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 Kasbek  präsentirt  sich  in  ziemlich  leidlicher  Weise;  die  alte  Kirche  ist  
 in  einem  einfachen  aber  edelu  Style  erbaut.  Zwei  an  Ketten  gebundene  
 Löwen  en  relief  über  der  Kirchthür  stellen  eine  Art  Wappen  vor.  Ein  
 paar  alte  Häuser  edler Georgier  machen  den  Eindruck  solider  Steinbauten.  
 Es  wohnen  hier  etwa  hundert  Georgier,  deren  Fürst  wie  der  Berg  und  
 der  Ort  den  Namen  Kasbek  führt.  Das  Schönste  in  der  engen  Poststube  
 war  sicher  die  Aussicht,  welche  ich  durch  das  Doppelfenster (!)  des  Zimmers  
 nach  einem  massenhaften  Gebirgsstock  hatte.  Der  riesige  Nachbar  
 erhob  sich  in  steiler  Höhe  dicht  hinter  dem  Orte  und  schaute  mit  seinem  
 Schneehaupte  auf mich  winziges Menschlein  in  der Stube majestätisch  stolz  
 hernieder.  ' 
 Der  dienende  Bruder  in  der  Stanzia  war,  wie  oben  bemerkt,  ein  jüdischer  
 Soldat,  welcher  ein  horribles  Deutsch  redete  und  sich  selber  mit  
 bescheidener  Genugthuung  als  „Jüd“  bezeichnete.  Er  hatte  bereits  zwölf  
 Jahre  lang  im  Kaukasus  zugebvaeht,  und  versicherte,  noch  acht Jahre  dienen  
 zu  müssen,  ehe  es  ihm  vergönnt  wäre,  die  Knöpfe  und  die  Achselklappen  
 von  der  Uniform  schneiden  zu  dürfen.  Trotz-  zwanzigjähriger  
 Dienstzeit,  bei  einem  Kopeken  Gehalt  für  den  ganzen  Tag,  war  der Mann  
 seelensvergnügt,  besonders  weil  er  am  Abend  meines  Aufenthaltes  in  Kasbek  
 mit  sieben  anderen  „Jüden“  und  einer  „Frauenzimmer-Jüdin“  das  jü dische  
 Wochenfest  nach  dem  Brauche  seiner  Väter  zu  feiern  beabsichtigte.  
 Da  ein  eintreffender Reisender,  gleichfalls  ein  Jude,  die  Nachricht  brachte,  
 dafs  ein  ausländischer  Offizier  auf  der  vorletzten  Station  angekommen  sei,  
 und  ich  in  demselben  meinen  Reisegefährten  vermutbete,  so  zog  ich  es  
 vor,  wenigstens  die  Nacht  noch  hier  zu  bleiben  und  meinen  Landsmann  
 zu  erwarten.  In  derselben  regnete  es  unaufhörlich  und  der  Wind  heulte  
 mit  lautem  Gestöhne.  Am  anbrechenden  Morgen  war  der  ganze  Himmel  
 mit  Regenwolken  bedeckt  und  um  das  ehrwürdige  Haupt  meines  gigantischen  
 Nachbarn  zuckten  Blitze,  ohne  dafs  ich  auch  nur  einen  einzigen  
 Donnerschlag  vernommen  hätte.  Als  Herr  v.  G ro lm a n   um  zehn  Uhr  
 Morgens  folgenden  Tages,  d.  17.  Mai,  noch  nicht  eingetroffen  war,  so  
 fafste  ich  den  Entschlufs,  meinen  Weg  vorläufig  allein  fortzusetzen  und,  
 trotz  eines  starken  Gewitters  und  strömenden  Regens,  mit  meinem  Reisekameraden  
 S c h ü t t e r   in  den  bespannten Taranta's  zu  steigen.  Der Himmel  
 war  gnädiger  als  ich  zu  hoffen  wagte  und  belohnte  meinen Reiseentschlufs 
