
 
        
         
		liehen  Posthause  in Nachitschewan  stiegen  wir  gegen  neun  Uhr Abends  ab  
 reckten  und  dehnten  unsere  zerschlagenen  und  zerpufften Glieder  und  waren  
 überglücklich,  als  die  Frau  des  russischen  Posthalters  uns Thee,  gutes  
 Brot  und  wohlschmeckende  Butter  als  Abendimbifs  vorsetzte  Während  
 ich-  es  vorzog,  mich  mit  dem  bescheidenen  Mahle  zu  begnügen  und  auf  
 die  Holzpritsche  zum  Schlafe  auszustrecken,  unternahm  mein  lebenslusti-  
 gei  Gefährte  trotz  des  giefsenden  Regens,  bei  vollständig  aufgeweichtem  
 Boden,  in  stockfinsterer  Nacht  eine  topographische  Rundreise  durch  Nachitschewan, 
   lediglich  in  der Absicht,  um  einen  deutschen  — Conditor  ausfindig  
 zu  machen,  der  das  grofse  Wagstück  unternommen  hatte,  mitten  
 unter  Russen,  Tataren  und  Armeniern  eine  Conditorei  und  eine  Gostinitza  
 nebst Billard  zu  eröffnen.  Man  sieht  aus  diesen Andeutungen,  dafs  wir  der  
 Civilisation  mit  Riesenschritten  näher  getreten  waren.  Herr  v.  Grolma n  
 hatte  richtig  seinen  Conditor  ausfindig  gemacht,  sich  bei  ihm  häuslich  niedergelassen, 
   und  erst  den  wohligen  Ort  verlassen,  als  e r,  an  Leib  und  
 Seele  gestärkt  und  gekräftigt,  die  mitternächtige  Stunde  von  der Wanduhr  
 schlagen  hörte.  Mit  genauer  Mühe  und  Noth  arbeitete  er  sich  durch  den  
 Nachitschewaner Urstoff  bis  zum  Posthause  hindurch  und  legte  sich,  befriedigt  
 von  den  ersten  europäischen  Wohlthaten,  auf  seine  hölzerne  Pritsche  
 nieder. 
 Den  folgenden  Tag  verlebten  wir  mit  Aerger  und  Ünmuth,  da  wir  
 lange  Scherereien  mit  der  Douane  hatten,  welche  hierselbst  etablirt  ist  
 um  die  von  Persien  her  kommenden  Waaren  und  Gepäcke  durchzusehen  
 und  wegen  grofsartiger  Schwindeleien  in  der  letzten  Zeit  mit  ungemeiner  
 Strenge  verfährt.  Nach  langem  Suchen  fand  ich  zu  gleicher  Zeit  einen  
 leidlichen  Tarantas,  d.  h.  einen  auf  zwei  Stangen  ruhenden  und  für  kaukasische  
 Bergstrafsen  eingerichteten  Reisewagen,  der  zum  Transport  unserer  
 Personen  bestimmt  war,  während  das Gepäck  auf  einer  Telega  nach-  
 folgen  sollte.  Als  Proviant  auf  der  Reise  wurde  ein  gewaltiger  Schinken,  
 ein  halber  holländischer  Käse,  ein  Topf  Kaviar  und  zwei  Flaschen  Kachetiner  
 Wein  eingekauft,  und  so  waren  wir  gegen  Hungersnoth  auf  der  
 Weiterreise  durch  die  für  uns  persische  Reisende  seltenen  Schätze  allenfalls  
 gesichert.  Wir  hatten  die  Freude,  in  der Person  des  originellen  Obersten  
 Quartano,  des  Postmeisters  und  des  Gouvernementschefs  alte  Bekannte  
 wieder  zu  begrüfsen,  während  uns  die  Plackereien  in  der  Douane  
 wenigstens  die  Bekannschaft  des  Herrn  J a c o b   F e o d o r owi t s c h   Ka r a - 
