gestehen, so ist Rufsland nach meinen Erfahrungen das e in z ig e Land gewesen,
wo auch ohne Empfehlung der Fremde sich einer ausgezeichneten
Aufnahme zu erfreuen hat. Die gebildeten Klassen der russischen Gesellschaft
sehen es als eino Art angenehmer Pflicht an, den Aufenthalt in ih-
tem Lande für einen Ausländer durch gastfreundschaftliches Entgegenkommen
zu eileichtern, und selbst die niedrige Bevölkerung zeichnet sich
durch eine Höflichkeit au s, die mir allenthalben aufgefallen ist. Vielleicht
macht die Beamtenklasse, welche im Besitz eines niedrigen Tschin oder
Ranges ist, eine Ausnahme von dieser Regel, da die Einzelnen mehr vorstellen
wollen, als es ihre Stellung mit sich bringt. So kriechend und so
unterwürfig sie gegen Personen sind, deren Rang das Prädikat Excellenz
odei Hochwohlgeboren erheischt, so herrisch, übermüthig und obstinat, so
vornehm-dünkelhaft zeigen sie sich gegen Leute, die nicht zum Beamtenthum
gehören und in einer gewissen Abhängigkeit von ihnen stehen. Von
den Postmeistern könnte ich in dieser Beziehung manches Geschichtchen
erzählen, da ich es oft habe empfinden müssen, dafs sie den „Excellen-
zen“ und „hochwohlgebornen Herren“ den Vorzug schleunigster Bedienung
zu Theil werden liefsen, während ich trotz meines Gourier-Reisepasses oft
lange warten mufste, um unter Bitten und Drohen Pferde zu erhalten.
Die übelste Erfahrung in dieser Beziehung maehte ich auf der Statio n .......
Dei Regen hatte den Boden so aufgeweicht, dafs voraussichtlich drei
Pferde nicht genügten, um das Gepäck, meine Begleiter und mich auf dem
Tarantas'durch den grundlosen Koth zu schleifen. Meine Bitten wurden so
wenig beachtet, dafs der betreffende Herr Smatritel mir nicht einmal drei
frische Pferde stellte, sondern drei abgehetzte Gäule einspannen liefs, welche
vor einer Stunde in den Stall geführt worden waren. Der russische
Jemtschih schien selber bedenklich darüber zu sein, denn er besah die
Pferde, sehüttelte mit dem Kopfe und brummte unverständliche Worte
in den Bart. Wir fuhren darauf los. Die Nacht brach allmälig herein,
tiefes Dunkel bedeckte den Himmel und ein anhaltender Platzregen vermehrte
die Schwierigkeiten des Weges. Die Pferde keuchten, der Kutscher
fluchte, denn die Wagenräder drehten sich hur mühsam in dem lehmigen
Strafsenkoth, der sie zuletzt mit dicken Krusten überzogen und unkennbar
gemacht hatte. Gegen Mitternacht befanden wir uns inmitten einer
Dorfstrafse, woselbst der Jemtschik erklärte, dafs die Kräfte der Pferde
erschöpft seien und wir deshalb lieber Postpferde von der nahegelegenen
nächsten Station requiriren möchten. Er setzte sich auf einen der Gäule
und trabte selber durck Dick und Dünn in Nacht und Regen hinein, um
Pferde zu holen. Der nächste Postmeister, der wahrscheinlich im besten
Schlafe gestört wurde, verweigerte die requirirten Thiere, so dafs ich nach
beinahe dreistündigem Warten genöthigt wurde, die schlafenden Bauern
herauszutrommeln, die mir endlich nach langem Hin- und Herreden gegen
Geld und gute Worte fünf Pferde zu meinem weiteren Fortkommen bereitwillig
stellten.
Die Chaussée von Tula nach Moskau befand sich in einem so horri-
blen Zustande, dafs ich beinahe nach den Landstrafsen Kaukasiens Sehnsucht
empfand. Hunderte von Menschen waren jedoch damit beschäftigt, alte
Sünden zu bemänteln, d. h. die entstandenen Löcher auszufüllen und die
Strafse zu planiren, da die Reise S. M. des Kaisers nach Odessa bevorstand
und es nicht gerathen gewesen wäre, den Kaiserlichen Herrn den
unvermeidlichen Zufällen einer ruinirten Chaussée auszusetzen. Die Bevölkerung
in den Dörfern hatte den Anstrich der Wohlhabenheit und die
gesunden kernigen Gestalten der Männer und Frauen mit ihren rundge-
sichtigen, rothbäckigen, blondhaarigen Köpfen machten einen wohlthuen-
den Eindruck. Die Nationaltracht der russischen Bäuerinnen wrar niedlich
und geschmackvoll. Sie trugen meistens einen blauen Rock, der mit ro-
then Streifen besetzt war, und ein faltenreiches weifses Hemd mit blauen
Achselbändern. Lange und schwere Haarzöpfe fielen dabei über den Rücken.
Am 30. Mai jubelte ich beim Anblick der Thurmspitzen Moska'u’s vor
Freude laut auf. Näher als je lag mir von nun an die Heimath. Von der
letzten Station aus, siebzehn Werst vor Moskau, erkennt ein scharfes Auge
bereits die leuchtenden Spitzen der zahlreichen Thürme, hinter und über den
niedrigen Höhenzügen, auf welchen von Charkow aus die schlecht gehaltene
Kunststrafse bald auf- bald abwärtssteigend hinwegführt. Unter den drei
Weltstädten, welche ihres Panoramas wegen so oft gerühmt werden und die
zu sehen ich das Glück hatte, nämlich Kairo, Constantinopel und Moskau,
nimmt, meiner Meinung nach, die letztere offenbar den zweiten Rang ein.
Der Anblick der altrussischen Kirchenstadt mit ihrem zahllosen Heere von
Thürmen, Thürmchen und mit Gold- und Silberblech beschlagenen Kuppeln
ist feenhaft und erinnerte, was den Glanz anbetraf, an die leuchtenden Moscheen
von Qum oder von Scha'abdvlazim in Persien. Der hochgelegene
Kreml markirt sich bereits von weitem als der gewaltigste Bau Moskaus.