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   dafs  alle  Russen,  ich  glaube  mit  wenigen  Ausnahmen,  das  vierzigtägige  
 Fasten  als  ein  religiöses  Gebot  auf  das  Strengste  inne  hatten,  so  
 dafs  ich  meine  russischen  Freunde  in  dieser  Zeit  und  unter  allen  Verhältnissen  
 nie  dagegen  habe  sündigen  sehen.  Sie  enthielten  sich  aller  fetten  
 und  Fleisch-Speisen  und  kasteieten  sich  in  einer  Weiüe,  die  mir  oft  
 unglaublich  erschienen  ist.  Freilich  bringt  das  strenge Fasten,  ähnlich  wie  
 bei  den  Mohamedanern  im  Monat  Ramazan,  den  grofsen  Uebelstand  mit  
 sich,  dafs  in  den  ersten Tagen  nach  dem Aufhören  desselben  fast  alle Russen  
 sich  den  Magen  verdorben  haben. 
 Sonntag  den  5. Mai.  Heute,  am  russischen  Ostersonntage,  ist  Alles,  
 in  grofser  Toilette,  auf  den  Beinen.  Die  Beamten  und  Militärs  müssen  
 ihren  Vorgesetzten  und  sich  selber  gegenseitig  Visiten  in  Staatsuniform  
 machen  und  zu  dem  fröhlichen  Auferstehungsfeste  gratuliren.  Es  ist  
 Sitte,  dafs  man  sich  dabei  dreimal  hinter  einander  einen  Kufs  giebt.  In  
 der  ganzen  Stadt  ist  ein  Jagen  ohne  Ende,  wobei  zum  grofsen  Unglück  
 Tiflis  heute  ärmer  als  je  an  Droschken  ist,  da  die  Malaken-Kutscher  des  
 Sonntags,  und  nun  gar  erst  am  Ostersonntage !  nie  arbeiten.  Da  das  Wetter  
 herrlich  war,  wie  geschaffen  zum  fröhlichen  Ostern,  so  flogen  wir  aus?  
 um  die  viel  gemischte  Bevölkerung  an  dem  feierlichsten  aller  Tage  in  ihren  
 malerischen  Costümen  ein  wenig  näher  ins Auge  zu  fassen.  Die Männer  
 hatten  ihre  schönste  Tracht  angelegt,  deren  Hauptbestandtheil  die  so  
 kleidsame  Tscherkeska  bildet.  Die  eingebornen  Frauen  trugen  sich  georgisch, 
   die  Armenierinnen  hatten  darüber  einen  schneeweifsen  Mantel  gebreitet, 
   nur  wenige  hatten  sich  als  europäische  Modepuppen  aufgetakelt.  
 Die  Georgierinnen,  welche  hier  und  da  mit  dem  fliegenden1 Gazeschleier  
 von  den  hohen  Häuserbaikonen  auf  die  bunte  wogende  Menge  hinabschauten, 
   bilden  angenehme  Ruhepunkte  für  das  vom  Sehen  beinahe  ermüdete  
 Auge.  Wo  man  hin  kommt,  sind  die  Tische  mit  Kuchen  und  mit  allen  
 Sorten  von  Braten  belastet,  unter  denen  Lämmer  und  Ferkel  eine  Hauptrolle  
 spielen. 
 Am  Nachmittage  entwickelte  sich  in  allen  Theilen  der  Stadt,  vorzüglich  
 auf  den  öffentlichen  Plätzen,  wo  im  Verein  mit  Bier-  und  Schnapstischen  
 horizontale  und  vertikale  Schaukeln  aufgestellt  sind,  ein  allgemeines  
 Verguügtsein.  Vom  Boulevard  aus,  in  der  Nähe  der  protestantischen  
 Kirche,  konnte  man  deutlich  den  Menschenhaufen  am  gegenüberliegenden  
 Ufer  der  Kura  erkennen,  in  dessen  Mitte  man  sich  auf  einem  grünrasigen  
 Bergabhange  zu  dem  landesüblichen  Ringwettkampfe  vorbereitete.  