 kutzin,   Mitgliedes  des  Zollamtes  und  zugleich  der  neuen  Transitcompagnie, 
   verschafften.  Ich  hatte  hierdurch  Gelegenheit  interessante  Handelsnotizen  
 zu  erhalten  und  Einsicht  in  das  Programm  der  genannten  Gesellschaft  
 zu  erlangen.  Das  Douanegebäude  gehört  mit  zu  den  solidesten  
 Bauten  in  Nachitschewan  und  schliefst  zugleich  den  Gerichtssaal  in  sich,  
 der  mir  durch  die  Kenntnifs  des  russischen  Gesetzspiegels  besonders  interessant  
 war.  Der  letztere  besteht  aus  einer  dreiseitigen  Pyramide,  auf  
 deren  drei  Flächen  unter  Glas,  die  drei  Hauptgesetze  Peters  des  Grofsen  
 in Druckschrift  für Jedermann  sichtbar  ausgestellt  sind.  Ich  erinnere  mich  
 nur  des  einen  Hauptgesetzes,  das  ein  besonderes  Licht  auf  die  Zeit  des  
 grofsen Czaren  fällt .und  wonach  derjenige Beamte,  der betrügt oder  stiehlt,  
 mit  Prügel  belohnt  werden  sollte.  Die  Studien  in  unserem  Quartier  beschränkten  
 sich  auf Prüfung  der  inneren Einrichtung  der russischen  Stanzia  
 oder  Posthäuser  und  die  gastliche  Station  in  Nachitschewan  kann  in  dieser  
 Beziehung  als  ein  Muster  aller  Posthäuser  Rufslands  bis  zu  den  Hauptstädten  
 dieses  riesigen  Landes  gelten.  Das  Ameublement  ist  einfach  aber  
 genügend,  zwei  oder  drei  Holzpritschen,  bisweilen  mit  Zeug-  oder  Lederkissen  
 belegt,  dienen  als  Schlafstätte.  Um  einen  Holztisch,  an  welchen  
 das  allgemeine Postbeschwerdebuch  mittelst  einer  daran  befestigten Schnur  
 mit  dem  Gouvernements-Petschaft  angesiegelt  ist,  stehen  einige Holzstühle.  
 Eine  Menge  geschriebener  und  gedruckter  Reglements  hängen  unter  Glasrahmen  
 oder  auf  Pappe,  geklebt  die  kahlen  Wände  entlang,  hier  und  da  
 unterbrochen  durch  Bilder  heiliger  oder  profaner  Personen  und  Gegenstände. 
   Die  Bilder  des  Kaisers  und,  im  Kaukasus,  des  Fürsten  P a s k e -   
 wi t sch  Er iwa n s k i   fehlen  nirgends.  Oben  in  einer  Ecke  des  Zimmers  
 steht  oder  hängt  eine  immerdar  brennende  Lampe  vor  dem  Bilde  des  
 Schutzheiligen,  dessen  Angesicht  wie  eine  Maske  aus  einer  ausgeschnittenen  
 silbernen  reichverzierten  Blechtafel  hervorsiebt.  Die  Frauen  der  Postmeister  
 schmücken  gewöhnlich  noch  die  kahlen  Fenster  durch  Gardinen.  
 Der  in  Rufsland  unvermeidliche  Samowar  oder  Theekessel  kann  als  eine  
 Fortsetzung  persischer  Gebräuche  gelten.  Man  sieht,  dafs  in  einem  solchen  
 Posthause,  die  willige  und  freundliche  Soldatenbedienung  (Kosaken  
 oder  polnische  Juden)  hinzugerechnet,  für  die  nothwendigste  Bequemlichkeit  
 des  Reisenden  ausreichend  gesorgt  ist,  und  kann  begreifen,  dafs  wir  
 uns  in  Erinnerung  an  persische  Posthauszustände  in Rufsland glücklich wie  
 Könige  vorkamen.