414 Am Kashog.
zarten Frauengestalten, verhielten sich abor iibov allô Maison ruhig und
unständig.
Kasbog, den 16. Mai. „Da sitze ich bei strömendem liegen in einer
ziemlich behäbigen Stanzia mitten in den kaukasischen Bergen, meine Seele
noch so voll von den gewaltigen Eindrücken der eben zurückgelegton Reise
über die gigantischen Felsen des Kaukasus, da (’s ich mehr träume als wache.
Eben tritt ein russischer Soldat, dessen weiiso Knöpfe auf dem grauen
l'uchmantel mit zwei gekreuzten Schippen ornamentirt sind, den dampfenden
messingenen Samowar und sagt auf deutsch ganz vernehmlich : „Hier,
mein H e rr!“ — Ich fahre mit der Hand über die Augen, um mich zu
überzeugen, ob ich wach bin. Sprechen Sie deutsch, frage ich ihn. -
-da. ein Bis ehen“, erwiedert e r, „ich bin ja ein Jude aus Warschau.“ -
Mein ganzes Dentsehthum war in dieser wilden, massenhaften, schaurig
gTolsartigen Natur, in der Umgebung fremd sprechender Kaukasier und
in meiner Poststuben-Einsamkeit auf ein solches Minimum reducirt worden,
dais ich diesen Warschauer im Namen des ganzen deutschen Vaterlandes
feierlichst hätte umarmen können.“ —
So lauten die Worte meines Tagebuches, welches, wie sich der geehrte
Leser durch das Datum und auf der Karte überzeugen kann, nach
dem lebergange über den prometheisehen Felsen, dem schon Horaz das
Beiwort inhospüalis gegeben hat, niedergeschrieben ist. Doch um nicht die
von Anfang an gewählte Form der historischen Darstellung zu unterbrechen,
knüpfe ich den Faden der Erzählung an meine Abreise von Tiflis an.
Am Mittwoch früh verliefs ich die Stadt gegen fünf Uhr Morgens.
S c h ü t t e r safs auf dem Bocke meines Tarantos, den ich mit stillen Zweifeln
über seine lange Lebensfähigkeit, besonders eingeschüchtert durch
die Beschreibungen der Kaukasusstrafse, kaum scharf anzusehen wagte.
Ich hatte mich im Innern, halb neben halb auf dem Gepäck sitzend, so
gut es gehen wollte placirt, und drückte meinem deutschen Landsmann
R a b e die Hand zum Abschied, der in Tiflis eine ihm zusagende Stellung
als Maître d’hôtel gefunden hatte. Herrn v. G ro lm a n rief ich zu, mich
sobald als möglich mit seiner Telega einzuholen, da wir wegen Mangel an
Postpferden getrennt von einander zu reisen genöthigt waren. Der Himmel
sah recht trübe aus, wie beinahe stets auf den letzten Strecken meiner
Reise, doch gab mir meine Podoroschna knrrierska und ein gütiges Em-
Dlo Kauksus - Straf««. 415
pfohlungsschroiben dos General - Postmeisters K o e h a n o f f den nöthigen
Math, auch das Schlimmste von oben zu ertragen, wenn ich nur von unten
gut wegkämo. Die klingende Troika fuhr durch den breiten Boulevard
von Tiflis denselben uns bereits schon bekannten Weg nach der alten
georgischen Königsstadt Mt.zch.et oder Mtzchetu, woselbst in dem Posthause
die Pferde zum ersten Male gewechselt wurden. Von hier aus zieht die
handstrafse, welche in nördlicher Richtung nach dem eigentlichen Kaukasus
führt, über die steinerne Kurabrücke hinweg linker Hand, dicht an
der Stadt vorüber und erhebt sich dann mit sichtbar zunehmender Steigung
bergaufwärts in der Umgebung einer wahrhaft reizenden Natur. Mehr
als jemals bedauere ich meiner Muttersprache nicht so Meister zu sein,
um mit den entsprechenden Worten eine anschauliche Beschreibung der
mannichfaltigen und wunderbaren Naturbilder zu gewähren, welche von
hier an bis Wlaclikawkas in stetem Wechsel hinter einander folgen und
deren Grundton das vollendetste Frühlingsbild ist, — ein wahrer -Garten
Gottes, von des Schöpfers freigebigster gütigster Hand gepflanzt, mit saftgrünen
Wiesen, dunklen Wäldern, mit dem buntesten Blumenflor, mit riesigen
Felsen und mit silbernen Wasserstreifen, die in mäandrischen Windungen
durch das irdische Paradies dahinziehen. Und nun der schaffende
Mensch da mitten hinein! Die Strafse ist so schön, wie sie nur immer
in einem gebirgigen Terrain sein kann: hier sind Felsen losgesprengt, dort
Dämme errichtet, hier wiederum Chausseen angelegt, dort Brücken gebaut,
und alles das von der Hand des russischen Kriegers, dessen freudenloses Dasein
lediglich dem Nutzen Anderer gewidmet ist. Wo früher der wilde Sohn
der Berge auf schlüpfrigem Pfade, auf Feinde und Beute lauernd, einherschlich,,
wo dem kühnen Wanderer vordem nur unersteigbare Felsen und
gefahrdrohendes Gehölz entgegenstarrten, zeigt sich gegenwärtig mitten in
der wildromantischen Natur des Kaukasus das anmuthige Bild der bahnbrechenden
Civilisation in den lieblichsten heitersten Erscheinungen. Versunken
in den Anblick der grofsartigsten Naturschönheiten, deren Hauptgegenstand
die colossalen zum Himmel ansteigenden und die Wolken dnrchbrechenden
Bergmassen sind, auf deren Köpfen der starre weifse Winter ruht, an deren
Füfsen die bunten Kinder des Frühlings dem Wanderer freundlich entgegenlachen,
hat der Beschauer kaum Zeit, sein Auge auf die Pilger der
Strafse zu werfen, welche in ihrer malerisch kriegerischen Tracht dem
räthselhaften Völkergemisch angehören, das sich in den Thälern des Kau