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   dafs  ein  weitverzweigtes Kettensystem  nach  Süden  hin  zwischen  dem  
 schwarzen  und  dem  kaspischen Meere  die Völker- und  sprachenreiche  Landschaft  
 Trans-Kaukasien  durchzieht.  Auf  der  nördlichen  Seite  fällt der Kaukasus  
 so  steil  ab,  dafs  der  Reisende,  welcher  sich  so  eben  noch  in  den  
 höchsten  Luftregionen  zwischen  Schnee  und  Eis  gesehen  hat,  plötzlich  
 nach  der Tiefebene  von Ciskaukasien  versetzt  wird,  aus welcher  die  ganze  
 nördliche  Seite  des  Gebirges  sich  wie  eine  lange  steile  Bergwand  emp'or-  
 baut  und  einen  Riesenwall  bildet,  der  an  dieser  Stelle  Europa  von  Asien  
 scheidet.  In  den  Lehrbüchera  und  nach  der  gewöhnlichen  Anschauung  
 wird  freilich  die  Wasserlinie  des  Terek  und  des  Kuban  als  die  markirte  
 Grenzlinie  der  beiden Continente  angesehen;  aber viel  natürlicher  erscheint  
 es,  die  unverrückbare  gigantische  Bergwand  als  Naturgrenze  Europas  und  
 Asiens  zu  setzen.  Auf  der  von  uns  durchreisten  Strecke  stellte  sich  der  
 montane  Charakter  als  massige  Erhebung  von  Kegeln  mit  pyramidaler  
 Spitze  dar,  mit  sanftem  Steilabfall  auf  dem  untersten  Drittel;  scheinbar  
 kein  Kettensystem,  und,  wo  es  vorhanden,  nicht  gar  zu  lange  Kämme. 
 Die  zwölfte  Station  ist  die  bekannte  Stadt  Wladikawkas',  schon  von  
 weitem  sichtbar,  bildet  die  weifs  angestrichene  Kirche  in  der  Mitte  den  
 ersten  Ruhepunkt  für  das  suchende  Auge.  Ich  erreichte  sie  Naehmittag  
 gegen  vier Uhr,  nachdem  mich  auf  der  Station  vorher {Battv)  Hr.  v.  G ro l-  
 m a n   glücklich  wieder  eingeholt  hatte.  Die  Stadt  ist  ziemlich  klein;  eine  
 lange  schöne  Holzbrücke  führt  über  den  Terek  zunächst, zu  einer  Baumallee  
 und  von  da  aus  zu  breiten  aber  ungepflasterten  Strafsen.  Die Häuser  
 sind  einstöckig,  in  der  Mehrzahl  mit  weifsein  Anstrich  versehen  und  mit  
 Stroh  oder  Ziegeln  bedacht.  Da  viele  aus  Holz  gebaut  sind,  so  herrscht  
 hier  das  allgemeine  Polizei verbot,  nicht  zu  rauchen.  Die  einfache  weifse  
 Kirche  mit  grünen  Dächern  erhebt  sich  in  der Mitte  eines' grofsen Platzes.  
 Die  Leute  hierselbst,  Grusiner  vom  reinsten  Blute,  berichteten,  dafs  es  in  
 Wladikawkas  und Umgegend  den  ganzen  Mai  hindurch  zu regnen pflege,  so  
 dafs  schliefslich  unser  anfängliches  Wundern  aufhörte,  durch  grundlosen  
 Strafsenkoth und  bei  strömendem Regen  in  den  Ort  eingezogen  zu  sein.  Wir  
 verlebten  den Nachmittag  über  in  der  scheufslichsten  aller russischen Gosti-  
 nitzen,  und  fanden  uns  trotz  des  Regens  und  der  kothigen  Unterläge  viel  
 wohler  auf  der  Strafse,  als  in  dem  ekelhaft  schmutzigen Gastzimmer.  Die  
 Stadt  hat  im  Kaukasus  eine Berühmtheit  der  kabardinischen  Rur/ca  wegen. 
