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 zarten  Frauengestalten,  verhielten  sich  abor  iibov  allô  Maison  ruhig  und  
 unständig. 
 Kasbog,  den  16. Mai.  „Da  sitze  ich  bei  strömendem  liegen  in  einer  
 ziemlich  behäbigen  Stanzia  mitten  in  den  kaukasischen  Bergen,  meine  Seele  
 noch  so  voll  von  den gewaltigen Eindrücken  der eben  zurückgelegton  Reise  
 über  die  gigantischen  Felsen  des  Kaukasus,  da (’s  ich mehr träume  als wache.  
 Eben  tritt  ein  russischer  Soldat,  dessen  weiiso  Knöpfe  auf  dem  grauen  
 l'uchmantel  mit  zwei  gekreuzten  Schippen  ornamentirt  sind,  den  dampfenden  
 messingenen  Samowar  und  sagt  auf  deutsch  ganz  vernehmlich :  „Hier,  
 mein  H e rr!“  —  Ich  fahre  mit  der  Hand  über  die  Augen,  um  mich  zu  
 überzeugen,  ob  ich  wach  bin.  Sprechen  Sie  deutsch,  frage  ich  ihn.  -  
 -da.  ein  Bis ehen“,  erwiedert  e r,  „ich  bin  ja  ein  Jude  aus Warschau.“  -   
 Mein  ganzes  Dentsehthum  war  in  dieser  wilden,  massenhaften,  schaurig  
 gTolsartigen  Natur,  in  der  Umgebung  fremd  sprechender  Kaukasier  und  
 in  meiner Poststuben-Einsamkeit  auf  ein  solches Minimum  reducirt worden,  
 dais  ich  diesen  Warschauer  im  Namen  des  ganzen  deutschen  Vaterlandes  
 feierlichst  hätte  umarmen  können.“  — 
 So  lauten  die  Worte  meines  Tagebuches,  welches,  wie  sich  der  geehrte  
 Leser  durch  das  Datum  und  auf  der  Karte  überzeugen  kann,  nach  
 dem  lebergange  über  den  prometheisehen  Felsen,  dem  schon  Horaz  das  
 Beiwort  inhospüalis  gegeben  hat,  niedergeschrieben  ist.  Doch  um  nicht die  
 von  Anfang  an  gewählte  Form  der  historischen  Darstellung  zu  unterbrechen, 
   knüpfe  ich  den  Faden  der Erzählung  an  meine Abreise  von Tiflis  an. 
 Am  Mittwoch  früh  verliefs  ich  die  Stadt  gegen  fünf  Uhr  Morgens.  
 S c h ü t t e r   safs  auf  dem  Bocke  meines  Tarantos,  den  ich  mit  stillen Zweifeln  
 über  seine  lange  Lebensfähigkeit,  besonders  eingeschüchtert  durch  
 die  Beschreibungen  der  Kaukasusstrafse,  kaum  scharf  anzusehen  wagte.  
