnen Stämmen, die zwischen den Ostküsten und dem Amazonas im Innern Brasiliens
hausen, wie z. B. den Acroa-mirim und den Masacaras fanden wir einzelne Worte der Tupis
mehr oder minder verstümmelt. Von den sechszehn Horden, welche Hervas (Idea del Univ.
XVII. S. 5.) als Glieder der Tupination aufführt: den Tamoiös, Carijos, Tupiniauins, Timiminos,
Tupinaes, Tobayares, Amoipiras, Ibirayares, Cahetis, Pitagoares, Apantos, Tupigoäes, Aro-
boyares, Rarigoaräes, Tocantines und Tupinambazes, fanden wir nirgends eine Spur als noch
bestehender selbstständiger Stämme. Sie schienen bereits alle in der gemeinschaftlichen Metamorphose
untergegangen zu seyn. (Vielleicht sind mehrere der angeführten Namen unter einander
gleichbedeutend, wenigstens heisst Udra, womit sie zum Theil endigen Herr, oder
freier Mann.) Zum Theil scheint daher die Lingua geral einerlei Schicksale mit der Inca-
sprache zu haben, die, ehemals Eigenthum eines kriegerischen und vor andern ausgezeichneten
Stammes, jetzt nur unter denjenigen Indianern Peru’s zurückgeblieben ist, welche
aus der Beihe der rohen Urstämme herausgetreten. Auf beide Sprachen haben die Bemühungen
der Missionarien grossen Einfluss gehabt, durch welche sie theilweise umgebildet und
mit fremden Worten bereichert wurden. Beide liegen als Beste einer Urbildung der süd-
americanischenAutochthonen vor uns, welche über jede historische Zeit hinausreicht, und ihre
seltsame Zerstreuung über ein ungeheueres Continent ist das auffallendste Gegenstück zu dem
Bäthsel, das uns die Verwirrung einer einst in kleinen Horden nach den verschiedensten Bichtungen
stattgefundenen Völkerwanderung darbietet.