 Auf  der  steilen  dahinauf  führenden  Strafse  sah  man  ganze  Schaaren  pilgernder  
 Menschen  zu  Fufs,  zu  Pferde  und  in  leichten  Wagen.  Allenthalben  
 dichte  Menschenknäuel,  die  vor  lauter  Lust  und  Freude  mit  heller  
 Stimme  aufjauchzten.  Es  konnte  natürlich  nicht  an  den  Folgen  der  para-  
 disischen  Freude  bei  den  Ausgelassensten  fehlen.  Man  stiefs  auf  Betrunkene  
 in  allen  möglichen  Stellungen  und  Lagen,  welche  vor  den  Schnapstischen, 
   den  gewöhnlichen  Mittelpunkten  der  frohen  Menschenmasse,  des  
 Guten  zu  viel  gethan  hatten,  jedoch  in  ihrem  Gebahren  und  Treiben  für  
 di'es Personen  in  nächster  Nähe  vollständig  harmlos  blieben.  Ein  Hauptexemplar  
 sahen  wir  auf  der  Strafse  der  deutschen  Colonie  in  einer  höchst  
 eigenthümlichen  Situation  nach  schwerem  Rausche  ausschlafen;  mit  dem  
 Kopfe  hatte  er  sich  an  einen  Baum  der  Allee  gelehnt,  mit  den  Füfsen  
 hing  er  bis  zu  den  Knieen  hinauf  in  dem  vollen  Wassergraben  daneben.,  
 und  die  leere Flasche  hatte  er  mit  der  linken Hand  umspannt  und  an  sein  
 Herz  gedrückt.  Im  Mudsahtehid - Garten  ward  ein  grofses  Concert  von  russischen  
 Soldaten  unter  einem  deutschen  Kapellmeister  aufgeführt,  die  sich  
 sämmtlich  mit  Bachus  Gabe  benetzt  hatten  Wenn  auch  die  vornehmere  
 Welt  hierselbst  in  den  angenehmsten  Erscheinungen  vertreten  war,  so  
 fehlte  es  doch  nicht  an  Gestalten,  besonders  unter  der Damenwelt,  welche  
 nicht  in  diese  Kreise  hineingehörten.  Am  auffallendsten  waren  die  französischen  
 Putzmacherinnen  und  Schneidermamsells  aus  Paris,  welche  in  
 glänzenden Equipageu vorfuhren  und  vor aller Welt,  Droschkenkutscher mit  
 inbegriffen,  von  ihren  Verehrern  mit  zärtlichen  Küssen  empfangen wurden. 
 Dienstag  den  7.  Mai.  Am  gestrigen  Tage  hatten  wir  die Freude,  dem  
 Gouverneur  von  Tiflis,  dem  georgischen  Fürsten  O r b e l i a n o ,   in  seiner  
 Wohnung  auf  dem  Alexanderplatze  unsere  Aufwartung, zu  machen.  Er  ist  
 etwa  sechszig Jahre  alt,  etwas  beleibt  und  eine1 offene  gerade lustige Natur.  
 Kaum  hätte  man  geahnt,  in  dem  sich  streng  militärisch  tragenden Fürsten  
 georgisches  Blut  zu  sehen.  Neben  seinen  interessanten  Erzählungen  über  
 die  Vorbereitungen  zur  neuesten  Expedition  gegen  die  tapfere Völkerschaft  
 der  Scliapsuchen  hörten  wir  die  traurige  Mähre,  dafs  durch  neuerdings  gefallene  
 Lawinen,  an  deren  Wegräumung  ganze  Regimenter  arbeiteten,  die  
 Kaukasusstrafse  ganz  unpassirbar  geworden -sei,  so  dafs  die  Petersburger  
 Post  bereits  seit  achtzehn  Tagen  vergeblich  erwartet  wurde.  Für  meine