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 fuhren  im Volksmunde  den  Namen Died,  d.  h.  „Grofsvater«,  oder  je  nachdem  
 BaU,  d. h.  „Frauenzimmer«,  und  man  hält  sie  für  alte Wegzeiger  aus  
 den  Zeiten  der  Hunnen.  In  M o ritz   W a g n e r’s  Beschreibung  des  Kaukasus  
 und  des Landes  der Kosaken  finde  ich  eine  sehr  merkwürdige  Stelle  
 in  einer  Anmerkung  des  ersten  Bandes  (Leipzig  1850.  Seite  6(i),  wonach  
 die  Kleinrussen  diese  Hügel  in  der  Steppe  mit  dem  Namen  der  Mohülen  
 belegen,  während  die  Tataren  dieselben  Döbe  (sollte  dies  Wort  nicht  mit  
 dem  persischen  Teppeh  für  die  Hügel  der  Feuerarbeiter  eine  Verwandtschaft  
 haben?)  oder  auch  Oho  benennen.  Wagner  meint,  sie  stammen  
 von  sehr verschiedenen Völkern  her,  wie  z.B.  die hohen Tumuli bei Kertsch  
 Sarkophage  aus  der  mythri datischen  und  griechischen Zeit  enthalten.  , Dagegen 
 «,  so  fährt  er  wörtlich  fort,  „werden  die  Tumuli  weiter  nördlich’ am  
 Don  und  im  Innern  des  grofsen  Steppenlandes  den  Mongolen  zugeschrieben, 
   obwohl  nur  wenige  derselben  geöffnet  worden  sind.  Deutsche  Kolonisten, 
   welche  solche  Grabhügel,  in  der  Hoffnung  Schätze  zu  erbeuten  
 geöffnet  haben^fanden  darin  irdene  Krüge,  Waffen,  eine  Art  Streitaxt’  
 Wetzsteine,  Messerklingen,.  Pfeilspitzen,  Alles  sehr  roh  gearbeitet..  Der  
 Schweizer  D a n ie l.S c h la tt,e r ,  welcher  viele  Jahre  unter  den  Tataren  der  
 Steppe  lebte,  versickert,  dafs  auf  einigen  dieser Hügel  auch  nach  ziemlich  
 gut  erhaltene  Bildsäulen  von  Stein  stehen.  Grob  gearbeitete,  sonderbar  
 gestaltete  menschliche  Figuren  beiderlei  Geschlechts  mit  grofsen  Köpfen  
 schlecht  geformten Händen  und  meist  über  einander  geschlungenen Armen’  
 Das  Gesicht  ist  bei  ihnen  flach  und  breit,  die  Nase  gewöhnlich  nur  angedeutet. 
   Nach  der  Physiognomie  dieser  Statuen  ebenso  nach  der  Bekleidung  
 der  weiblichen  Figuren  ist  S c h i a t t e r   ¿ n e ig t,  sie  für  Nogaiische  
 Denkmäler  zu  halten.  Unser  grofser  Geograph  B i t t e r   bemerkt  in  seiner  
 „Vorhalle  europäischer  Völkerschaften«,  dafs  dièse  hqhen  Tumuli,  welche  
 um  das  ganze  Schwarze  Meer  sich  zeigen,  zu  den  ältesten  und  kolossalsten  
 Dokumenten  einer  ans  völlig  unbekannten Vergangenheit  gehören  und  
 das  Pontische  Gestade  ausgezeichnet  charakterisiren.  Höchst  merkwürdig,  
 fügt  er  bei,  sei  die  gleichartige  Anlage  solcher  Todtendenkmale  bei  den  
 alten  ThraUern,  Trojanern,  Kimmäriern,  germanischen  Völkern,  Kolchiern  
 und  Bewohnern  von  Jnclika 
 Ich  hätte  gar  zu  gern  den  Inhalt  dieses  Hügels  untersucht,  wenn  ich  
 Zeit  und  Arbeiter  gehabt  hätte;  so  mufste  ich  leider  meinen  Wagen  bald 
 Isum  —  Charkow. 441 
 wieder  besteigen  und  dem  seltsamen  Steingötzen  auf  dem  sandigen  Hügel  
 für  immer  Valet  sagen. 
