gelegten Stationen die Stanzia Nr. 30: die Festung Stawropol. Die Hitze
war den ganzen Tag über trotz des wolkenbedeckten Himmels so drückend,
dafs wir beinahe alle von starkem Kopfweh geplagt wurden, das nicht einmal
der Anblick des Reiseterrains ein wenig zu zerstreuen vermochte. Die
Steppe war und blieb eintönig und langweilig: eine weit ausgedehnte Fläche
mit niedrigem Gras bewachsen, ohne allen Blumenschmuck. Nur hier
und da zeigten sich niedrige Höhenzüge und einzeln stehende Hügel, an
deren Fufs üppiges Gesträuch wild wucherte. Wir zogen in Stawropol
gegen drei Uhr Nachmittags ein und waren im höchsten Grade und auf
das Angenehmste von dem säubern Anblick der Stadt überrascht, der gröfs-
ten, die wir seit Tiflis gesehen hatten. Durch das Thor fuhren wir in den
breiten Boulevard ein, der zu einer ziemlich bedeutenden Höhe ansteigt, in
seiner Mitte befindet sich eine von zwei Baumreihen eingefafste Promenade,
die an die Berliner Linden erinnert, während zwei Doppelstrafsen rechts
und links von weifs angestrichenen Holz- und Steinhäusern begrenzt sind.
Die letzteren sind meist einstöckig, in dem Erdgeschols befinden sich Läden,
in denen sogar Pariser Artikel in grofser Auswahl feilgeboten werden.
Den Haupttheil der Bevölkerung, soweit sich dies, nach den prome-
nirenden Personen beurtheilen liefs, bildete die russische Soldaten- und
Beamtenwelt, während die tseherkessisch-tatarische Bevölkerung den Eindruck
armer Parias machte. Auf der Höhe des Boulevards erhebt sich
eine stattliche, weifs angestrichene Kirche mit sechs grünen Thurmkuppeln,
und als das stattlichste aller Bauten das Kaiserlich russische Regierungsgebäude.
Wir quartirten uns in einer Gosiinitzä ein , woselbst man
für ein schlecht möblirtes Zimmer ohne Betten drei Rubel pro Tag. abverlangte;
wir accordirten auf anderthalb , wurden aber dennoch gezwungen,
zwei volle Rubel zu zahlen. Hr. v. G ro lm a n bereitete sich vor, von
Stawropol aus in die Expedition zu ziehen, denn die. Festung ist derjenige
Punkt, von welchem aus die militärischen Operationen der Russen gegen
den rechten noch ununterworfenen Flügel des Kaukasus ihren Anfang
zu nehmen pflegen. Da mein Reisegefährte noch Einkäufe zu besorgen
und einen deutsch sprechenden Russen als Diener zu engagiren wünschte,
so begleitete ich ihn bei seinen Einkäufen, die uns in die entlegensten
Theile des Ortes führten. Allenthalben zeigt sich dieselbe Sauberkeit, derselbe
behäbige Anblick. Eine Seitenstrafse auf der Höhe führt nach dem
sogenannten K r o n s g a r t e n , dem Vauxhäll Stawropols, eine prächtige
Baumanlage mit Holzbuden, Zelten und einem Kiosk, woselbst öffentliche
Concerte gegeben werden.
Da ich noch an demselben Tage abzureisen wünschte, so war es mir
gar nicht angenehm, dafs der am äufsersten Ende der Stadt wohnende
Postmeister mir die nothwendigen Pferde verweigerte, weil das Gebiet des
Kaukasus und die Macht des General-Postmeisters K o c h a n o f f jetzt aufhöre
und ich mir erst eine neue Podoroschna verschaffen müsse. Da
guter Rath theuer war, so setzte ich mich flugs in eine Droschke, um
die Unterstützung des Civil-Gouverneurs von Stawropol für mich in Anspruch
zu nehmen. Mein erster Versuch glückte wenig, da sich der Gouverneur
in einer am unteren Boulevard gelegenen Kirche befand, um einer
Abendandacht zu Ehren des verstorbenen Kaisers Nicolaus beizuwohnen.
Ein zweiter Versuch verschaffte mir die Ehre seiner Bekanntschaft und
die vollständigste Erhörung meines Wunsches. Während das amtliche Papier,
das mir als fernerer Reisepafs dienen sollte, ansgefertigt wurde,
verplauderten wir die Zeit so gut es gehen wollte, und ich hatte die
Genugthuung, aus dem Munde des erfahrenen Mannes manche werthvolle
Angabe über Stawropol und die Bevölkerung in der Umgebung zu
erhalten. Zu seinem Bezirk gehört das Land jener armen, nach der Türkei
ausgewanderten Nogai-Tataren, über welche ich bereits im ersten Bande
dieses Werkes (S. 10) das Nöthige bemerkt habe. Der Gouverneur nahm
mein aufrichtiges Lob über den angenehmen Eindruck der hübschen Stadt
mit grofser Befriedigung auf, und versicherte mich, dafs nach Auffindung
der einige Werst von'Stawropol gelegenen Steinbrüche, die erst vor Kurzem
entdeckt worden sind, die Stadt einen ganz ändern Anblick erhalten
würde. Ich begriff, weshalb auf der ganzen von mir durchreisten Strecke
die Häuser von Holz aufgeführt sind, da man nirgends in der Steppe
Steinbrüche findet. Das Strafsenpflaster des Boulevards mit seinen Seitenrinnen,
eine neue Schöpfung, ist in der That so ausgezeichnet, dafs manche
europäische Stadt ein Beispiel daran nehmen könnte.
Am nächsten Morgen sagte ich meinem kriegerisch gerüsteten Gefährten,
der glücklicher Weise einen deutsch sprechenden Judenknaben
als Diener aufgefunden h a tte , ebenso herzlich als gerührt Lebewohl und
fuhr in aller Frühe zum ändern Thore von Stawropol hinaus. Mein Ta-
rantas hatte zwei neubefestigte Räder an der Vorderachse, ich meine neue
Podoroschna in der Tasche, und so ging es mit neuem Reisemuth weiter.
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