428 Anblick des Kaukasus,
standen die kaukasischen Eiskolosse im Hintergründe der Steppe; sie schienen
ganz nahe, obwohl ihre wirkliche Entfernung noch einige Tagereisen
betrug. Ueber das dunkle bewaldete Vorgebirge ragten sie in den bizarrsten
Formen, als Zacken, Säulen, Hörner, Kuppen, Pyramiden hervor.
So zerklüftete, wild zerrissene Fels- und Schneewände, so küh'ne Gipfelformen,
wie die Riesen der kaukasischen Centralkette, haben weder die
Alpen der Schweiz, noch der Taurus, noch der Atlas, der Balkan, die
Apenninen, oder irgend eines von den mir bekannten Gebirgen Europas.
Die Oiientalen nennen den Kaukasus mit Recht den „Tausendgipfeligen“.
Unter den Gebirgsländern, die ich in drei Welttheilen durchwanderte, ist
mii kein Punkt bekannt, der so günstig gelegen wäre, ein ganzes Gebirge
in seiner gröfsten Arsdehnung zu überschauen, wie die Terek-Steppe bei
Georgiefsk. Hier befindet man sich in fast gleicher Entfernung von den
beiden äufsersten Enden des Kaukasus vom schwarzen und kaspischen
Meere. Man denke sich eine fast völlig flache Steppe mit geringer Erhebung
über dem Meeresspiegel, nur äufserst sparsam mit Bäumen bedeckt,
im Hintergründe dieser kahlen Ebene aber plötzlich fast ohne Unterbrechung
eine gegen hundert Meilen lange Reihe von. Riesenbergen emporragen,
deren absolute Höhe über der Terek-Steppe im Durchschnitte
10,000 bis 12,000 Fufs beträgt. Ob es irgendwo auf der Erde günstigere
Punkte g ieb t, Ketten von solcher Gröfse und Ausdehnung mit einem einzigen
Blicke zu überschauen, bezweifle ich. Von aufsen und in einiger
Entfernung gesehen, übertrifft der Kaukasus an malerischer Schönheit die
Alpen Europas, aber im Innern kann er bei dem Mangel an,-Seen und
grofsen Wasserfällen, bei der geringen Zahl seiner Gletscher den Vergleich
mit der Schweiz und Tyrol nieht aushalten. Der Elbrus im Südwesten
zeigt sich, von Georgiefsk aus gesehen, in vollkommen reiner Eegelform
mit abgeplattetem Gipfel und vom Haupte bis zum Fufse mit einem Scbnee-
mantel bekleidet. Nach der barometrischen Messung der Herren Akademiker,
welche die Expedition des Generals E m a n u e l begleiteten, erhebt
sich derselbe 15,420 Par. Fufs und bildet den Mittelpunkt eines krateri-
schen Amphitheaters. Obwohl er keine Höhenrivale "in seiner nächsten
Nachbarschaft hat — die Berge Anal, Kindschal und Permamuk ^ die ihn
im Halbkreis umgeben, sind um 4000 bis ^5000 Fufs niedriger — so erscheint
der Elbrus dem Auge doch weniger erhaben, weniger prächtig als
der Kasbeg im Süden, der mit dem Montblanc fast gleiche Höhe hat. Der
Prochwadne'i — Greguriefsk, 429
Kasbeg, dessen Gipfelform dem Buckel eines Kameels gleicht, ist von ge
waltigen Kolossen umgeben, überragt dieselben aber deutlich.“
XIX. Kapitel.
E in f ü r a l l e m a l in E u ro p a .
In Prochwadnei machten wir Rast. Nachdem wir sechs Stationen und
hundertundfünfundzwanzig Werst an einem Tage zurückgelegt, beschlossen
wir, uns selber durch ein Nachtquartier zu belohnen und bezogen die
bescheidene GostiniUa dieses sehr ausgedehnten Ortes, in dem es von russischen
Soldaten wimmelte. In unserm Hotel gab es drei Zimmer, die als
Gaststube und Gastzimmer für eintreffende Reisende dienten. Kleine Holz-
sophas vertraten die Stelle des Bettes. Ein schlecht deutsch redender Pole,
der sich als „Küchenmeister“ vorstellte, bereitete gar nicht ungeschickt Hühnerbouillon
mit Sauerkohl darin und ein hartnäckiges Lederbeefsteak. Vor
dem Schlafengehen machten wir einen kleinen Ausflug durch die zahlreichen
Gassen der Station und geiiethen mitten in eine Rinderheerde, deren
Hörner respectabel genug aussahen, und die aus mindestens tausend
Stück Thieren bestand. Wir retteten uns so gut es gehen wollte und pro-
menirten in einem am Wasser gelegenen Haine zum ersten Mal wieder
auf europäischem Grund und Boden. Der Pfingstsonntag war ein saurer
Tag von sieben grofsen Stationen. Nachdem wir mit drei Silberi'ubel unser
bescheidenes Wirthshausleben bezahlt hatten, brachen wir gegen fünf Uhr
Morgens auf und schwelgten bald wieder auf- duftiger blumenreicher Stätte.
Der Himmel war dabei so klar, dafs wir die ganze Kette des Kaukasus mit
den zackigen Schneegipfeln als eine riesige Linie in vollständigster Schärfe
der Umrisse zu erkennen vermochten. Kaum hatte aber die Wärme ausstrahlende
Sonne ein paar Stunden lang geschienen, als von allen Seiten
vom feuchten bethauten Boden Nebelrauch in die Höhe stieg, der den
ganzen Horizont verhüllte. Bei drückender schwüler Hitze überzog sich
der Himmel mit dunkeln gewitterschwangeren Wolken, die trotz ihres
dräuenden Aussehens dennoch nicht zum Ausbruch kamen. Bei dem Orte
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