 Die  neun  und  fünfzigste  Station  heifst  hum.  Der  Anblick  dieser  so  
 genannten  Stadt,  welche  man  zuerst  von  einer  Höhe  aus  am  Fufse  langer  
 Waldungen  liegen  sieht,  ist  unbeschreiblich  lieblich.  Die  Häuser  sehen  
 aus,  als  wären  sie  aus  Zucker  gebacken,  und  die  Kirche  mit  ihren Thürmen  
 und  Thürmchen,  mit  ihren  weifsen  Kuppeln  und  goldenen  Sternen  
 darauf  wie  weifs  und  blau  bemaltes  Marzipanwerk.  Ich  restaurirte  mich  
 in  einer  sauber  gehaltenen  Gostinitza,  wo  ich  mich  verleiten  liefs,  russischen  
 Champagner  vom  Don  mit  der  französischen  Etiquette:  Champagne  
 de  Crimée  —  qualité  supérieure  —  zu  trinken,  ohne  bedacht  zu  haben,  
 dafs  der  Vino  donskoi  entsetzliche  Kopfweh  verschafft. 
 Charkow  war  die  gröfste Stadt,  die  ich  seit  Tiflis  gesehen  hatte.  Ihre 
 Strafsen  sind  breit,  gut  gepflastert,  reinlich  und  sauber,  in  den  Strafsenzeilen  
 entdeckt  man  eine  Menge  französischer  Magazine,  die  Kirchen  mit 
 moscheenartigen Kuppeln  geben  der Stadt  von  weitem  einen  orientalischen 
 Anstrich.  Es  befindet  sich  daselbst  eine  Universität  und  ein  Gymnasium. 
 •  * 
 Ein  Universitäts - Professor,  dessen  vorübergehende  Bekanntschaft  ich  hier  
 machte,  klagte  mir  sein  bitteres  Leid  über  die  leidenschaftliche  Wildheit  
 und  Halbheit  der  russischen  Studenten,  und  nach  dem,  was  ich  davon  in  
 dem  schmutzigen  und  unsauberen  Haupt-Hotel  der  Stadt  erlebt  habe,  darf  
 ich  seiner  Klage  allen  Glauben  schenken. 
 Charkow liegt, wie  bereits  oben  bemerkt worden  ist,  an  der grofsen Moskauer  
 Chaussée.  Meine Hoffnung,  von  nun  an  mit  der russischen Diligence-  
 Post  reisen  zu  können,  ging  leider  nicht in Erfüllung,  da alle  Plätze bereits  
 auf eine Woche  hinaus vergeben waren  und  ich  somit einem unnöthigen Zeitverlust  
 ausgesetzt gewesen  wäre.  Es  blieb  mir  daher  nichts Anderes  übrig,  
 als  meinem  Tarantas  das  letzte  Restchen von Zutrauen  zu  schenken und  auf  
 der  glatten  Chaussee  die Reise  nach Moskau  zu wagen.  Leider rechtfertigte  
 er  mein  Vertrauen  nicht,  denn  drei Viertel  des Weges  brach  er  zusammen,  
 so  dafs  ich  nicht  mehr  im  Stande  war,  auch  nur  eine heile  Stelle  zur Reparatur  
 an  ihm  ausfindig  zu  machen,  ihn  darum  für  ein  Spottgeld  losschlug  
 nnd  mir  für  die  Weiterreise  einen  russischen  Post-J'arantas  miethete. 
 Die  Reise  war Anfangs  angenehm,  schon  deshalb,  weil  die  holprige  
 Landstrafse  mit  einer  guten  Chaussée  vertauscht  worden  war.  Die  russischen  
 Dörfer  mit  den  weit  ausgedehnten  Bauernwivtbschaften  bildeten