Schirdz an der Spitze aller steht, wie die Perser behaupten, kann ich leider
aus eigener bitterer Erfahrung bestätigen.
In der Frühe, fünf Uhr Morgens, waren wir aufgebrochen, und trotzdem
wir fortdauernd niederstiegen, war die Kälte so lange empfindlich
geblieben, bis sich vier Stunden später die Sonnenwärme allmählig fühlbar .
machte. Gegen Mittag erreichten wir die traurige Station Schulgistan, die
schon aus weiter Ferne sichtbar war, und bei dem Mangel jeglicher Baumvegetation
einen sehr traurigen Anblick darbot. Vor dem Dorfe weideten
Ziegen-, Schaaf- und Rinderheerden vertrocknete Grashalme ab. Unser
Nachtquartier wurde wieder in dem Posthause in der Nähe des prosaischen
Quelles genommen.
„Beliebt es Eurer Excellenz von Dero Lager aufzustehen, und Eurem
Knechte den Befehl zu ertheilen, die Thiere zu bepacken und aufzubre-
chenf“ — Das war ungefähr der Inhalt der Worte, mit welchen mich der
höflich gewordene Tscherwadar einige Zeit vor Sonnenaufgang weckte. In
der That dauerte es diesmal nicht lange, bis die Karawane marschfertig
dastand, so dafs wir ohne Aerger und Aufenthalt um ein halb fünf Uhr in
der Frühe des 3. Novembers aufbrechen konnten. Die Reise durch die
dorflose Steppe war langweilig genug, und nur die seltsamen Luftspiegelungen
der bergereichen Landschaft im Westen unterhielten uns durch den
sonderbaren Wechsel ihrer Gestaltungen. Die Fata Morgana schien das
Möglichste thnn zu wollen, um alle nur erdenklichen Bilder dem getäuschten
Auge vorzuführen; und besonders war es e in Berg, auf dessen Spitze
das wunderbare optische Spiel in schnellem Wechsel die •eigenthümlichsten
Gestaltungen hervorrief. Er hatte die Form eines Kegels, dessen Spitze
ein wenig eingeknickt war. Bald .stand nun ein zweiter Kegel mit breitem
Fufse auf der Spitze, bald wurde der Kegel so platt wie eine Scheibe,
die tellerförmig hin und herschwankte, bald wieder schien sich der zweite
Kegel umzudrehen und mit seiner Spitze auf der Spitze des ersteren unbeweglich
zu ruhen. Diese Bilder dauerten die ganze Zeit des Sonnenaufganges
über, und hörten allmählig auf, als die:Sonne etwa vierzig bis
fünfzig Grad ihres Bogens durchlaufen hatte.
Die Berglandschaft hat im Ganzen eine Streichungsrichtung, die eine
Linie von Ost nach West verfolgt. Die einzelnen Berggruppen und die
zusammenhängenden Ketten zeigten ziemlich durchgängig die Gestalt eines
rechtwinkligen Dreiecks, dessen Hypotenuse die gerade Fläche der Ebene
bildete. Nach der tief gelegenen Station Jezdekhast. hin, deren Häuserspitzen
schon in weiter Ferne wie aus dem Boden hervorzuwachsen scheinen, nehmen
die Gebirge an Massenhaftigkeit zu und sie scheinen den Urformationen
der Bergbildung anzugehören. Sobald man thalwärts herniedersteigt, beginnt
wiederum der wohlthuende Anblick bebauter Felder und grüner Gärten,
die sich längs der Wasserrinne in der Tiefe der Thalspalte in ununterbrochener
Folge hinziehen. Wir nahmen unser Menzil in dem oben
beschriebenen Posthause von Jezdekhast, nachdem wir kaum so viel Zeit
gehabt hatten, einem Leichenzuge auszuweichen, der uns ein Paar Schritte
vor dem Thore des Posthauses in den Weg trat. Da es die erste öffentliche
Trauerceremonie war, die ich bei der Bestattung eines Todten in
Persien gesehen hahe, so will ich nicht unterlassen, deren Beschreibung
dem Leser zum Besten zu geben. Den langen Zug, an dem sich die ge-
sammte Bevölkerung des Ortes ohne Unterschied des Geschlechtes und des
Alters zu betheiiigen schien, eröffneten zwei Perser, die auf zwei hohen
Stangen fahnenartig ausgebreitete Tücher trugen. Hinter ihnen folgten
zwei Pferdey die gesattelt waren, und am Zügel von zwei jungen Männern
geführt wurden; hierauf vier Personen, welche die eigentliche Leichenbahre
auf ihren Schultern trugen. Die Leiche war mit rothseidenen Tüchern, in
welche zahlreiche Schriftzüge eingestickt waren, umhüllt und bedeckt. Die
Träger derselben wankten hin und her, bald vorwärts, bald rückwärts, als
ob sie im Begriff ständen, sich ihrer Bürde baldigst zu entledigen. Ihnen
folgten andere Männer, welche auf dem Kopfe fünf grofse, mit Tüchern
verdeckte Schüsseln trugen, die Todtenopfer enthaltend, welche zum Wohle
des Verstorbenen den Armen gespendet zu werden pflegen. Verhielt sich
der bisher beschriebene Zug still und ruhig, so heulte dagegen der folgende
Theil der- Begleitung^ aus etlichen hundert Männern und hinter ihnen aus
einem langen Schwänze weinender und verhüllter Frauen bestehend, in einer
Weise, dafs uns ruhigen Zuschauern ängstlich zu Muthe werden mufste.
Unter den singend recitirten und klagenden Worten, welche sie unter
Thränen auSstiefsen, verstand ich nur den langgedehnten Schmerzenslaut
Wai! wai! — Selbst die Dächer und Balkone der Häuser waren mit Frauen
und Kindern besetzt,, deren Jammern und Klagegeschrei bis in die Tiefe
zu uns herniederschallte. Die orientalische Welt bezeugt bei der Freude,
vor allem aber beim Schmerze, 'eine Heftigkeit und Erregtheit, von der
man sich bei uns in der Heimath schwer eine Vorstellung machen dürfte.
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