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 frömmsten  Mollah’s ,  den  Diwan  des  Hctfis  als  eine  der  herrlichsten  Leistungen  
 auf  dem  Gebiete  der  persischen  Dichtkunst  anzuerkennen.  Der  
 Weg,  den  sie  einschlugen,  war  sonderbar genug,  aber morgenländisch  klug.  
 Der  persische Anakreon  wurde  zu  einem  mystischen Dichter  umgewandelt,  
 seine  Lieder,  so  hiefs  e s ,  bezögen  sich  nicht  auf  die  sinnliche  irdische  
 Liebe,  nicht  auf  den  feurigen  Wein,  sondern  auf  die  himmlische  Liebe,  
 auf  die  überirdische Begeisterung.  Commentare  wurden  geschrieben,  jedes  
 Wort  zergliedert,  und  so  ist  denn  gegenwärtig Hdfiz's Diwan,  aus  dem  sich  
 die  heutigen Perser  ihre f ä l   oder Omina  zu  suchen pflegen,  besonders  gern  
 vor  seinem  Grabe,  ein  allgemeines  Schulbuch  geworden,  das  neben  dem  
 Koran  und  Sadds  Liedern  den  Buben  und  Mädchen  in  die  Hand  gegeben  
 wriid ,  um  daraus  lesen  und  denken  zu  lernen.  Die  Klügeren  unter  den  
 Persern  begreifen  ihren  Hafiz  besser.  Er  ist  ihnen  keine  „Zunge  des  Geheimnisses“, 
   sondern  das,  was  er  sein  wollte,  ein fröhlicher Derwisch,  der  
 in  seine Welt mit lauter  Stimme hineinsang,  was  das  glühende Herz  empfand,  
 der  bei  der  aufrichtigsten Verehrung  des Göttlichen  dem  rein Menschlichen  
 seine  Huldigung  nicht  versagte. 
 Die  Inschriften  auf  des  Dichters  Grab,  das  jeder  Perser  mit  besonderer  
 Andacht  zu  besuchen  pflegt,  enthalten  zwei  Oden  aus  seinen  Liedern,  
 die  eine  auf  der  Mitte  des  Steines,  die  andere  rings  herum  gemeifselt.  
 Beide  gehören  zu  den  am  wenigsten  sinnlichen Ghazelen  des Dichters;  die  
 am  erstgenannten  Orte  befindliche  preist  Allah  und  drückt  den  Wunsch  
 der Vereinigung  mit  dem  höchsten Wesen  aus,  die  zweite  erhebt  sich  zum  
 dichterischen  Lobe  des  frommen  Imam  Ali. 
 Eine  offene Halle,  von  vier  steinernen,  bunt  bemalten  Säulen  gestützt,  
 trennt den eigentlichen Begräbnifsplatz von  einem Garten  dunkler, mächtiger  
 Cypressen,  deren  Anblick  seltsam  auf  die  Seele  wirkt.  Wie  die  Gräber  
 mit  ihren  bunten Steinen  in  keiner  Weise,  den  Gedanken  an  Tod  und Verwesung  
 aufkommen  lassen,  so  erregt  der  wenn auch malerische Durchblick  
 auf  den  Cypressengarten  hinter  dem  Talar  die  Gefühle  unbeschreiblicher  
 Webmuth  und  düsterer Trauer.  Ich  wendete  mich  mit  stillem  Schauer  von  
 dem  Anblick  der  einsamen  Cypressen-Todtenstrafse  weg,  um  noch  einmal  
 nach  dem  Grabe  des  heiteren  Sängers  die  Schritte  zu  lenken,  das  ich  im  
 Leben  wahrscheinlich  niemals  wieder  sehen  werde. 
 Wenn  es  gestattet  ist,  von  der Erhaltung der Gräber auf die Verehrung 
 der  Lebenden  den  Todten  gegenüber  einen  Schlufs  zu  fällen,  so  müssen  
 die  Perser  Hafiz  viel  lieber  als  den  zweiten  Dichterfürsten  Sadi  haben.  
 Die  Gebeine  des  moralisch-ernsten  Sängers,  dessen  anmuthig-einfache  Gesänge  
 und  Erzählungen  auch  in  Europa  längst  Eingang  gefunden  haben,  
 ruhen  (seit  1291)  eine  Viertelstunde  Weges  ab  vom  Grabe  Hdfiz’s  in  der  
 Nähe  des  Gebirges.  Sein  Grab,  wie  das  des  Hafiz  von  einer  Mauer  umschlossen, 
   ist  zerfallen  und  vernachlässigt,  eigentlich  nur ein elender  Steinhaufen, 
   in  einer  Baulichkeit  gelegen,  in  deren  offenen  Räumen  Derwische  
 und  armes  wanderndes  Volk  zu  hausen  oder  zu  nächtigen  pflegen.  In  
 dichter  Nähe  liegt  ein  Teich  mit  „behexten“  Fischen  und  ein  einsames  
 Dorf  desselben  Namens,  Sadijeh,  als  des  Dichters  Grabstätte. 
 Die  vornehmen  Perser,  welche  die  Kosten  zu  tragen  im  Stande  sind,  
 lassen  sich gern in der Nachbarschaft verstorbener,  heilig gesprochener Personen  
 begraben.  Ildfifis  Grabstätte  kann  als  ein  Muster  guter  Gesellschaft  
 nach  dem  Tode  gelten.  Ein  lustiger  Schirazer,  von  der Hofbedienung,  der  
 auf  dem Wege  nach  der Hdfizijeh  oder  der Häfiz-Grabstätte  an meiner Seite  
 ritt,  machte  mich  auf  diese  Sitte  besonders  aufmerksam.  Wünschet  Ihr  
 nicht,  fiel  ich  ein,  dereinst  an  d e r   Seite Eurer Dichtersonne  zu ruhen,  vorausgesetzt, 
   dafs  Ihr  die  Mittel  dazu  habt? 
 „Beim  Ali,  nein!  Euer  Diener  liebt Weiber-  und  Wein  und  gehört  
 nicht  in  die  Gesellschaft  frommer  Scheikhs“,  gab  er  als  Antwort.  „Doch  
 weifs  ich  eine  Stelle“,  fuhr  er  fort,  „die  mir  nach  dem  Tode  besonders  
 behagen  würde  und  nebenbei  weniger  Kosten  als  selbst  ein  bescheidenes 
 Begräbnifs  verursacht.“ 
 Und  wo  wäre  diese  Stelle?  fiel  ich  neugierig  ein. 
 .„Sahäb,  schaut  einmal  dort  drüben  nach  dem  Berge  hin.  Nicht  weit  
 von-der  Sadijeh  ist  ein  tiefer  Brunnen  in  den  Fels  gebohrt.  Da  wäre  ein  
 Plätzchen  für  Euren  Diener!“ 
 Und  warum? 
 „Ah,  das  ist  e b e n   die  Bache!  Es  ist  der  Weiberbrunnen,  er  steckt  
 voller  hübscher  Weiber.  Freilich  sind  es  Ehebrecherinnen,  die  da  hineingestürzt  
 werden,  allein  es  bleiben  doch  immer  hübsche Weiber und Allairs  
 Barmherzigkeit  ist  ja   keinem  verschlossen.“ 
 Ich  verstand  den  lockern  Vogel. 
 Der  Brunnen,  etwa  500 Schritt  von  der Sadijeh  entfernt,  führt bei  den  
 Persern  den  Namen  Tschdq-Kalibendéh.  Wirft  man  einen  Stein  hinein,  so