und jeden Augenblick mit Lawinenstürzen drohende Berg, das ist das Terrain,
auf welchem sich mein gebrechlicher Tarantas und in demselben
meine von geheimem Grauen erfüllte Person befand. Trat ein Pferd fehl
und stürzte, so konnte ich das Vergnügen erleben, von der Höhe mit
sammt dem Wagen in die schauerliche Tiefe zu stürzen, rollte eine Lawine
den Berg entlang über die Strafse hinweg, so war Alles mit einem
Male begraben, brach ein Rad am Wagen, so konnte ich im besten Fall
hier auf der ungastlichen Höhe liegen bleiben oder zu Fufse weiter wandern,
mit einem Worte, es waren so viele Möglichkeiten zu allerhand
Schreckensgedanken vorhanden, dafs ich zuletzt ganz lustig wurde und
laut zu singen anfing, um mich selber zu betrügen und am Ende gar noch
für einen furchtlosen und lebenslustigen Menschen zu halten.
Der Weg oben auf der Höhe wand sich zwischen Schneemauern hin-
. durch, die anfingen allmälig niedriger zu werden und eine Aussicht in der
Nähe zu gestatten, so dafs man auf den daneben liegenden Schneeflächen
rothe aufgestellte Fahnen unterscheiden konnte,. welche wahrscheinlich die
gefährlichsten Stellen der Passage kennzeichnen sollten. Ein dumpfer Knall,
welcher mit langem Nachhall aus der unsichtbaren Tiefe vor mir mit donnerähnlichem
Gekrache herauftönte, gab das Zeugnifs, dafs eine Lawine
so eben ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte. Der Kutscher mufste
den Hemmschuh am Wagen anlegen, um das allzu schnelle Fortgleiten der
Räder in den Schneespuren des abschüssigen Weges zu verhindern. Ich
befand mich bereits auf der nördlichen Seite des Berges in einem engen
Thale, das von so steilen mit Schnee bedeckten Felsen eingeschlossen
wird, dafs man nur mit blinzelndem Auge nach der Höhe zu schauen vermag.
Immer tiefer steigend, fuhren wir mitten durch die Spuren einer
am vorhergehenden Tage gefallenen Lawine hindurch, und wurden bald
darauf hinter einander durch vier frische ungeheuere Lawinen im wörtlichsten
Sinne des Wortes von Menschenhänden hindurchgearbeitet. Hunderte
von Soldaten und Bergbewohnern (Taul-Grusiner und Osseten) belebten
diese traurige Stätten und schippten und hackten mit ihren Werkzeugen
emsig darauf los, um durch die gewaltigen Schneemassen eine
Strafse zu bahnen. Diejenigen, welche von der Arbeit auf kurze Zeit
ruhten, traten in die Schneenischen ein, welche sie rechter und linker
Hand von der Strafse, aus den Schneemauern herausgeschaufelt hatten.
Ich gab den armen Leuten, welche im Gesicht ganz verbrannt aussahen,
während Andere sich durch Tücher und Drahtgitter vor der so merkwürdigen
Wirkung des Schnees auf die Haut gesichert hatten, ein Paar Papierrubel,
um sie bei ihrer Arbeit zu ermutbigen und schneller durchzukommen.
Mit lautem Gejauchze empfingen die nächst stehenden Schneegräber
im grauen Militärmantel, etwa zwanzig an der Zahl, das Geld,
spannten urplötzlich die Pferde aus und nahmen den ganzen Tarantas, das
Gepäck und unsere drei Personen mit eingerechnet, mit einem Ruck auf
die Schultern, um uns die ganze lange Strecke durch die gefallenen Lawinen
unversehrt hindurchzutragen. Sie erzählten dabei, — keine besonders
angenehme Reiseunterhaltung auf dieser Schreckenstour, — dafs sie
dabei beschäftigt wären, einen Wagen auszugraben, der vorher mit sammt
den ziehenden Ochsen und dem Kutscher von einer Lawine verschüttet
worden wäre. Welcher Art die verhängnifsvolle Schneepassage war, mag
daraus erkannt werden, dafs sich bisweilen stufenartige Absätze von fünf’
bis sechs Fufs Höhe vorfanden, die ein Mensch oder ein Pferd wohl springend,
aber kein Wagen in der Welt mit gleicher Beweglichkeit zu überwinden
im Stande ist.
Unten in der Tiefe des Thaies angekommen, dankte ich meinem Schöpfer
für die1 glückliche, wenn auch immerhin äufserst beschwerliche Passage
über den Kreuzberg, und gewann nun erst Zeit, mit aller Ruhe meinen
Blick über die Gebirgslandschaft schweifen zu lassen. Leider verhinderte
ein starker Regen die vollständige Aussicht^ doch erkannte ich linker Hand
eine Reihe von Ruinen, die von steilen Felsen keck in das Thal hinabschauten,
und am Fufse der Felsen nach der Strafse zu, vom Schnee halb
verschüttete Bäche und Häuser.
In dem Dorfe Gobi, mit einer russischen Besatzung, war die achte
Station erreicht. Von hier aus bis zur nächsten Stanzia Kasbek beträgt
der Weg ebenso viel als über’s Gebirge. Das Thal ist breit, die gut chaus-
sirte Strafse zieht sich meist auf Dämmen am Abhange der Berge dicht
am Terek entlang, den russische Dichter so poetisch besungen haben. Auf
einer hervorspringenden Bergzünge liegt der Ort Kasbek, dem gleichnamigen
Riesenberge des Kaukasus gegenüber, welchen letzteren die Regenwolken
zu meinem grofsen Bedauern so gut wie ganz verhüllt hatten. In der
Stanzia, die ich gegen Abend sechs Uhr erreichte, fand ich für die Nacht
ein Unterkommen. Den hellen Rest des Tages benutzte ich trotz des fallenden
Regens zu einer kleinen Excursion bis zum Ufer des brausenden