 durch  die  herrlichsten  landschaftlichen  Bilder.  Wir  hatten  den  interessantesten  
 Theil  der  Reise  im  Kaukasus  zurückzulegen.  Die  Strafse  zog  sich  
 durch  enge  Thäler,  mit  steilen  massenhaften  Granitfelsen  rechter  und  linker  
 Hand,  hindurch,  ununterbrochen  den  Schlangenwindungen  des  Terek  
 folgend,  welcher  in  seinem  steinigen  Bette  laut  tosend  und  schäumend  
 dahinschiefst,  nicht  selten  sich  bis  an  die  Strafse  hinandrängend  und  mit  
 riesiger  Kraft  die  festen. Unterlagen  derselben  durchbrechend.  Felsthal  
 folgte  auf  Felsthal  und  jede  neue  sichtbare  Ecke  versprach  im  voraus  ein  
 neues Bild  der  romantischsten  Bergnatur.  Die  Felsen  waren  an  vielen  Stellen  
 der  Strafse  zur  rechten  Seite  des Weges  höhlenartig  ausgesprengt,  um  
 den  Reitern  und  den  schwerfälligen  Arabas  hinreichenden  Raum  zum Ausweichen  
 zu  gewähren,  damit  der vorüberjagenden Courierpost nicht der Weg  
 versperrt  werde.  Der  Himmel  war  bald  heiter,  bald mit  dunkeln  Wolken  
 überzogen;  hier  stritten  sich  die  Strahlen  des  Sonnenglanzes mit  den feuchten  
 Nebeln,  welche  an  den  Kämmen  der  Bergwände  hingen,  dort  schaute  
 hinter  schnell  dahineilenden  Regenwolken  die  blaue  Luft  in  das  Thal  hinein, 
   so  dafs  die  anmuthige Landschaft  durch  den bunten Wechsel von Licht  
 und  Schatten  den  eigenthümlichsten  Reiz  effectvoller  Beleuchtung  erhielt. 
 Zwischen  der  zehnten  und  eilften Station  passirt man  einen militärisch  
 besetzten  russischen  Schlagbaum,  in  dichter  Nähe  einer.hoch  gelegenen  
 malerischen  Burgruine,  die  wie  ein  Schwalbennest  an  die  Felswand  angeklebt  
 ist.  Die  Strafse  führt  daselbst  auf  einer  einfach  hölzernen  Brücke  
 nach  dem  jenseitigen,  d.  h.  dem  linken  Ufer  des  Terek.  Oberhalb  derselben  
 ist  eine  neue  stattliche  Brücke  im  Bau  begriffen  und  bildet  einen  wesentlichen 
  Theil  der  neu  projectirten  soliden Gebirgsstrafse.  Je weiter man  
 von  hier  an,,  zum  Theil  auf  hohem  Damme,  dem  Laufe  des  Bergstromes  
 folgt,  je  breiter  wird  sein  Bett,  je  mehr  mäfsigt  sich  der  polternde  Ungestüm  
 seines  dahinstürzenden  Wassers.  Auch  das  enge  Felsenthal  fängt  
 an  seine  Felsenarme  von  den  Ufern  des  Flusses  in  weiter Ausspannung  abzuwenden, 
   und  statt  der  steinigen Unterlage  bedeckt  ein blumiger Wiesenteppich  
 den  vegetationsreichen  Boden.  Selbst  die  Berggruppeil,  einzeln  
 und  zusammenhängend,  fangen  an  sich  mit  lichtgrünem  Mantel  zu  bekleiden, 
   und  statt  des  schauerlichen Winters  in  den  oberen  Regionen  des  von  
 uns  bereisten  Kaukasus,  begrüfst  hier  an  seinem  Fufse  der  anmuthigste  
 Frühling  den  erklammten  und  durchschüttelten  Reisenden,  der  mit  klingelnder  
 Troika  „von  drüben“  herkommt.