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 zu  wechseln.  Em  Blick  auf  die  vorgelegten  Scheine  genügte,  um  nachgemachtes  
 Papiergeld  zu  erkennen.  Ich  bedauerte  ziemlich  kühl,  nicht  in  
 der  Lage  zu  sein,  ihrem  Wunsche  zu  willfahren,  und  kehrte  diesen  sauberen  
 Patronen  den  Rücken  zu.  Da  tra t,  wie  zufällig,  ein  dritter,  jüngerer  
 Mann  in  das  Zimmer,  kam  auf  mich  zu  und  fing  an  mir  in  russischen  
 Worten  unverständliches Zeug  zu  sagen.  Soviel  ich  es  russisch  aus-  
 drücken  konnte,  bedeutete  ich  dem  Manne,  der  ein  neues  Spiel  Karten  
 inzwischen  aus  der  Tasche  gezogen  hatte,  dafs  ich  nicht  russisch  spräche,  
 worauf  die  beiden  Passagiere,  scheinbar  ohne  sich  um  mich  zu  kümmern,'  
 den  eben  Eingetretenen  heranriefen  und  ein  Kartenspiel  begannen,  bei  
 welchem  es  gegen  den  Ersatz  einer  eingesetzten  Summe  darauf  ankam,  
 zu  rathen,  ob  eine  Karte  rechts  oder  links  fiel.  Die, Leute  zögerten  nicht  
 russische  Goldstücke  auf  die  Karten  zu  setzen,  verloren  Anfangs,  gewannen  
 aber  zuletzt  fortdauernd.  Sie  ermunterten  mich,  wenigstens  einmal  zu  
 setzen,  und  waren  plötzlich  und  zu  meinem  Erstaunen  bereit,  wenn  ich  
 nicht  Kleingeld  hätte,  mir  solches  zu  wechseln.  Ich  stand  entrüstet  auf,  
 erklärte  ihnen  offen  und  ehrlich,  dafs  ihre  Schurkerei  zu  plump  sei,  um  
 mich  zu  täuschen,  und  wünschte  ihnen  einen  recht  baldigen Lohn  für ihre  
 Bemühungen. 
 Die  zuletzt  durchmessene  Stralse  war  ungemein  hügelig  und  oft  kam  
 der  reine Felsrücken  zu Tage.  Abseits  im Grunde  lagen  Dörfer  und  kleine  
 Wälder,  deren  Anblick  von  weitem  etwas  Liebliches  hatte,  wenigstens  für  
 einen,  dessen  Auge  durch  die  Steppe  wochenlang  ermüdet  worden  ist.  
 In  den  Dörfern,  durch  welche  wir  mitten  durch  fuhren,  sah  es  schmutzig  
 genug  aus  und  die  klebrig  kothige Landstrafse  verstärkte  diesen Eindruck.  
 Die  vielen  bunten  Schnapsfahnen  vor  den  meistens  von  Juden  gehaltenen  
 Dorfkneipen  sind  ein  trübes  Zeichen  der  allgemeinen  und  stark  genährten  
 Liebe  zum  Wodka,  das  freilich  der  hohen  Branntweinsteuer  wegen  einen  
 sehr  bedeutenden  Posten  in  den  Einnahmebüchern  der  Regierung  bildet.  