 So  nennt  man  den  Filz-Mantel,  welchen  die  Eingeborenen  und  die  russischen  
 Soldaten  als  Schutz  gegen  Regen,  Wind  und  Kälte  windrecht  zu  
 tragen  pflegen.  Da  die Militärs  auf  ihren Expeditionen  gegen  die  kriegerischen  
 Tscherkessen  die  bequeme  übliche  Landestracht  der  engen  Uniform  
 vorziehen,  so  benutzte  Herr  v.  G ro lm a n   die  günstige  Gelegenheit,  durch  
 den  Ankauf  einer  Burka  und  einer  Tscherkeska  von  dem  Ruf  des  Ortes  
 Vorth eil  zu  ziehen. 
 Besonders  denkwürdig  bleibt mir  Wladikawkas  durch  die Bekanntschaft  
 mit  einem  neuen  Reisegefährten,  welcher  mich  von  hier  an  bis  nach Moskau  
 begleitete,  indem  er  mir,  gegen Bewilligung freier Fahrt,  seine Dienste  
 als Dolmetscher  anbot.  Da  ich  des  Russischen  nicht  mächtig  bin,  so  schien  
 mir  der  Vorschlag  ganz  plausibel  und  ich  willigte  ein  unter  der  Bedingung, 
   dafs  wir  uns  beide Vertragen  würden  und,  nicht  zu  vergessen,  so  
 lange  mein  achsenkranker  Tarantas  aushalten  würde.  Unser  neuer  Bekannte  
 war  seinem  Berufe  nach  ein  Uhrmacher,  seinem  Range  nach  
 ein  russischer  Beamter,-  seiner  Religion  nach  ein  „Jüd“,  der  in  der  Stadt  
 Riga  zum  ersten  Mal  das  Licht  der  Welt  erblickt  hatte.  Es  ist  eine  bekannte  
 Sache,  dafs  in Rufsland  nichts  über  den  Tschin  oder  den Rang  und  
 über  die  Uniform  geht.  Derjenige,  welcher  irgend  eine  Rolle  spielen  will,  
 strebt  nach  einer  Rangstufe,  und  es  kitzelt  ordentlich,  wenn  er  mit  dem  
 Titel  Hochwohlgeboren  beehrt  wird.  Auch  unseren  Uhrmacher  hatte  in  
 dieser  Beziehung  der  Staar  gestochen,  und  als  Collectensammler  für  eine  
 wohlthätige  Anstalt,  an  deren  Spitze  eine  Grofsfürstin  als  Hauptwohlthä-  
 terin  steht,  hatte  er  es  erreicht,  Uniform  zu  tragen,  vor  Allem  aber  einen  
 Säbel  von  der Gattung Spieker  zu  führen,  den  er  als  unzertrennlichen Ehrenbegleiter, 
   in Leinwand wohl  eingewickelt,  stets  in  der Hand  trug.  Dieser  
 Säbel  und  die  Uniformsmütze  bildeten  sein  Palladium,  durch  das  er  
 Alles  zu . erreichen  hoffte,  was  nur  irgend  ein  russischer  Beamter  zu  erreichen  
 im  Stande  ist. 
 Bei  strömendem  Regen  stiegen  wir  am  Vormittag  des  18.  Mai  in  unseren  
 Tarantas,  nachdem  ich  mir  die  Pferde  vom  Posthause  erst  selber  
 hatte  holen  müssen.  -Kaum  hatte  unser  begleitender  Uhrmacher  in  der  
 Telega  oben  auf  dem  Gepäck  als  der  letzte  .Platz  genommen,  so  sausten  
 wir  zunächst  in  eine  grofse  Ebene  hinein,  voll  blumiger  duftreicher  Wiesen, 
   die  sich  am  Ende  zu  einem  ansehnlichen  Steppenlande  erweiterte.  
 Wie  eine  schwarze  Linie  zog  sich  die  Strafse  mitten  auf  grünem  Grunde