 Ich  hatte  mich  im  Innern,  halb  neben  halb  auf  dem  Gepäck  sitzend,  so  
 gut  es  gehen  wollte  placirt,  und  drückte  meinem  deutschen  Landsmann  
 R a b e   die  Hand  zum  Abschied,  der  in  Tiflis  eine  ihm  zusagende  Stellung  
 als  Maître  d’hôtel  gefunden  hatte.  Herrn  v.  G ro lm a n   rief  ich  zu,  mich  
 sobald  als  möglich  mit  seiner  Telega  einzuholen,  da  wir  wegen  Mangel  an  
 Postpferden  getrennt  von  einander  zu  reisen genöthigt waren.  Der Himmel  
 sah  recht  trübe  aus,  wie  beinahe  stets  auf  den  letzten  Strecken  meiner  
 Reise,  doch  gab  mir  meine  Podoroschna  knrrierska  und  ein  gütiges  Em- 
 Dlo  Kauksus - Straf««. 415 
 pfohlungsschroiben  dos  General -  Postmeisters  K o e h a n o f f   den  nöthigen  
 Math,  auch  das  Schlimmste  von  oben  zu  ertragen,  wenn  ich  nur  von  unten  
 gut  wegkämo.  Die  klingende  Troika  fuhr  durch  den  breiten  Boulevard  
 von  Tiflis  denselben  uns  bereits  schon  bekannten Weg  nach  der  alten  
 georgischen  Königsstadt  Mt.zch.et  oder  Mtzchetu,  woselbst  in  dem  Posthause  
 die  Pferde  zum  ersten  Male  gewechselt  wurden.  Von  hier  aus  zieht  die  
 handstrafse,  welche  in  nördlicher  Richtung  nach  dem  eigentlichen  Kaukasus  
 führt,  über  die  steinerne  Kurabrücke  hinweg  linker  Hand,  dicht  an  
 der  Stadt  vorüber  und  erhebt  sich  dann  mit  sichtbar  zunehmender  Steigung  
 bergaufwärts  in  der Umgebung  einer wahrhaft  reizenden Natur.  Mehr  
 als  jemals  bedauere  ich  meiner  Muttersprache  nicht  so  Meister  zu  sein,  
 um  mit  den  entsprechenden  Worten  eine  anschauliche  Beschreibung  der  
 mannichfaltigen  und  wunderbaren  Naturbilder  zu  gewähren,  welche  von  
 hier  an  bis  Wlaclikawkas  in  stetem  Wechsel  hinter  einander  folgen  und  
 deren  Grundton  das  vollendetste  Frühlingsbild  ist,  —  ein  wahrer  -Garten  
 Gottes,  von  des  Schöpfers  freigebigster  gütigster Hand  gepflanzt,  mit  saftgrünen  
 Wiesen,  dunklen Wäldern,  mit  dem  buntesten  Blumenflor,  mit  riesigen  
 Felsen  und  mit  silbernen  Wasserstreifen,  die  in  mäandrischen  Windungen  
 durch  das  irdische  Paradies  dahinziehen.  Und  nun  der  schaffende  
 Mensch  da  mitten  hinein!  Die  Strafse  ist  so  schön,  wie  sie  nur  immer  
 in  einem  gebirgigen Terrain  sein  kann:  hier  sind  Felsen  losgesprengt,  dort  
 Dämme  errichtet,  hier  wiederum Chausseen  angelegt,  dort Brücken  gebaut,  
 und  alles das  von  der Hand  des  russischen Kriegers,  dessen  freudenloses Dasein  
 lediglich  dem Nutzen Anderer gewidmet ist.  Wo  früher der wilde Sohn  
 der  Berge  auf  schlüpfrigem  Pfade,  auf  Feinde  und  Beute  lauernd,  einherschlich,, 
  wo  dem  kühnen  Wanderer  vordem  nur  unersteigbare  Felsen  und  
 gefahrdrohendes  Gehölz  entgegenstarrten,  zeigt  sich  gegenwärtig  mitten  in  
 der wildromantischen Natur  des Kaukasus  das  anmuthige Bild  der  bahnbrechenden  
 Civilisation in den lieblichsten heitersten Erscheinungen.  Versunken  
 in  den Anblick  der  grofsartigsten Naturschönheiten,  deren Hauptgegenstand  
 die  colossalen  zum Himmel  ansteigenden  und  die Wolken  dnrchbrechenden  
 Bergmassen  sind,  auf  deren  Köpfen  der  starre  weifse  Winter  ruht,  an  deren  
 Füfsen  die  bunten  Kinder  des Frühlings  dem Wanderer  freundlich  entgegenlachen, 
   hat  der  Beschauer  kaum  Zeit,  sein  Auge  auf  die  Pilger  der  
 Strafse  zu  werfen,  welche  in  ihrer  malerisch  kriegerischen  Tracht  dem  
 räthselhaften  Völkergemisch  angehören,  das  sich  in  den  Thälern  des  Kau