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der Minute; die der Ebbe betrug 25. Diese Strömung ist im Verhältniss zu
anderen Flüssen dieses Gebietes beträchtlich: sie soll aber im weiteren Verlaufe
des Guamä noch mehr zu nehmen y obgleich dieser Fluss so lange er
gegen Westen flieast nur niedrige Ufer hat, und erst jenseits der tfilla
d e O u rem , aus Süden nach Norden strömend; sich aus niedrigem Waldgebirge
einen W eg machen soll. Während der Ebbe hielten wir, nach
dem in allen Küstenflüssen dieser Gegenden üblichen Gebrauche an,
weil sie für die Kraft unserer Ruderer zu mächtig gewesen wäre, Und
ohnehin die Reise nach bestimmten Pausen vollendet werden musste.
JMocajuba, eine wohlhabende Fazenda am Ufer des Flusses, beherbergte
uns während der ersten Hälfte der Nacht vom 26. auf den 27.
Mai. Die Ufer des Guamä sind fruchtbar, und namentlich gedeihet
das Zuckerrohr trefflich. Auch fanden wir eine ausgedehnte Branntweinbrennerei.
Die Carmeliten von Para besitzen mehrere Fazendas
längs diesem Flusse, durch die ihr Kloster mit allen Erzeugnissen des
Ackerbaues versehen wird, während sie Fleisch und andere Producte
der Viehzucht von ihren reichen Höfen auf der Insel Marajö beziehen.
Mit der gegen 1 Uhr nach Mitternacht wiederkehrenden Fluth, setzten
wir die Reise fort, und um 9 Uhr Vormittags erreichten wir S . D o -
m in gos, ein ärmliches Kirchdorf am östlichen Ufer des R io Guamä,
oberhalb der Verbindung dieses Flusses mit dem Capim gelegen , dessen
Entfernung von P a ra zu sechzehn Legoas gerechnet wird. Der
Barometer stand bei unserer Ankunft auf 2 7^9^ während der Thermometer
um 9 Uhr a. m. in der Luft 25° R ., im Wasser d,es Flusses
21,5° R. zeigte* Die Quecksilbersäule erhielt sich den ganzen Tag
über in gleicher Höhe, und ging nur nach Mittag von 1 bis 2 Uhr um
0,4 Linien in die Höhe. Abends 6 Uhr zeigte der Thermometer in
der. Luft 2 20 und im Wasser 20,5 ° Reaumur. Die P o ro ro ca musste,
der gesetzmässigen Periodizität in Ebbe und Fluth zu Folge, da der
Mond an diesem Tage eine Minute vor Mitternacht durch den Meridian
zu gehn hatte, nach Mittag eintreten, und ich verliess daher keinen
Augenblick eine niedrige Erhöhung dem Flusse gegenüber, von wo
aus ich sie übersehen konnte. Dreissig Minuten nach 1 Uhr hörte
ich ein gewaltiges Brausen, gleich dem Tosen eines grossen Wasserfalles;
ich richtete meine Augen den.Fluss abwärts, und nach einer
Viertelstunde erschien eine etwa fünfzehn Fuss hohe Wasserwege,
mauerähnlich dié ganze Breite des Flusses einnehmend, die unter furchtbarem
Gebrause in grosser Schnelligkeit aufwärts rückte, indem ihre
von der Spitze wirbelnd herabstürzenden Fluthen stets wieder von der
hinteren Anschwellung ersetzt wurden. An einigen Orten gegen das
Ufer hin tauchte das Wasser bisweilen in der Breite - von einer oder
zwei Klaftern unter, erhob sich aber bald wieder weiter oben im
Flusse, worin die Gesammtwelle ohne Stillstand vorwärts trieb. Indem
ich starr vor Erstaunen dieser gesetzmässigen Empörung der Gewässer
zusah, versank plötzlich zweimal die ganze Wassermasse unterhalb
der Vereinigung des Capim mit dem Guamä in die Tiefe, indem breite
und seichte Wellen und kleine Wirbel auf einmal die ganze Oberfläche
des Flusses überflutheten und anschwellten. Kaum aber war das Getöse
des ersten Anlaufes verschollen, so bäumte sich das Gewässer wieder
auf, stieg unter gewaltigem Brausen und strömte, eine lebendige
Wassermauer, die bebenden Ufer in ihren Grundfesten erschütternd,
stets vom schäumenden Gipfel überschlagend, fast eben so hoch als es
gekommen war, in zwei Aeste getheilt in beide Flüsse hinauf, wo es
alsbald meinen Blicken entschwand. Die ganze Erscheinung war das
Werk von kaum einer halben Stunde gewesen; die beunruhigten Gewässer,
welche jedoch, eben so wie die Wellen der P ororoca selbst, keineswegs
von aufgeregtem Schlamme auffallend getrübt erschienen, befanden
sich jetzt im Zustande der höchsten Fülle, kehrten allmälig zur
Ruhe zurück, und fingen nach einer eben so kurzen Frist, mit Eintritt
der Ebbe, sich sichtbar zu entleeren an. Die Einwohner von S . D o-
m ingos bemerkten mir, dass die Ebben während der Mondwechsel länger,
bis gegen 9 Stunden, dauerten, in den übrigen Tagen aber um
eine bis zwei Stunden kürzer seyen. Die Periode dér Ebbe, welche
im Parästrome sechs bis sieben Stunden dauert, und von einer verhält-
nissmässig langen Fluthzeit abgelösst wird, verlängert sich also hier ,
indem die'Sturmfluth eine Stunde oder achtzig Minuten braucht, um
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