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Gewächs noch mehr an der wärmeren Oberfläche des Erdreichs
(z. B. 'jSüe7ie acaulis, Saxífraga oppositifolia)^ oder sie bilden^ indem
sie tiefer in den kalten Boden eindringen, einen geräumigen Speicher
für abgelagerte Nährstoffe/aus dem die übrigen Gebilde sich rascher
erneuern können (z.B. Oxyria). Ein anderes Mittel, eine sparsamere
Verwendung, der Blattfunktionen zu erreichen, besteht in der Dauer
des Laubes, wenn es von derbem Gewebe sich mehrere Jahre immergrün
und arbeitsfähig erhält (z. B. Diapensia). Dient die unveränderte
Erhaltung der erstarrten Organe unter der Schneedecke dem
Bedürfniss der übei'winternden Thiere, so ist sie für das Gewächs
selbst von nicht geringerer Bedeutung, wenn die Thätigkeit desselben
Blatts, ebenso wie bei den Zellenpflanzen, sich im folgenden Sommer
erneuern kann. Schwindet dann allmälig dieses Vermögen, so sterben
die Blätter ab, ohne durch Gliederungen entfernt zu werden ; der
untere Theil der Laubrosette wird nach und nach braun, aber ehe
derselbe vollends verwest ist, trägt er noch bei, wie ein Hüllorgan
die versteckte Gipfelknospe zu schützen, aus welcher sich die neuen
Organe gleichzeitig entwickeln. So bleibt zu jeder Zeit die Anzahl
der thätigen Blätter die nämliche, und kein Tag geht der Vegetation
durch Erneuerung der zur Ernährung nothwendigen Organe verloren.
Endlich wird auch die Grösse der Blätter zu einem Hülfsmittel
der Zeitbenutzung : um so kleiner sie sind, desto rascher treten
sie leistungsfähig aus der Knospe hervor. Und je weniger organischer
Nährstoff zum Auswachsen der Organe nöthig ist, in desto
kürzerer Zeit kann das bereits thätige Laub ihn bereiten. Bei den
meisten arktischen Pflanzen sind die Blätter in der That von geringer
Grösse, und beschränkt sich die ganze Organisation auf das zur Erhaltung
der ArtNothwendigste, so genügen ihrer wenige (z.B. Dr aba).
Aber wenn die vom Laube aus ernährten Organe, namentlich um
viele Jahre lang auszudauern, einen beträchtlichen Umfang erreichen
oder von festerem Gewebe gebildet sind, und wenn die Grösse der
Blumen mehr Nahrungsstoff erfordert, so geht dieser Vortheil in der
vermehrten Anzahl der nöthigen Blätter verloren. Auf die kleinsten
Flächen und doch eine verhältnissmässig geringe Anzahl von Blättern
sehen wir eine der wenigen einjährigen Pflanzen beschränkt,
die aber auch diese Kleinheit der Dimensionen in den übrigen vegetativen
Organen, sowie in den Blüthen, inne \vk\i (Koenigia) : hier
muss allein die Erhaltung der Keimkraft des Samens die Einschränkung
des vegetativen Haushalts ersetzen.
So mannigfaltig äussert sich das Streben der organisirenden
Naturkraft, selbst in einem doch nur so dürftig ausgestatteten Formenkreise
durch Aenderungen des Bildungsplans und durch die Kombination
der Leistungen, bald in einer Richtung, bald in einer anderen
das eine Ziel verfolgend, das andere aufopfernd, den verschiedenen
Aufgaben zu genügen, welche die physischen Schranken ihr auferlegen.
Die Kleinheit der Blätter bringt übrigens auch den Nachtheil
hervor, dass sie bei ihrer schliesslichen Verwesung zu der
Ilumuserneuerung des Bodens wenig beisteuern können. Und gerade
hierin unterscheidet sich die arktische Vegetation von der der alpinen
Regionen, dass das Humusbedürfniss in den meisten Fällen geringer
ist. Der Rasen wird bei den Stauden häufiger durch Verzweigungen
über, als in der Erde gebildet, und eben die stärkere Ausbildung der
unterirdischen Organe bei den Alpenpflanzen ist die Ursache, dass
unter denselben weit höhere Stengel und grössere Organe vorkommen,
deren Wurzeln sich in dem tieferen Hunms ausbreiten. Sie
haben nicht das unterirdische Eis zu fliehen, wie der Rasen der Polarländer,
den man leicht vom Boden ablösen kann.
In vielen Fällen genügt indessen die Bildung der unterirdischen
Organe mit ihren aufgespeicherten Nährstoffen zum Fortbestehen des
individuellen Lebens, sowie die auf Theilung des Zusammenhangs
zielende Absonderung ihrer Verzweigungen, die Erhaltung der Art
durch vegetative Fortpflanzung zu verbürgen, auch wenn der Samen
nicht zur Reife gelangt oder sogar die herbstlichen Schneefälle schon
eintreten, noch ehe die Blüthen sich entwickelt haben. Doch legt
die Natur auch hier einen hohen Werth darauf, neben der Fortpflanzung
durch Knospen auch die durch den Samen sicher zu stellen.
Möglichst früh treiben daher die Blüthen hervor und, wenn Baer
durch frühzeitigen Schnee die Befruchtung vieler Pflanzen vereitelt
sah, so konnte Middendorff im Taimyrlande dies nicht bestätigen, und
als eine normale Erscheinung ist es jedenfalls nicht anzusehen.
Die Bildung der Blumen zeichnet sich sowohl in der arktischen
Flora wie in den alpinen Regionen durch Farbenreichthum und oft
auch im Verhältniss zu den übrigen Organen durch ihre Grösse aus.
Middendorff^) fand den mittleren Blüthendurchmesser der Taimyr-
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. i. 4
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