der Mythologien, und dann ist nur noch ein kurzer Schritt bis
zum Mährchen, das an die einst unnahbaren Göttergestalten
vertraulich herantritt und mit ihnen wie mit bekannten Erscheinungen
auf Erden verkehrt, oder bis zur Komik des Volkswitzes,
Worin das einst Heilige und Hehre selbst dem Spotte
verfällt. Der in den Banden des Wunderbaren und Unbegreiflichen
gefesselte Wilde vermag sich nicht zu Solcher Absträc-
tion zu erheben; e r bleibt noch ganz dem Ingens Mysterium
verfallen, das ihn im Mutterschoosse der Natur umfängt. Jedwedes
Ding, das er sieht, ist heilig und unantastbar, äls ein
Sacrum, ist das Erzeugniss und somit das Eigenthum verborgener
Mächte, die nur unter sühnenden Ceremonien den Niess-
brauch des Ihrigen, der Hiera, gestatten. Dieser dem Naturmenschen
normale Vorstellungskreis, den wir io starrer Ausprägung
bei den wilden Stämmen finden, hat ebenso bei den
Cultur-Völkern den frühesten Stadien ihrer Entwickelung zu
Grunde gelegen, wie er auch jetzt noch im populären7 Aberglauben
nachwirkt. Auf fortgeschrittenen Civilisationsstufen
wird sich in den ethnologischen Provinzen des Erdballes' dieses
religiöse Element in den verschiedenen Graduationen seiner
Si^wänderungen nachweisen lassen, obwohl beim Aufgehen in
Mhere Combinationen die primitive Zellbildung durch das aus-
¿chmückende Nebenwerk dichterischer Phantasie gewöhnlich so
senrwersteckt ist, dass sie ohne jene Hülfe einer vergleichenden
Psychologie schwer aufzufinde» sein würde. Das Religiöse liegt
im Mythologischen involvirt, es ist das ursprüngliche Samenkorn,
ohne das die Mythologie keinen Boden gefunden haben
würde, aber die^ Mythologien selbst sind schon Schmarotzerpflanzen,
jd ie mit ihrem schillernden Farbenschimmer auf dem
Mutterstamm erst dann anschiessen, wenn sich derselbe bereits
überlebt ha,t und zum Verfalle neigt, die ihn schliesslich ganz
zersetzen und in Moder und Staub verwandeln. So oft sich
dann, mit dem zunehmenden Bedtirfniss einer der Höhe der
Zeit entprechenden Offenbarung, unter den Kämpfen schmerzvollen
Sehnens jener Mutterstamm der Religion aus seinem Schutte
regenerirt, so kehrt er stets auf seine psychologischen Anfänge
zurück, Wie sie in den elementaren Anschauungen des naturwüchsigen
Denkens eingeschlossen ruhen, und eine umsichtig ange-
stellte Analyse wird in der Stufenleiter aufsteigender Vervollkommnungen
einen ununterbrochenen und gesetzmässigen Zusammenhang
zeigen zwischen den frühesten Religionsahnungen
der Naturvölker bis zu den erhabensten unserer Gegenwart.
Haben wir eine eonstante Formel für die isomeren Aequivalente
gefunden, so werden uns regelmässig wiederkehrende Vorstellungskreise
gleichsam den Dienst von Leitmuscheln versehen
können, um die Niveauverhältnisse culturhistorischer Schichtungen
in ihren Lagerungen nebeneinander oder in ihrem Wachsthum
übereinander zu studiren. Wer in Erforschung des Keim-
processes das genetische Princip der Entwickelungsgeschichte
zu erkennen strebt, wird zuerst die einfachsten Verhältnisse
berücksichtigen müssen, die, wie im Pflanzenreich die Kryptogamen,
in der Psychologie die Ideen der Naturvölker darsteilem
Die, von der localen Färbung abgesehen, unveränderliche
Gleichartigkeit, mit der der geistige Organismus Blätte\
und Blüthen hervortreibt, zeigt sich am frappantesten in (len
übereinstimmenden Vorstellungskreisen isölirt abgeschlossener
Stämme, die, den Trümmern eines cambrischen Systemes ¿gleich,
zurückblieben, während die zwischenliegenden Wandfrvölker
in ihren Uebergangsformationen das Niveau durchbracnen und
im friedlichen oder im feindlichen Wechselverkehr vollendetere
Gedankenproductionen zeitigten, die den ursprünglichen Typus
mehr oder weniger verwischten. In Legenden und Traditionen
des Erzählungsfaches mögen Uebertragüngen stattfinden, leicht
findet die Dichtung einen Hörer, der sie weiter singt, noch