 Der  russische  Typus,  wie  man  ihn  sich  gewöhnlich  vorzustellen  pflegt,  
 nimmt  von  Dorf  zu  Dorf  zu,  selbst  dem  Odeur  nach’,  da  die  Leute,  
 Pferde  und Wagen  so  sehr  nach  Hanf  und  Theer  stinken,  dafs  der Geruch  
 mcht  aus  der  Nase  zu  vertreiben  ist.  Aueh  die  Wanderungslust  der  Russen  
 und  Juden  nahm  eher  zu  als  ab,  und  langen  Reihen  vierrädriger  Karren  
 begegnete  ich  beinahe  stündlich.  Das Wodkafafs  an  jedem Wagen  war 
 auch  nicht  ohne  Bedeutung.  Sehr  sonderbar  und  mir  Anfangs  unerklärlich  
 war  der  Anblick  einer  Masse  alter  und  häfslicher Weiber,  welche  mit  
 Wasserstiefeln  und  mit  einem Pelzrock  bekleidet waren,  eine Kürbisflasche  
 an  der  Seite,  einen  vollen  Ränzel  auf  dem  Rücken  und  einen  grofsen  
 Wanderstock  in  den  Händen  trügen. • Mein Uhrmacher  erklärte  mir  in  seinem  
 unvergleichlichen Deutsch  die Anwesenheit  so  vieler pilgernder Frauen  
 mit  den  Worten:  „As  se  gaihn  wegen  Gottlieb“,  eine  mir  anfangs  sehr  
 räthselhafte  Umschreibung  für:  „sie  wallfahren  nach  einem  heiligen  Orte“.  
 Man  mufs  die  ungewöhnliche  Menge  dieser  vermummten  fratzenhaften  Gestalten  
 gesehen  haben,  um  den  traurigen  Eindruck  zu  begreifen,  den  eine  
 so  ungewöhnliche  Landstrafsenstaffage  auf  den  Reisenden  hervorbringt. 
 Von  Slawianska  aus  bis  Charkow,  die  sechs  und  sechzigste Station  von  
 Tiflis  aus,  iu  welcher  wir  am  26.  Mai  Abends  sechs  Uhr  glücklich  eintrafen, 
   war  die  Reise  von  dem  abscheulichsten  Regenwetter  begleitet,  das  
 alle Naturgenüsse  ganz  wörtlich  zu Wasser  machte.  Während  auf  den letzten  
 Stationen  vielleicht  alle  zwei  deutsche  Meilen  ein Dorf  berührt  wurde,  
 so  rückten  von  nun  an  die  Dörfer  immer  näher  zusammen,  die  Steppe  
 wurde  durch  bebaute  Felder  unterbrochen  und  die  bisweilen  fufstief  kothige  
 Strafse  war  von  hübschen Baumalleen  streckenweise  eingefafst.  Auch  
 der  Verkehr  nahm  an  Lebhaftigkeit  zu  und  der  Handel  und  Wandel  gewann  
 einen  sichtbaren  Charakter. 
 Zwischen  der  acht und fünfzigsten und neun  und  fünfzigsten Station sah  
 ich  bereits  aus  der Ferne  eine  Bildsäule  stehen,  die  sich  rechts  vom Wege  
 auf  einem Hügel  erhob  und  meine  ganze  antiquarische  Neugier  so  erregte,  
 dafs  ich  Reise  und-  Eile  vollständig  vergafs,  aus  dem  Wagen  stieg  und  
 zum  grofsen  Erstaunen  meines  Jemtsckibk  zu  dem  steinernen  Bilde  eilte.  
 Die  Figur  mochte  etwas  mehr  als  Lebensgröfse  haben,  die  Stellung  war  
 halb  sitzend,  halb  stehend,  und  das Gesicht,  —  obwohl  ziemlich  zerstört,  
 die Nase  nur  durch  ein  dreieckiges Loch  angedeutet  —  hatte  so  etwas  vom  
 Kalmückischen  an  sich.  Die  Arme  und  Beine  hatten  eine  popanzartige  
 Lage  und  die Hände  berührten  sich  am Unterleibe.  Die Stellen  der  beiden  
 Brüste  und  des  Bauchnabels  waren  durch  scheibenartige  Vertiefungen  angedeutet. 
   Keine  Spur  von  Kunstsinn  sprach  sich  aus  diesen  rohen  Gebilden  
 aus  und  keine  Inschrift  gab Auskunft  über  den räthselhaften Ui sprung  
 dieses  Götzensteines,  denn  das  sollte  er  offenbar  darstellen,  von  dem  ich  
 ein  anderes  Exemplar  am  nächsten  Tage  dicht  vor  Charkow  entdeckte.