Wir ritten also lustig darauf los, — ohne Wäsche noch Proviant im
Sack (dafs ich nicht lüge, eine Tafel Potsdamer Gesundheits-Chocolade
hatte ich als Stärkungsmittel beigesteckt), — und befanden uns bald hinter
Mianbh in einem Thalkessel des Flusses, dessen romantische Schöne
bei allen Regengüssen auf das Lebhafteste an die herrlichsten Stellen der
vaterländischen Rheinfahrt erinnerte, freilich nur insoweit, um mit der
Lieblingsphrase des ürreisenden, des alten Herodot, zu reden, als es
gestattet ist Kleines mit Grofsem zu vergleichen. Wenn auch die Burgen
mit Zinnen und Thürmen in der persischen Rheinlandschaft fehlten, so
konnte doch die geschäftige Phantasie ohne grofse Mühe und Anstrengung
aus den wunderbar geformten und zerklüfteten Felsgipfeln und zackig-zerrissenen
Bergkuppen soviel Zwingfesten herausconstruiren, dafs ganze Rittergeschlechter
genug daran gehabt hätten. Die Beleuchtung war dabei so
nebelhaft-sonnig-regnigt, dafs man den unglaublichsten englischen Stahlstichs
Himmel in natura geniefsen konnte.
Durften wir mit der romantisch gefärbten oberen Region ganz zufrieden
sein, so sah es mit dem concreten Unterlande unpoetisch genug aus.
Eben hatten wir im Galopp die steile Strafse rechter Hand, abwärts vom
unseligen Mianeh-tschai, dem lingirten Rheinstrom, bergaufwärts zurückgelegt,
so verwandelte sich auf der windigen Bergeshöhe der Regen in
eitle grofse Schneeflocken, dafs man kaum eine Hand breit vor sich hin
sehen konnte und jede Wegspur von dem weifsen Wintermantel vollständig
zugedeckt wurde. Das war ein Reiten! Die Pferde, keuchend und schäumend;
sanken fufstief in den aufgeweichten Boden ein und drohten jeden Augenblick
mit uns im Schlamm stecken zu bleiben. Unsere Reiselust war dabei
durch Kälte und Nässe bis auf ein mikroskopisches Minimum reducirt
und meine Laune zu Rande gekommen.
Nach einem fünfstündigen sogenannten Tschapärritt erreichten wir über
Somän und noch ein anderes namenloses Dorf in engen Thalkesseln und
Thalgründen das grofse Menzil Turkman-tschai (eigentlich „Turkomanflufs“),
ein reiches Dorf mit vielem Baumwuchs auf einem hügeligen Terrain.
Wir hielten vor dem abseits gelegenen Posthause still, dessen Thüre
sich trotz allen Klopfens, Rüttelns, Rufens nicht öffnen wollte, weil der
Herr Postmeister es vorgezogen hatte im Dorfe in warmer Hütte beim Harem
d. h. bei Muttern daheim zu sitzen und über die Schwierigkeit seines
Amtes Stofsseufzer zum Besten zu geben. Nach einer Viertelstunde laugen
Wartens bei ununterbrochenem Regen, natürlich ohne Regenschirm,
kam er endlich langsamen und gemessenen Schrittes aus der grofsen Dorf-
strafse, wo sich kein Hund sehen liefs, den Weg zum Posthause geglitscht
und gerutscht, — der Naturbrei in besagtem Dorfe ist nämlich sehr lehmig,
- und meinte auf eine Fluth von Vorwürfen meinerseits mit stoischer
Ruhe: „es sei in der That recht schlechtes .Wetter!“
Wir zogen in das Haus ein, nahmen auf eine Stunde Quartier im
Oberstübchen, wo uns, nichts Neues mehr, der Regen durch die Zimmerdecke
auf den Kopf träufelte, liefsen Feuer im Kamin anmachen, Milch,
Eier und Brot holen, und während mein armer Kamerad, auf dem blofsen
kalten Fufsboden ausgestreckt, vom Fieber von Buschehr geschüttelt wurde,
bereitete ich mit Studenten-Andacht an dem hell flackernden Kaminfeuer
eine Milch-Chokolade, die mir indefs noch Zeit genug liefs, nebenbei
unsere durchnäfsten Kleider an der wärmenden Flamme zu trocknen, welches
nützlich-nothwendige Geschäft ich mit alleiniger Ausnahme der wasserschwangeren
Lederstiefel mit ziemlicher Fertigkeit zu Stande brachte.
Wir hatten nicht lange Zeit zu verlieren, wollten wir in der Nacht
noch Täbrtz erreichen. Leidlich restaurirt bestiegen wir zwei neue Pferde,
— es war am 10. April, — und machten uns, von einem persischen Postknecht
begleitet, auf die Weiterreise. Du Himmel mein, was für ein Weg
war das wieder 1 Vier lange Fersach in Berg und Thal war die Strafse
so durchweicht, so aufgelöst, so kothiger Brei, so urschöpfungsartig, dafs
die Pferde bei jedem Schritte b is zu d em B a u c h e v e r s a n k e n , kaum
im Stunde waren die Füfse herauszubekommen und noch viel weniger vorwärts
zu setzen, und dafs wir schliefslich alle drei, wir Preufsen mit dem
Perser, in Schlammgestalten verwandelt wurden , deren eigentliche Nationalität
weder Physiognomie noch Tracht errathen konnte. In sq adami-
tisch-kosmopolitischer Gleichheit zogen wir in das elende Nest Hadschi-
Aga ein, wo dem augenblicklichen Mangel an Pferden in dem gräulichen
Posthause durch ebenso augenblickliche Prügel wirksamst abgeholfen wurde.
Die letzte Wegstrecke war so schneckenhaft langsam zurückgelegt
worden ,. dafs wir die Aussicht, am selben Tage Täbrtz erreichen zu können,
nur noch als ein verlorenes Phantasiestück betrachteten. Die pure
Wirklichkeit verhüllte uns jeden Trost der Hoffnung und wir ritten darum
wie Fische stumm neben einander aus dem Posthause heraus, ohne der
Vergangenheit noch Zukunft mit einem Worte weiter zn gedenken. Der