Für spätere Reisende, die etwa denselben Weg nach Moskau (bis dahin
sind es von Stawropol aus 1135| Werst) einschlagen wollen, mufs ich gelegentlich
bemerken, dafs bald hinter Stawropol eine doppelte Strafse nach
der alten Krönungsstadt der Czaren führt. Die westliche Strafse mündet
in Charkow auf die grofse Chaussée, welche von Moskau nach Odessa
geht und mit der russischen Diligence-Post befahren werden kann. Der
zweite Weg, der östliche, verbindet in gerader Linie Stawropol mit
Moskau, erspart einen Umweg von nahe an zweihundert Werst, hat aber
den dreifachen Nachtheil andrerseits, dafs er eine reine Naturstrafse ist,
dafs ferner nicht immer Postpferde zu haben sind und dafs er schliefslich
durch meist kulturlose Gegenden führt. Da von Charkow an für einen verwöhnten
Europäer, besonders wenn er die Prüfungsschule in Persien hinter
sich hat, der europäische Hô te l-Comfort beginnt, so zog ich diesen
Weg vor, zugleich mit Nebenrücksicht meines kranken Tarantas,' dessen
Tage immer sichtlicher gezählt schienen.
Die Steppe war öder und trauriger als je , die Strafse menschenleer,
und der Regen gofs so strömend vom Himmel hernieder, dafs.der ganze
Weg aufgeweicht und der Koth uns, ohne Uebertreibung, bis in die Halsbinde
geschleudert wurde. Mein russischer Begleiter, welcher seinen Platz
vom auf dem Tarantas neben dem Kutscher hatte, natürlich immer mit
dem Säbel in der Hand, war schliefslich und schlechterdings nicht mehr
zu eikennen. Er sah aus, als hätte ein Bildhauer den ganzen Mann in nassem
Thon abformen wollen. Zwischen der zweiten und dritten Station wurde
das fünfte Element so sumpfartig tief, dafs ein Pferd der Troika hinstürzte
und auf der Stelle todt liegen blieb. Von der fünften Station an, Prichadne
(Pregradnaja?), sah ich die ersten Windmühlen, mit sechs Flügeln, die neben
den Ortschaften den Eintritt in Klein-Rufsland bezeichnen. Die Dörfer, die
sich wie Handtücher lang ausdehnen, sind aus schmutzigen Erdmauern mit
Strohdächern, die durch Stricke zusammengehalten werden, aufgebacken,
und scheinen nur eine Fortsetzung des grauen Erdbodens nach der Höhe
zu sein. Aus den kleinen unregelmäfsig gestellten Fenstern guckte hier und
da ein ungewaschenes und ungekämmtes Bauerngesicht hindurch, und die
Schweine wälzten sich behaglich in den Mistpfützen vor den Thüren. Der
Abstand von den reinlichen Kosakendörfern tritt allzu auffallend in die
Augen, um nicht auch auf einen innern geistigen Abstand einen Schlufs
fällen zu lassen. Die Leute feierten gerade den Geburtstag des, verstürbenen
Kaisers und die Kirchgänger hatten so eben das Gotteshaus verlassen,
das hier wie überall in den Dörfern in würdiger Weise aufgeführt und
sauber gehalten ist. Die anderen Bewohner des Dorfes safsen vor den
Thüren ihrer Häuser, die Frauen kurzröckig, langstrümpfig, das Kopfhaar
durch ein umgewundenes Tuch unsichtbar gemacht, einen unschönen Pelzoder
Tuchrock über das Weibercostüm gezogen. Die Männer, blond- und
dunkelbärtig, mit kleiner Pelzmütze auf dem kalmückenartigen JKopfe, und
in lange russische Tuch- oder Pelzröcke gekleidet, sahen stillvergnügt und
zufrieden aus und unterhielten sich gruppenweise über Dorfneuigkeiten.
Am 23. Mai lag ich mit meinem Gepäck und meinen Begleitern aus
guten Gründen thatenlos in der Stanzia von Imwnofka, wo der Smatritel
des schmutzigen Posthauses sich durchaus und mit aller Gewalt mit mir
russisch unterhalten wollte. An meinem Tarantas war kurz vorher ein Rad
gebrochen, und so war ich unfreiwillig gezwungen, statt zu reisen, in
der Stanzia die Zeit zu vertrödeln. Ich hatte bis dahin das Posthaus
Nr. 50 erreicht. Der Weg war auf der zurückgelegten Strecke fortdauernd
einförmig geblieben, da er durch breites flaches Steppenland geführt
hatte. Eine angenehme Unterbrechung gewährten oft auf lange Strek-
ken wandernde Russen von echt slavischem Typus. Die Weiber trugen
Männerröcke und grofse unbeholfene Lederstiefeln wie die Männer, nur
das Tuch, welches das ganze Gesicht verhüllte, kennzeichnete sie als
Frauen. Lange Wagenreihen, vor jeden Wagen zwei Ochsen gespannt,
folgten langsam und mit knarrendem Rade hinter einander, und waren mit
Waaren, Betten und kleinen Familien bepackt. Es schienen mir das. Auswanderer
zu sein, welche auf den äufserst schlechten Wegen die nordische
Heimath verlassen hatten, um sich im südlichen Rufsland anzusiedeln Auf
der vier und vierzigsten Station hatte ich die Freude gehabt, mit einem
russischen Offizier zusammenzutreffen, der ebenso geläufig deutsch wie französisch
sprach. Er mufste wichtige Depeschen nach St. Petersburg über
bringen und hatte den Weg von Tiflis bis zur genannten Station, natürlich
mit der Courierpost, in drei Tagen zurüekgelegt.
Von hier aus geht er die östliche Strafse nach Moskau über Woronesch,
die um hundert und siebenzig Werst kürzer ist. Die darauf folgende Station
hiefs Aksei und war im Don-Thale am rechten steilen Ufer des Flusses gelegen,
der in diesem Jahre weit und breit ausgetreten war. Die längste Brücke,
die ich in meinem Leben gesehen, führt daselbst über den Strom. Sie ist aus
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